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Über 10 000 Tonnen mit krebserregendem Schimmelpilz verseuchtes Maisfutter ist im Umlauf gekommen.

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Update

Gift-Mais: Krebserregendes Futtermittel: Politik will mehr Kontrollen

Nach dem Skandal um hochgiftigen Futtermais will die Politik die Wirtschaft zur Kasse bitten. Weil die Eigenkontrollen nicht funktionieren, sollen die Unternehmen für die staatlichen Prüfungen zahlen.

Mit Massenkontrollen haben die Behörden am Wochenende versucht, das ganze Ausmaß des neuen Futtermittel-Skandals in Deutschland aufzudecken. Allein im am stärksten betroffenen Bundesland Niedersachsen hatten tausende Bauernhöfe verseuchten Mais aus Serbien erhalten. Dort hob das Land die Sperrung von 79 Höfen auf, weil Tests keine Auffälligkeiten bei der untersuchten Milch ergeben haben, wie das Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Laves am Sonntag mitteilte. In anderen Ländern sollen in den nächsten Tagen Ergebnisse vorliegen. Unklar blieb zunächst, ob der Skandal auch Innereien wie Leber und Niere betrifft. Politiker forderten bessere Kontrollen, deren Millionenkosten möglicherweise die Industrie übernehmen soll.

In Niedersachsen waren mehr Betriebe von dem Skandal betroffen als zunächst angenommen. Nach Angaben des Landwirtschaftsministerium von Samstagabend erhöhte sich die Zahl von 3560 auf knapp 4500. Neue Milchviehbetriebe seien aber nicht hinzugekommen. Landesweit waren dort am Sonntag mehr als 620 Milchproben bei betroffenen Betrieben genommen worden. Sie seien alle unauffällig gewesen, teilte die Landesvereinigung der Milchwirtschaft mit. Die Untersuchungen gingen unterdessen weiter. Auch in Nordrhein-Westfalen stieg die Zahl der betroffenen Betriebe mittlerweile deutlich von 15 auf 111. Unter ihnen seien neun Milchviehhalter, teilte das Verbraucherministerium in Düsseldorf mit.

Politiker drohten der Industrie mit Kontrollgebühren in Millionenhöhe. Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) und Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) brachten am Samstag die Gebühren ins Gespräch. Wenn die Kosten der Wirtschaft in Rechnung gestellt würden, könne der Staat 30 bis 50 Millionen Euro im Jahr sparen, sagte Meyer dem Magazin „Focus“. Aigner warf den Herstellern Versagen bei den Eigenkontrollen vor. Zu den Kontrollen sagte Aigner: „Es gab frühzeitig Hinweise von verschiedenen Seiten, doch diese wurden offenbar ignoriert.“ Die zuständigen Länderbehörden müssten „deutlich schärfer als bisher“ überwachen, ob die Unternehmen ihre Pflichten einhielten. „Wenn die Bundesländer ausreichende Kontrollen nicht leisten können, liegt es auf der Hand, die amtlichen Kontrollen in Zukunft stärker als bisher durch Gebühren zu finanzieren.“ Der Bundesrechnungshof habe festgestellt, dass die finanzielle und personelle Ausstattung der zuständigen Stellen in den Ländern oft unzureichend sei, sagte Aigner. „Kontrolle nach Kassenlage, das darf nicht sein.“ Foodwatch-Sprecher Martin Rücker sagte, der Bund habe sich gescheut, die Futtermittelindustrie zu systematischen Kontrollen zu verpflichten. „Wir haben bei Futtermittelkontrollen erhebliche Schwachstellen, die eigentlich auch bekannt sind“, sagte Rücker.

Am Freitag war bekanntgeworden, dass aus Serbien importierter Mais mit einem krebserregenden Schimmelpilz vergiftet ist. Der Mais wurde auch an Rinder verfüttert. Das Pilzgift Aflatoxin gelangte so in die Milch. Futtermittel mit verseuchtem Mais wurden auch an wenige Höfe und Betriebe in andere Bundesländer geliefert. Bio-Betriebe sind nach ersten Erkenntnissen nicht betroffen.

Ob neben der Milch auch andere Tierprodukte betroffen sind, war zunächst nicht bekannt. Niedersachsens Verbraucherschutzministerium teilte am Samstag mit, dass Leber und Nieren geschlachteter Tiere geprüft würden. Das Landwirtschaftsministerium in Schleswig-Holstein hatte bereits am Freitag erklärt, dass bis auf weiteres Lebern und Nieren von geschlachteten Tieren aus betroffenen Betrieben nicht „in Verkehr“ gebracht werden dürften.

