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Wirtschaft: Kungeln in der Krise

Entlassungen lassen sich oft vermeiden – IG Metall und Arbeitgeber zeigen Firmen die Alternativen

Berlin. Constanze Lindemann und Horst Wienand von der „Personaltransfer Informationsstelle“ arbeiten Schreibtisch an Schreibtisch im Berliner DGB-Haus. Lindemann kommt von der IG Metall, Wienand vom Verband der Metallindustrie. Grund für das ungewöhnliche Teamwork: Seit einem Jahr versuchen die beiden, bei Entlassungen zu helfen. Die Zusammenarbeit von Gewerkschaft und Arbeitgeberverband trägt dazu bei, das Misstrauen zwischen Geschäftsführern und Betriebsräten zu überwinden. Inzwischen trudeln immer mehr Hilferufe bei der vom Europäischen Sozialfonds und der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen finanzierten Informationsstelle ein.

22 Berliner Unternehmen mit bis zu 250 Arbeitnehmern haben Lindemann und Wienand bisher beraten. Darunter ist auch das Ostberliner Traditionsunternehmen Macon-Bestahl GmbH. Die Firma, die unter anderem die Stahlkugel des Fernsehturms am Alex und die neue Lichtkuppel auf dem Dach des KaDeWe gebaut hat, musste in diesem Sommer Insolvenz anmelden. „Der Insolvenzverwalter hatte erst eine Transfergesellschaft zur Weiterbeschäftigung und Qualifizierung zugesagt, das Angebot wegen Geldmangels aber wieder zurückgezogen", erinnert sich Lindemann. In Gesprächen mit dem Betriebsrat habe die Informationsstelle den „demoralisierten“ Mitarbeitern wieder Hoffnung gegeben. „Wir haben hier wie so oft gemerkt, dass die Verantwortlichen über viele Alternativen gar nicht Bescheid wissen“, sagt Wienand. Bestahl-Betriebsratsvorsitzender Norbert Buske sieht das genauso: „Ich habe mich für sowas nie interessiert. Wir hatten andere Probleme.“ Die Tipps der Informationsstelle überzeugten schließlich auch den Insolvenzverwalter: Ein Sozialplan und Interessenausgleich wurde ausgehandelt sowie Mittel für eine Transfergesellschaft aufgetan. „Wir wissen jetzt, dass wir sogar von der EU Geld bekommen können. Außerdem haben wir sechs Monate Zeit gewonnen, um doch noch Investoren zu finden“, sagt Buske.

Insgesamt beließen es neun der beratenen Mittelständler bei einem einmaligen Gespräch, bei sieben wurden Transfergesellschaften gegründet und für die restlichen sechs fanden sich Lösungen wie Gehaltsreduzierungen oder Förderung durch das Job-Aktiv-Gesetz. Nicht immer vertreten Lindemann und Wienand dabei dieselbe Position. In einem Fall hatte die Geschäftsleitung kein Interesse, den Betriebsrat in die Beratungen einzubeziehen. „Dafür habe ich mich dann einsetzen müssen", sagt Gewerkschaftsvertreterin Lindemann.

In drei Viertel der Fälle kamen die Betriebsräte auf die Informationsstelle zu. Die Arbeitgeber handeln meist zögerlicher: „Viele scheuen sich, interne Probleme an die große Glocke zu hängen", erklärt Wienand. Da helfe es sehr, wenn sie von ihrem Betriebsrat erfahren, dass auch ein Arbeitgebervertreter in der Infostelle sitzt. „Vor drei Wochen haben wir eine Firma besucht und vorgeschlagen, Zuschüsse für den Sozialplan zu nutzen und dann eine Transfergesellschaft zu gründen", erzählt Wienand. Ob es dazu kommt, darauf haben sie keinen Einfluss: „Teilweise sind wir sehr enttäuscht. Da gibt es Möglichkeiten, Entlassungen zu vermeiden, aber eine oder beide Parteien blockieren.“

Als greifbares Ergebnis können Lindemann und Wienand einen 200 Seiten dicken Ordner vorweisen, in dem sie ihre Erkenntnisse für andere Unternehmen zusammengetragen haben. Das Gemeinschaftsprojekt selbst läuft noch bis zum 31. März 2003. Ob die Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Arbeitgebervertretern dann weiter finanziert wird, will der Senat in den nächsten Monaten entscheiden. „Der Bedarf dafür ist in jedem Fall da", meint Lindemann: „Für Berlin werden dieses Jahr 3000 Insolvenzen erwartet.“

Susanne Herr

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