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Wirtschaft: Kursrutsch als Warnung

In Estland gehen Nationalbank und Regierung auf SparkursVON REINHOLD VETTER, TALLINNWährend des Luxemburger EU-Gipfels wird Estland als einziger baltischer Staat eine Einladung zu Beitrittsverhandlungen erhalten.Aber auch in diesem, vielfach als "Wirtschaftswunderland" bezeichneten Staat steht nicht alles zum Besten.

In Estland gehen Nationalbank und Regierung auf SparkursVON REINHOLD VETTER, TALLINN

Während des Luxemburger EU-Gipfels wird Estland als einziger baltischer Staat eine Einladung zu Beitrittsverhandlungen erhalten.Aber auch in diesem, vielfach als "Wirtschaftswunderland" bezeichneten Staat steht nicht alles zum Besten. Gerade Helo Meigas, die Leiterin der Talliner Wertpapierbörse, mußte in jüngster Zeit herbe Erfahrungen machen.Nach dem 23.Oktober ging der Börsenindex Talse um mehr als 50 Prozent zurück.Angesichts der geringen Marktkapitalisierung, die Anfang Oktober umgerechnet etwa 3 Mrd.DM betrug, reichte der Rückzug nur weniger Investoren, um einen Preissturz auszulösen.Noch ist dieser Abwärtstrend nicht gebrochen.Zuvor hatte die Börse seit ihrer Gründung Ende Mai 1996 einen kontinuierlichen, mitunter atemberaubenden Aufschwung erlebt. Meigas sieht mehrere Gründe für die Krise.Auch Tallinn, so meint sie, sei vom internationalen Vertrauensschwund für die Aktienmärkte nicht verschont geblieben.Des weiteren hätten pessimistische Berichte der internationalen Presse über die estnische Konjunkturentwicklung und über den Negativsaldo in der Leistungsbilanz sowie Spekulationen über eine mögliche Abwertung der Krone eine Rolle gespielt.Nicht ohne Einfluß sei auch das Verhalten der einheimischen Banken gewesen, die zunächst durch einschlägige Kredite die "Hausfrauen-Hausse" an der Börse gefördert hätten.Als die Banken dann aber aufgrund verschärfter internationaler Kreditbedingungen in Refinanzierungsschwierigkeiten geraten seien, hätten sie zum Rückzug von der Börse geblasen.Helo Meigas empfindet die jüngste Entwicklung als Warnung, die gerade für private Anleger aber auch heilsam sei. Vahur Kraft, Präsident der estnischen Nationalbank gibt sich auch deshalb gelassen, weil die Börsenprobleme kaum die makroökonomische Entwicklung widerspiegeln.So stieg das BIP im ersten Halbjahr 1997 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 11,7 Prozent, für das ganze Jahr erwartet man ein Wachstum von 7­8 Prozent, die Inflation dürfte im Jahresdurchschnitt bei 10­12 Prozent liegen.Der Export wächst schneller als der Import, die kumulierten ausländischen Direktinvestitionen haben inzwischen einen Wert von 14 Mrd.Kronen erreicht. Allerdings gibt es auch einen gravierenden Negativsaldo in den Außenbilanzen.Die expansive Kreditvergabe der Banken über den Weg der Refinanzierung im Ausland hat die Volkswirtschaft an einem empfindlichen Punkt getroffen.Denn die immer höheren Kapitalimporte dienten im wesentlichen auch dazu, die steigenden Außendefizite zu finanzieren.Kraft argumentiert, Leistungsbilanzdefizite seien für emerging markets wie Estland, die bei ihrer marktwirtschaftlichen Entwicklung stark auf ausländische Investitionen angewiesen seien, ganz normal. Die Defizite einzelner asiatischer Staaten lägen bei 6­9 Prozent, Estland registriere gegenwärtig etwa 8,6 Prozent. Um gegenzusteuern, hat die Nationalbank mit Wirkung vom 1.Juli bzw.1.Oktober 1997 die Bankenregularien deutlich verschärft.So werden die Banken mit höheren Mindestreserveverpflichtungen belastet, wenn sich ihre Verbindlichkeiten bei ausländischen Banken erhöhen.Des weiteren hat man eine Liquiditätsreserve eingeführt.Außerdem wurde der Satz für die Eigenkapitaldeckung der risikogewichteten Aktiva von 8 auf 10 Prozent erhöht. Die Regierung wiederum strebt für 1998 einen Staatshaushalt mit einem Überschuß von 1 ­ 1,2 Prozent des BIP an, um die Inlandsnachfrage zu dämpfen, zum Sparen anzuregen und Rücklagen anzulegen.Trotz der gegenwärtigen parlamentarischen Auseinandersetzungen um das Budget dürfte sie dieses Ziel wohl erreichen.Kraft wertet die straffe Fiskalpolitik der Regierung und auch die jüngsten Zentralbankbeschlüsse als Signal an internationale Investoren und als Hinweis darauf, daß Estland makroökonomische Probleme lösen könne. Der Überschuß für 1998 und auch Mittel aus dem diesjährigen Haushalt werden in einen Stabilisierungsfonds überführt, der nach Angaben des Vizepräsidenten der Bank von Estland, Peeter Lohmus, bis Jahresende 700 Mill.Kronen und bis 31.Dezember 1998 1,9 Mrd.Kronen umfassen soll.Aufgabe der Nationalbank ist es, diese Gelder in ausländischen Papieren anzulegen.

REINHOLD VETTER[TALLINN]

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