Der Generalsekretär des Bauernverbandes, Helmut Born, sieht die Schuld im gegenwärtigen Schimmelpilz-Skandal beim Importeur. „Schuld ist in Lebensmittel-Skandalen immer derjenige, der unmittelbar für das Produkt Verantwortung trägt“, sagte Born. Im Fall des verseuchten Futtermaises habe ein großer Getreideimporteur offenbar eine große Charge Mais mit zu hohen Werten Aflatoxin in Serbien gekauft. Diese habe er an Futtermittelwerke weitergeliefert. „Das durfte er nicht. Das ist schlicht und einfach gesetzeswidrig“, erklärte Born. Damit sei die Schuldfrage eindeutig. Rechtliche Konsequenzen ließ Born offen.

Für den Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure ist es Zeit, den Bundesländern die Verantwortung für Lebensmittelkontrollen abzunehmen und die Kräfte zu bündeln, um die Probleme zentral angehen zu können. Der Verbandsvorsitzende Martin Müller forderte in der „Passauer Neuen Presse“ europaweit intensivere Kontrollen von Lebensmitteln: „Wir brauchen eine Art Lebensmittel-Europol.“ Foodwatch-Sprecher Martin Rücker sagte der Nachrichtenagentur dpa, der Bund habe es gescheut, die Futtermittelindustrie zu systematischen Kontrollen zu verpflichten. „Wir haben bei Futtermittelkontrollen erhebliche Schwachstellen, die eigentlich auch bekannt sind“, meinte der Sprecher der Organisation.

Die Recherche nach dem Alarm eines Milchbauern aus dem Kreis Leer vom 5. Februar hatte noch gut 14 Tage gedauert, bis eine Schiffsladung aus Brake an der Weser als Gefahrenquelle festgestanden habe. Am 22. Februar hätten die Ergebnisse der amtlichen Tests vorgelegen, die eine Belastung der Sendung aus Serbien mit Aflatoxinen über der Höchstmenge belegten. „Die Aflatoxinergebnisse in der Milch sind derzeit unseres Wissens unauffällig. Bisher sind keine Überschreitungen des Höchstwertes in verarbeiteten Produkten bekannt und werden auch nicht erwartet“, teile der Verband der Milchindustrie mit. Bei Routinekontrollen im Januar und Februar seien etwa 300 Proben aus Milchpools auf den giftigen Schimmelpilz Aflatoxin untersucht worden. Michael Kühne von der niedersächsischen Kontrollbehörde Laves sagte, die bisher entdeckten Werte in dem verschimmelten und damit giftigem Futter seien viel zu gering, als dass daraus über den Umweg der Kuh am Ende in einer Milchtüte eine Krebsgefahr für die Verbraucher entstehe. Die menschliche Leber sei imstande, die bisher entdeckte Belastung gefahrlos abzubauen.

Schimmelpilzgift ist eines der stärksten bekannten Pflanzengifte

Dass das verseuchte Futter nicht früher entdeckt wurde, ist dennoch merkwürdig, denn die Behörden und die Wirtschaft waren gewarnt. Nachdem aus der gesamten EU Schnellwarnmeldungen zu erhöhten Aflatoxin-Gehalten in Mais eingegangen seien, habe das Bundesverbraucherministerium bereits im vergangenen Oktober die für die Futtermittelkontrolle zuständigen Länderbehörden und die Wirtschaft auf die Gefahr erhöhter Aflatoxin-Gehalte aus der Maisernte des Jahres 2012 hingewiesen und um erhöhte Wachsamkeit gebeten, sagte ein Sprecher dem Tagesspiegel.

Das Schimmelpilzgift ist eines der stärksten bekannten Pflanzengifte. Bei einer Konzentration zwischen einem und zehn Milligramm pro Kilogramm können Aflatoxine für Menschen tödlich sein. Die Grenzwerte liegen für Milch bei 0,05 Mikrogramm pro Kilogramm, für Futtermais bei 0,02 Milligramm pro Kilogramm. Alfatoxin B1 ist stark krebserregend. Bei Tieren wie Menschen greift das Gift die Leber an. Außerdem hat es eine fortpflanzungshemmende Wirkung. Aflatoxine gehen leicht vom Futter in die Milch über. Fleisch und Eier sind verglichen damit weniger problematisch, weil die Tiere den Stoff dort schneller abbauen. In der Milch hält sich das Gift dagegen, weil es hitzebeständig ist und auch bei der Pasteurisierung der Milch nicht zerstört wird. Aflatoxin B1 kommt vor allem in tropischen und subtropischen Anbaugebieten vor, wo es teilweise bereits die noch auf dem Feld stehenden Maispflanzen angreift. Im Schnellwarnsystem der EU sind Aflatoxine die am häufigsten eingetragene Warnung.

