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Wirtschaft: Kündigungsschutz am Arbeitsmarkt vorbei Die Agenda 2010 bringt Lockerungen, aber keine vernünftige Deregulierung

Von Jobst-Hubertus Bauer

Die Bundesregierung hat im Juni als Teil der Agenda 2010 den „Entwurf eines Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt“ vorgelegt. Das Gesetz soll schon am 1. November in Kraft treten – und wirkliche Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt bringen.

So soll beispielsweise eine Lockerung des Kündigungsschutzes in Betrieben mit mehr als fünf Beschäftigten erreicht werden, indem befristet beschäftigte Arbeitnehmer bei der Ermittlung des Schwellenwertes nicht mehr mitgezählt werden. Allein diese Regelung zeigt aber schon, dass mit der Reform nicht die erhoffte Belebung des Arbeitsmarktes gelingen wird. Befristete Beschäftigungsverhältnisse dürfen nämlich nur bis zu einer Höchstdauer von zwei Jahren eingegangen werden. Kommt es zu der Reform, wird ein KleinArbeitgeber bei Ablauf der Befristung vor die missliche Situation gestellt, eine möglicherweise gute Kraft gegen einen neu und befristet einzustellenden Arbeitnehmer austauschen zu müssen. Und das nur, damit der allgemeine Kündigungsschutz für die Stammkräfte vermieden werden kann.

Die geplante Regelung würde aber auch dazu führen, dass gekündigte Arbeitnehmer eines (vermeintlichen) Kleinbetriebs den allgemeinen Kündigungsschutz für sich mit der Begründung reklamieren, die befristete Beschäftigung des Kollegen sei unwirksam. Dieser Frage müsste in einem Arbeitsgerichtsprozess selbst dann nachgegangen werden, wenn sich der befristet beschäftigte Kollege gar nicht auf die Unwirksamkeit der Befristung berufen will. Eine aberwitzige Konsequenz.

Vernünftige Schritte zu mehr Rechtssicherheit stellen dagegen die beabsichtigte einheitliche dreiwöchige Klagefrist für alle Unwirksamkeitsgründe und die Veränderungen bei der Sozialauswahl im Rahmen betriebsbedingter Kündigungen dar. Die Kriterien für die soziale Auswahl sollen auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Zahl der Unterhaltspflichten begrenzt werden.

Gut ist auch die Beschränkung der gerichtlichen Überprüfung der Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit, wenn die Gewichtung der Kriterien in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen verbindlich festgelegt ist oder sich Arbeitgeber und Betriebsrat im Rahmen eines Interessenausgleichs auf eine Namensliste einigen.

Dagegen ist die Formulierung für die so genannten Leistungsträger nicht ausreichend. Damit will der Gesetzgeber dafür sorgen, dass bei betriebsbedingten Kündigungen diejenigen verschont werden können, die zwar nach der Sozialauswahl zu kündigen wären, deren Leistung für das Unternehmen aber unverzichtbar ist. Mit seinem Urteil vom 12. April 2002 hat das Bundesarbeitsgericht (Aktenzeichen 2 AZR 706/00) dazu erkannt, dass der Arbeitgeber trotzdem das Interesse des sozial schwächeren Arbeitnehmers gegen das betriebliche Interesse an der Sonderbehandlung des Leistungsträgers abwägen muss. Dadurch aber wird verhindert, dass der Arbeitgeber mehr Rechtssicherheit und Flexibilität bekommt, wenn es darum geht, die Leistungsträger im Unternehmen zu behalten. Das Mindeste wäre, auch hier die gerichtliche Nachprüfbarkeit auf grobe Fehlerhaftigkeit zu beschränken.

Die vorgesehenen Maßnahmen reichen bei weitem nicht für eine vernünftige Deregulierung und Entbürokratisierung des Arbeitsrechts. Nennenswerte Impulse für den Arbeitsmarkt könnten nur erwartet werden, wenn etwa der Beginn des Kündigungsschutzes von sechs Monaten auf zwei Jahre Beschäftigungsdauer hinausgeschoben und der Schwellenwert auf 20 Arbeitnehmer angehoben würde. Außerdem braucht der Markt ein für beide Seiten verlässliches Kündigungsschutzsystem, das im Fall einer sozial ungerechtfertigten Kündigung nicht den Bestandsschutz, sondern eine Abfindung in den Vordergrund stellt.

Der Autor (Foto: promo) ist Arbeitsrechtler und Partner der Kanzlei Gleiss Lutz, Stuttgart .

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