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Wirtschaft: Krankes Kapital

Burn-out und Depressionen belasten immer mehr Menschen und kosten Milliarden Euro. Die WHO sieht im Stress und seinen Folgen eine der größten Gefahren des 21. Jahrhunderts

Wir sind getaktet. Aufstehen um sechs, zur Arbeit fahren, ein schnelles Mittagessen, wieder arbeiten, vielleicht noch ins Fitnessstudio, Freunde auf ein Bier treffen, ein bisschen Familienleben und dann ins Bett. Licht aus. Unser Leben planen wir minutiös. 24 Stunden, in denen wir Leistung bringen müssen: arbeiten, Sport treiben, sich gesund ernähren, den Freundeskreis pflegen. Dabei sind wir fast pausenlos vernetzt: via Blackberry, iPhone oder Laptop. Pro Tag wird ein Erwachsener, je nach Berufsgruppe, mit bis zu 30 000 Wörtern an Gedrucktem konfrontiert. Das ist doppelt so viel an Informationen, wie ein durchschnittliches Gehirn in dieser Zeit überhaupt verarbeiten kann. Wir sind gefordert. Und überfordert.

„Just in time“, dieser Anspruch macht uns das Leben schwer. Alles muss heutzutage zum richtigen Zeitpunkt vorhanden sein und funktionieren. Die Schraube, die es zu verarbeiten gilt. Der Karton, der gefaltet werden muss. Die Pommes Frites, die frittiert und gesalzen gehören. Richtig bedeutet dabei exakt. Warten möchte niemand mehr. Denn Wartezeit ist eine leere Zeit. Und die kostet Geld.

Der Preis dafür ist hoch. Maschinen können zu vorgegebenen Zeiten arbeiten, sie können quasi immer im Einsatz sein. Menschen nicht. Schon lange sind es nicht mehr nur die Führungskräfte, die dem ständig wachsenden Druck erliegen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht im Stress eine der größten Gefahren des 21. Jahrhunderts. Die Anzahl der Krankheitstage, die auf Stress und psychische Belastungen zurückzuführen sind, haben sich in den vergangenen sieben Jahren um knapp das Zwölffache erhöht, hat eine Studie des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen (BKK) ergeben. Ein Krankheitsfall, der auf Depressionen zurückzuführen ist, kostet das Unternehmen rund 25 Arbeitstage, hat die Hans-Böckler-Stiftung ermittelt.

Fußballtrainer Ralf Rangnick, Brandenburgs Ministerpräsident Mathias Platzeck, Starkoch Tim Mälzer – sie alle haben sich zum „Burn-out“ bekannt. Burn-out aber, das klingt nicht ganz so schlimm wie Depression und irgendwie auch nach Auszeichnung: „Ich habe viel, sehr viel gearbeitet“, signalisiert es. Dem Begriff haftet ein Hauch amerikanischen Bekennungswahns an – jede Befindlichkeit braucht eine medizinische Zuweisung. Trotzdem ist Burn-out kein medizinischer Fachbegriff. Populär wurde der Ausdruck durch den amerikanischen Schriftsteller Graham Greene: „A Burnt-Out Case“ war der Titel seines Buches, in dem ein desillusionierter Architekt seinen Beruf aufgab, um im afrikanischen Dschungel zu leben. Heutzutage beschreibt Burn-out ein Ausgebranntsein der körperlichen und seelischen Reserven.

Bevor Mitarbeiter den Job aufgeben, werden sie krank. Arbeitsbedingte psychische Störungen verursachen jährlich Kosten von rund 7,1 Milliarden Euro, hat die Hans-Böckler-Stiftung in einer aktuellen Studie errechnet. Zu den direkten Behandlungskosten kommen die Kosten des Arbeitsausfalls, Krankengeldzahlungen der Krankenkassen, Kosten krankheitsbedingter Frühverrentungen und Einnahmeverluste sowie Zusatzausgaben der Rentenversicherung. Rechnet man darüber hinaus die physischen Folgen psychisch belastender Arbeitsbedingungen hinzu – etwa Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems, Kreislauf- sowie Magen- und Darmerkrankungen –, ergibt sich ein weit größerer volkswirtschaftlicher Schaden. Die Forscher kommen insgesamt auf rund zehn Milliarden direkte und gut 19 Milliarden Euro indirekte Kosten.

„Mitarbeiter sind unser wertvollstes Kapital“, das hat man in den Führungsetagen vieler Unternehmen inzwischen erkannt. Zu dem Anglizismus „Just in time“ gesellt sich daher seit einigen Jahren ein weiterer: die „Work-Life-Balance“. Die Mitarbeiter sollen gesund bleiben. Denn betriebliche Präventionsprogramme nutzen nicht nur der Gesundheit der Beschäftigten, sondern lohnen sich auch wirtschaftlich, heißt es in dem Gutachten der Hans-Böckler-Stiftung. Zahlreiche Studien aus den USA belegten, dass sich Präventionsmaßnahmen in aller Regel auszahlen. Unterschiedlichen Untersuchungen zufolge erzielt ein in Gesundheitsprävention investierter Dollar Erträge zwischen zwei und zehn Dollar.

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