Die Europäische Lebensmittelbehörde Efsa hat schon 2009 eine Studie darüber erstellt, dass Aflatoxine durch den Klimawandel zu einem größeren Problem werden könnten. In Serbien, wo die aktuelle Krise ihren Anfang nahm, hat sich das nun bewahrheitet. Im Sommer herrschte auf dem ganzen Balkan eine dramatische Hitzewelle und Dürre. Serbien hat schon deshalb eine schlechte Maisernte eingebracht. Doch dann musste der Mais nass geerntet werden und bei der Lagerung bildete sich Schimmel. Schon vor einem Monat hat Italien eine Maislieferung aus Serbien wegen erhöhter Aflatoxin-Werte zurück geschickt. Daraufhin hat das europäische Frühwarnsystem die Information an alle 27 EU-Mitgliedsstaaten weiter geleitet. In Serbien sind derweil 28 von 300 Milchsorten wegen der Schimmelpilzbelastung aus dem Verkauf genommen worden, schreibt "Die Zeit - online". Doch die Regierung in Belgrad sieht darin kein Gesundheitsproblem sondern eine politische Kampagne der Opposition. Agrarminister Goran Knezevic hat deshalb vor zwei Wochen vor laufenden Kameras ein Glas Milch ausgetrunken und behauptet: "Unsere Milch ist sicher." Gesundheitsministerin Slavica Dukic Dejanovic hält sie sogar für "absolut sicher". Zumindest sagt sie das. Und damit die Serben das auch glauben, deren Kinderärzte dringend davon abraten, die Milch Kindern zu geben, hat die Regierung am Donnerstag kurzerhand den Grenzwert vom mit der EU vor zwei Jahren vereinbarten Grenzwert von 0,05 Mikrogramm pro Kilogramm auf 0,5 Mikrogramm pro Kilogramm erhöht. Russland, die USA und Brasilien sowie das EU-Land Bulgarien hätten denselben Grenzwert, argumentiert Knezevic.

In Kroatien, Slowenien und Bosnien sind ebenfalls erhöhte Aflatoxin-Werte in der Milch gemessen worden. Sie haben das Problem entweder ebenfalls mit kontaminiertem Mais oder direkt durch Milcheinfuhren importiert. In Kroatien sind Zehntausende Liter Milch zu Marktpreisen aufgekauft worden und werden nun in Biogasanlagen entsorgt.

Dass Deutschland überhaupt Futtermittel importieren muss, liege an der Intensivhaltung, sagt Kathrin Birkel, Agrarexpertin beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Weil immer mehr Tiere auf engstem Raum leben, hätten die Tierhalter nicht genug Land, um selbst Futtermittel anzubauen. Obwohl bereits die Hälfte der 12 Millionen Hektar Ackerflächen in Deutschland für die Futtermittelproduktion genutzt werden, müsse Deutschland noch Futtermittel in großem Stil importieren. Etwa Soja aus Lateinamerika, das mit Pestiziden belastet ist. Die Futtermittelindustrie widerspricht. Von den 82 Millionen Tonnen, die deutsche Nutztiere pro Jahr fressen, seien nur 25 Prozent industriell gefertigtes Mischfutter, der Großteil stamme von Weiden oder Silagen. Auch der Mais komme vor allem aus Deutschland.

Die Politik hechelt den Skandalen hinterher. Am Donnerstag Abend beschloss der Bundestag eine Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs, das Futtermittelherstellern den Abschluss einer Pflichtversicherung vorschreibt, um Schadenersatzansprüche zu erfüllen. Der Beschluss hat aber nichts mit dem aktuellen Skandal zu tun, sondern ist eine Reaktion auf den Dioxin-Skandal in Futtermitteln aus dem Jahr 2010. Die damals beschlossenen Maßnahmen zahlen sich heute aus, meint das Bundesverbraucherministerium. So gibt es bereits seit August 2011 eine Pflicht für Labore, alle unerwünschten Stoffe bei Lebens- und Futtermitteln zu melden. Zudem wurde der Strafrahmen deutlich verschärft. Wer kontaminierte Futtermittel in den Verkehr bringt, kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft werden. Ob das reicht, wird sich zeigen, heißt es im Ministerium. Der Opposition reicht es auf jeden Fall nicht. „Aigner vertritt vor allem die Interessen der Wirtschaft“, kritisiert die verbraucherpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Elvira Drobinski-Weiß.

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