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Wirtschaft: Kritik an ungenauen Rentenbriefen wächst

Politiker und Forscher bezeichnen Informationen als „unseriös“ und fordern Nachbesserungen

Berlin (anw/asi/fw). Politiker und Experten haben am Mittwoch heftige Kritik an den Renteninformationen geübt. Der Rentenexperte Meinhard Miegel vom Institut für Wirtschaft und Gesellschaft bezeichnete die Renteninformationen gegenüber dem Tagesspiegel als „völlig unseriös“. Die angenommene Mindeststeigerung der Renten von 1,5 Prozent sei „völlig unhaltbar“. Die Schreiben in ihrer jetzigen Form seien eine „grobe Irreführung der Bevölkerung“. Thea Dückert, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, schloss sich der Kritik an. „Offensichtlich ist hier eine Nachbesserung notwendig“, sagte Dückert dem Tagesspiegel am Mittwoch.

Der Tagesspiegel hatte am Dienstag berichtet, dass die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) die von ihr verschickten Renteninformationen selbst für „unvollständig“ hält. Ein Sprecher von Bundessozialministerin Ulla Schmidt hatte „mögliche Korrekturen“ eingeräumt. Der BfAVorstandsvorsitzende Hartmann Kleiner bekräftigte am Dienstag, dass die per Post bisher an rund acht Millionen Bürger verschickten Vorausberechnungen „unvollständig“ sind. Vor allem die darin enthaltenen Szenarien einer jährlichen Rentenerhöhung um 1,5 und 3,5 Prozent seien „problematisch“. Den Versicherten werde noch nicht plastisch genug vor Augen geführt, was sie erwarte.

Die Grünen-Politikerin Thea Dückert forderte, die Renteninformationen müssten transparent und verständlich sein, und deutlich auf die Rentenlücke hinweisen. Es müsse auf den Schreiben klar gekennzeichnet sein, dass es notwendig sei, privat vorzusorgen, sagte Dückert.

Noch weiter gehen die Forderungen der grünen Jung-Abgeordneten Anna Lührmann. Im Herbst, sagte sie dieser Zeitung, „müssen die Informationen grundlegend verändert werden“. Neben der Einbeziehung demografischer Entwicklungen in die zu erwartende Rentenhöhe müsste den Versicherten eine „konkrete Empfehlung“ gegeben werden, in welchem Umfang sie privat vorsorgen müssten, damit sie ihren Lebensstandard im Alter halten könnten. „Wir brauchen ehrliche Informationen“, sagte Lührmann. Die Politikerin vermutet allerdings, dass „sich gerade ältere Funktionsträger vor so viel Ehrlichkeit fürchten“. Denn dann, so Lührmann, würde sehr rasch klar werden, wie notwendig eine Beteiligung der heutigen Renter an der Reform des Solidarsystems sei.

Rentenexperte Miegel sieht es als sehr wahrscheinlich an, dass das Rentenniveau in den kommenden Jahren sinken wird. Wegen der demografischen Entwicklung würden sich die Renten sehr viel schwächer entwickeln als die Wirtschaftsentwicklung und die Arbeitseinkommen. „In den Renteninformationen müssen reale und keine nominalen Zahlen stehen“, forderte Miegel. Das Schreiben müsse darüber informieren, dass die Kaufkraft der Rentner in den letzten 23 Jahren gleich geblieben sei – und es wahrscheinlich sei, dass diese in den nächsten Jahren sinken werde. Miegel schlägt für die Berechnung einen Anstieg von 0,7 bis einem Prozent vor – zusammen mit dem klaren Hinweis, dass das vorhergesagte Niveau durchaus nicht erreicht werden könnte. Miegel forderte ebenfalls, dass idealerweise der Hinweis für die Notwendigkeit privater Vorsorge auf den Briefen der Bundesanstalt stehen müsse.

Bisher ist dies kaum der Fall. Zwar weist die BfA in ihrem Schreiben darauf hin, dass die private Altersvorsorge „zukünftig eine wichtigere Rolle spielen“ wird. Andererseits verspricht sie weiterhin einen „Anspruch auf umfassende soziale Absicherung“. Die Versicherten könnten darauf „auch in Zukunft vertrauen“.

Damit aber verletzt die BfA offenbar ihre Pflichten. „Laut Gesetz muss es das Ziel der Rentenbriefe sein, das Bewusstsein der Bürger für die private Altersvorsorge zu stärken“, erklärt Dieter Bräuninger von der Deutschen Bank Research. „So wie die Schreiben aussehen, laufen sie dieser Intention zuwider.“ Es sei wichtig, dass den Bürgern „reiner Wein“ eingeschenkt werde, derzeit würden sie noch viel zu wenig privat vorsorgen, sagte Bräuninger.

Auch von Seiten der privaten Versicherungen kam Kritik. „Die Annahme einer 3,5-prozentigen Rentenerhöhung ist sehr hoch gegriffen“, sagte Oliver Santen, der Sprecher der Allianz-Versicherung, dem Tagesspiegel. Es bestehe dadurch die Gefahr, dass sich „die Bürger in einer Sicherheit wiegen, die es nicht gibt“.

Bei der Gothaer Versicherung sieht man das BfA-Schreiben gelassener: „Egal ob mit Brief oder ohne – die meisten Menschen verlassen sich sowieso nicht mehr auf die gesetzliche Rentenversicherung“, sagt Sprecherin Corinna Hartmann.

Eine Umfrage des Unternehmens habe ergeben, dass 70 Prozent der gesetzlich Versicherten kein Vertrauen in die Rente hätten und zusätzlich privat vorsorgen möchten, sagte die Sprecherin.

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