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Wirtschaft: Krank während der Arbeitszeit

Berlin.

BERLIN . Ingo Kracht muß in den nächsten 14 Tagen zweimal wöchentlich zum Arzt, um eine Spritze setzen zu lassen. Der Arzt hat bis 18 Uhr Sprechstunde, die Arbeitszeit von Ingo Kracht endet um 17 Uhr. Darf er - auf Kosten des Arbeitgebers - die für seine Gesundheit wichtigen Spritzen während der Arbeitszeit bekommen und dennoch den vollen Lohn verlangen? Im Regelfall nicht. Denn der Grundsatz "Ohne Arbeit kein Lohn" aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch gilt heute so wie früher. Ausnahmsweise kann Arbeitsentgelt allerdings auch dann bezogen werden, wenn der Arbeitnehmer durch einen "in seiner Person liegenden Grund" - und ohne sein Verschulden - nicht arbeiten kann.Persönliche Hinderungsgründe, bei denen der Arbeitgeber Gehalt oder Lohn fortzuzahlen hat, können neben besonderen familiären Ereignissen wie Geburten, Todesfällen und Hochzeiten auch Erkrankungen und die damit zusammenhängenden Arztbesuche sein. Der Arbeitgeber muß aber seinen Beschäftigten den Arztbesuch während der Arbeit nur gestatten und bezahlen, wenn dies außerhalb der Arbeitszeit nicht möglich wäre. Arbeitnehmer Kracht muß sich also bemühen, den Doktor vor Arbeitsbeginn oder nach Arbeitsende aufzusuchen, wenn er keinen Verdienstausfall haben will.Wird allerdings während der Arbeitszeit ein Arztbesuch durch eine Verletzung oder eine akute Erkrankung unaufschiebbar, so muß die Firma den Arbeitnehmer in dem notwendigen Umfang von der Arbeit bezahlt frei stellen. Das ist zwar nicht im Detail im Gesetz geregelt, dafür aber in den meisten Tarifverträgen, wenn auch unterschiedlich je nach Industriezweig oder Gewerbe.Diese Verträge bestimmen meist, dass der Arbeitnehmer dann Anspruch auf Vergütung der für einen Arztbesuch benötigten Zeit hat, wenn der Arztbesuch nachweislich während der Arbeitszeit erforderlich ist, etwa bei starken Zahnschmerzen oder weil der Arzt bestimmte Untersuchungen nur zu bestimmten Zeiten vornimmt, und keine Dauerbehandlung vorliegt. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Grundsätze bestätigt. So hatte ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt einen Termin so festgesetzt, dass dafür die Arbeit unterbrochen werden musste - AZ: 5 AZR 92/82. Der Arbeitgeber könnte in solchen Fällen nicht darauf bestehen, dass sein Mitarbeiter einen Doktor mit "günstigeren Öffnungszeiten" konsultiert; niemand darf an der freien Arztwahl rütteln.In Betrieben mit gleitender Arbeitszeit ist der Arztbesuch während des Dienstes deshalb meist die Ausnahme, weil die Arbeitnehmer innerhalb einer bestimmter Zeitspannen Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit frei bestimmen können und sie folglich meist Gelegenheit haben, außerhalb der Kernzeit zum Arzt zu gehen. Doch auch hier gilt die Regel: Ist ein Arztbesuch unaufschiebbar oder bestellt der Arzt seinen Patienten zu einem bestimmten Termin, darf der Arbeitgeber nicht auf die Gleitzeit verweisen, sondern muss bezahlt "frei stellen" - ohne die Verpflichtung, die Ausfallzeit nachzuarbeiten.

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