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Wirtschaft: Kräuterstadt Berlin: Baldrian-Blätter für die Friteuse

Zuerst ist Olaf Schnelle umgezogen - und erst dann hat er nachgedacht. "Wie soll ich hier oben bloß Geld verdienen?

Zuerst ist Olaf Schnelle umgezogen - und erst dann hat er nachgedacht. "Wie soll ich hier oben bloß Geld verdienen?" überlegte er und schaute sich ratlos in der idyllischen Küstenlandschaft Vorpommerns um, wo er schon immer hatte leben wollen: Boltenhagen bei Grimmen, und drumherum nichts als Himmel, Auen und Apfelbäume. Vorher, im alten Leben in Berlin, hatte Schnelle Gärten angelegt, aber hier gab es schon genug. Also entschied er sich für Wildkräuter.

Damals, das war 1998, kursierte unter Köchen nämlich gerade das Schlagwort von der "regionalen Küche", erinnert Schnelle sich. Landestypische Zutaten für gesunde und trotzdem phantasievolle Speisen waren damit gemeint. Und weil Schnelle Phantasie hat, hat er sich vor der Tür seines alten Bauernhauses das Unkraut genauer angeschaut.

Er fand Vogelmiere, Klettenlabkraut und Mädesüß - und das hat er dann Deutschlands Spitzenköchen als Delikatesse angeboten. "Essbare Landschaften" nannte Schnelle das Unternehmen, von dem er nicht wusste, ob es nicht doch eine Pleite werden würde. Aber: Das Echo war gewaltig. Und jetzt sind der 36-Jährige und sein Kompagnon Ralf Hiener, der eigentlich Koch ist, Kräuter-Kuriere.

Und so funktionieren die "essbaren Landschaften": Per E-Mail oder Telefon bestellen die Köche und auch Privatiers, was sie am kommenden Tag brauchen; rund 600 Kunden stehen in der Kartei. Wenn die im alten Gutshaus anrufen, sind die Sammler - zehn in der Hauptsaison - schon lange unterwegs, zum Beispiel im Putbuser Schlosspark auf Rügen, um nach Bärlauch zu suchen. Die meisten Wildkräuter werden auf fast fünf Hektar versuchsweise aber auch schon selber angebaut.

Nachmittags um drei kommt dann der Postbote und nimmt die kleinen Pakete mit. Darin, verzehrfertig und in Plastik verschweißt, die Pflanzen. Abgerechnet wird in Salatportionen, das sind immer 50 Gramm. Je nach Kraut kostet eine Portion zwischen 1,50 und acht Euro. Am teuersten sei Sauerklee, sagt Schnelle, denn die Blättchen sind federleicht.

Der Kundenstamm wächst. Aber Geld bringt das Geschäft noch nicht. "Letztes Jahr waren wir kurz vor der Kostendeckung", sagt Schnelle. 300 000 Mark Umsatz haben er und sein Partner da zwar schon gemacht - aber noch mehr investiert. Das liegt daran, dass die Kultur von Wildkräutern eine bisher unbekannt ist. "Das bringt immer wieder Verluste", meint Schnelle. "Außerdem dauert es manchmal Jahre, bis Pflanzen geerntet werden können, zum Beispiel Baldrian oder Spargel." Baldrian?

"Na, klar", ruft Schnelle: "Frittiert! Dann entwickeln die Blätter ein nussiges Aroma." Überhaupt: Was man alles essen kann ... Scharbockskraut. Und Melde, das wie ein Mix aus Kohlrabi und Erbse schmeckt. Oder Ackerveilchenkraut. Der Geschmack liegt zwischen Tonkabohne und Juicy-Fruit-Kaugummi.

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