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© dpa

Kraftwerksbau: Heißer Markt

Trotz immens gestiegener Preise baut Vattenfall neue Kohlekraftwerke - zum Ärger der Atomlobby, die auf eine Renaissance hofft.

Manche Einschätzung hängt vom Standpunkt ab. Wenn zum Beispiel Walter Hohlefelder, der Präsident des Deutschen Atomforums, von einem "total überhitzten Kraftwerksmarkt" spricht und den Neubau von Kohlekraftwerken in den nächsten zehn Jahren für fast unmöglich hält. Da ist viel Wunschdenken im Spiel. Denn der Bedarf an neuen Kraftwerken ist enorm, und wenn es keine Kohlekraftwerke gibt und es mit Gas auch nicht richtig vorangeht, dann bleibt nur die Kernkraft, also die Verlängerung der Laufzeiten der AKW, die eigentlich 2022 abgeschaltet sein sollen.

Klimawandel, Erneuerungsbedarf und Ablehnung der CO2-lastigen Kohle – das sind die Zutaten, aus denen sich die Hoffnung der Atomwirtschaft speist.

Vor knapp sechs Jahren ging der Anlagenbauer Babcock Borsig in Oberhausen pleite. Das Unternehmen wurde zerlegt, Einzelteile von anderen übernommen. Zum Beispiel der Kraftwerksbau von der japanischen Hitachi. Mit 283 Mitarbeitern ging dieser Bereich vor fünf Jahren an den Neustart, heute sind es gut 1000. Der Unternehmenssprecher nennt den aktuellen Auftragsbestand "super hervorragend". "Bis 2013 machen wir uns keine Sorgen." In Deutschland baut Hitachi Power Europe, wie die Firma jetzt heißt, derzeit vier Großkessel für Stein- und Braunkohlekraftwerke. Darunter die Berliner Vattenfall Europe AG.

Kommenden Freitag reisen die deutschen Hitachi-Chefs ins sächsische Boxberg, um gemeinsam mit dem Auftraggeber Vattenfall den Beginn der Kesselmontage im Neubau des Braunkohlekraftwerks zu feiern. Vom "weltweit modernsten und effizientesten Großdampferzeuger" ist die Rede. Am Beispiel Boxberg lässt sich gut die Marktentwicklung darstellen: Bei der ursprünglichen Planung des 650 Megawatt-Kraftwerks vor rund fünf Jahren betrug die veranschlagte Investitionssumme 670 Millionen Euro. Als der Vorstand den Neubau vor zwei Jahren endgültig beschloss, ging Vattenfall bereits von 800 Millionen Euro aus. Der aktuelle Stand: 900 Millionen Euro.

"Der Markt für Großanlagen ist dermaßen überhitzt, dass sich die Investition für uns zurzeit nicht rechnet", erklärte der Vorstandsvorsitzende der Kölner Rhein-Energie im vergangenen Herbst den Verzicht auf ein 800 Megawatt starkes Steinkohlekraftwerk im Stadtteil Niehl. Innerhalb eines halben Jahres seien die Preise um ein Viertel gestiegen. Auch in Bremen wurde ein Kraftwerksbau gestoppt, doch einen Trend will darin - außer der Atomwirtschaft - noch niemand sehen. Die Organisation Trianel etwa, ein Zusammenschluss von 33 Stadtwerken, baut neue Steinkohlekraftwerke in Lünen und Krefeld, obwohl die Preise "sicherlich gestiegen sind“. In Lünen ist der Baubeginn noch 2008, die eine Milliarde Euro teure Anlage soll 2012 in Betrieb gehen. Ein Jahr später ist Krefeld (Kraft-Wärme-Kopplung) fertig.

Neue Investitionsschübe

"Bis zum Jahr 2020 müssen 40.000 Megawatt Kraftwerkskapazität ersetzt werden", sagt Michael Feist, Präsident des Verbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Das heißt immerhin: Knapp ein Drittel der gegenwärtig laufenden Kraftwerke ist zu erneuern. Dafür werden 40 Milliarden Euro veranschlagt. Nach dem Investitionsstau in den 90er-Jahren, den unter anderem Babcock Borsig nicht überlebte, wird nun nachgeholt. Nach Angaben des BDEW befinden sich derzeit noch 20 größere Anlagen mit einer Leistung von 9000 Megawatt im Bau. In Europa insgesamt wird das Bauvolumen auf gut 160.000 Megawatt geschätzt. Ein gewaltiges Geschäft.

"In Europa steht eine Menge an", frohlockt Hitachi-Sprecher Helge Schulz. Und dass die Preise derart steigen, hängt ihm zufolge nicht nur an der hohen Nachfrage durch die Energieerzeuger. "70 Prozent der Leistungen werden zugekauft", sagt Schulz und weist hin auf den Stahl, der seit Jahren immer teurer werde. Vattenfall hatte das geplante Großkraftwerk in Hamburg-Moorburg mit 1,7 Milliarden Euro angesetzt, inzwischen werden es mindestens zwei Milliarden.

"Die Bücher sind voll“, sagt Angelika Thomas von der IG Metall, die im vergangenen Jahr einen umfangreichen Branchenreport über die Kraftwerksbauer erstellt hat. Hitachi, Siemens Power und Alstom haben inzwischen Probleme, Projektplaner, Ingenieure und überhaupt Facharbeiter zu bekommen. Doch daran werden Neubauten nicht scheitern. Obwohl Thomas zunehmend Berichte und Äußerungen registriert über eine bevorstehende "Kraftwerkslücke“. Das müsse wohl etwas zu tun haben mit der Lobbyarbeit für Atomkraft, meint die Metallerin.

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