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Wirtschaft: Kurz vor den Wahlen in Russland verstärkt der Kreml den Druck auf die großen Staatsunternehmen

An einem frischen Herbstmorgen des vergangenen Monats tauchten zwei Dutzend Männer Kettensägen schwingend am Eingang des russischen Ölpipeline-Monopols auf. Das Ziel der vom Innenministerium entsandten Truppe: Die Präsidenten-Suite, in der sich seit drei Tagen der Chef von Transneft verschanzt hatte.

An einem frischen Herbstmorgen des vergangenen Monats tauchten zwei Dutzend Männer Kettensägen schwingend am Eingang des russischen Ölpipeline-Monopols auf. Das Ziel der vom Innenministerium entsandten Truppe: Die Präsidenten-Suite, in der sich seit drei Tagen der Chef von Transneft verschanzt hatte. Dmitrij Saweljew war entlassen worden, weigerte sich aber, seinen Platz zu räumen. Warum die Entlassung? Die Regierung, der 75 Prozent von Transneft gehören, behauptet, Saweljew habe das Monopol zugrunde gewirtschaftet und Mittel des Unternehmens veruntreut. Saweljew hingegen erzählt eine andere Version der Geschichte: Er sei entlassen worden, weil er sich weigerte, die politischen Spiele des Kremls zu finanzieren.

Die herannahenden Wahlen im Blick, verstärkt der Kreml seinen Griff auf die Staatsmonopole des Landes. Er tauscht die Spitzenmanager von Unternehmen aus, die nicht gefügig sind. Denn die großen Staatsmonopole werden mit ihrer Macht und ihrem Geld mit darüber entscheiden, wer im Dezember ins Parlament einzieht. Und - weit wichtiger - wer im kommenden Sommer Präsident Boris Jelzin nachfolgt. Zu den bisherigen Opfern gehört nicht nur Transneft, sondern auch Gazprom und die Telekommunikations-Holding Swjasinwest. Alle drei Unternehmen haben großen Einfluß auf den Ausgang der Wahlen: Sie können schwankende Gouverneure schützen und die öffentliche Meinung beeinflussen. Gazprom kann in widerspenstigen Regionen sogar die Elektrizität, Heizung und das Gas zum Kochen abdrehen.

Jelzin und sein Gefolge sind nicht die einzigen Politiker, die versuchen, sich die Macht der Monopolisten zunutze machen. Doch niemand betreibt dies so stark wie der unbeliebte Jelzin, seine Familie und seine Berater, die gegenwärtig in einem Sumpf von Korruptionsvorwürfen stecken. "Die Familie", so die Bezeichnung der russischen Presse für die informelle Gruppe von Kreml-Beratern, kämpft darum, dass der jetzige Premierminister Wladimir Putin Präsident wird. Die Gruppe ist klein, verschwiegen und einflussreich. Zu ihr gehören unter anderem Jelzins Tochter Tatjana Djatschenko und die Großindustriellen Boris Beresowskij und Roman Abramowitsch. Einige, wenn nicht sogar alle Mitglieder der "Familie", haben Angst vor Vergeltung, sollten Jelzins Gegner die Präsidentschaftswahlen gewinnen. So hat Beresowskij angekündigt, das Land zu verlassen, wenn Jewgeni Primakow, der beliebte frühere Premierminister und Geheimdienst-Chef der Sowjetära, der nächste russische Präsident wird.

Mit diesen Kreml-Beratern geriet der frühere Transneft-Chef diesen Sommer aneinander. Saweljew sagt, er habe es abgelehnt, der regionalen Regierung von Kemerowo ein zinsloses Darlehen zu gewähren. Der Energieminister Viktor Kaluschnij und der Erste Vize-Premierminister Nikolaj Aksenenko - zwei Kabinettsmitglieder mit engen Verbindungen zum inneren Kreml-Kreis - hätten ihn bedrängt, der Landesregierung der armen Kohleregion 150 Millionen Rubel zu leihen. Obwohl er gewusst habe, dass der Kredit niemals zurückgezahlt werde, habe er im Juni unwillig 50 Millionen Rubel dorthin geschickt. Als die Minister nach den restlichen 100 Millionen Rubeln verlangten, sträubte sich Saweljew. Er legte das Ersuchen dem Transneft-Aufsichtsrat vor. Dieser lehnte es rundweg ab.

Warum sollte das Kabinett von Präsident Jelzin ein Interesse daran haben, dass Transneft der Kemerowo-Landesregierung ein Darlehen gibt? Mit dem Kredit wolle der Kreml den linken Regierungschef der traditionell kommunistischen Region, Aman Tulejew, hofieren, um sich seine Unterstützung für die kommenden Wahlen zu sichern, meinen Experten. Im gleichen Monat, als Kemerowo die 50 Millionen Rubel erhalten hat, machte Tulejew abfällige Bemerkungen über die kommunistische Partei und schien sich von ihr zu distanzieren, obwohl er noch auf dem Wahlzettel der Kommunisten für die Parlamentswahlen im Dezember steht.

Einen Monat, nachdem Saweljew die Bitte um ein Darlehen abgewiesen hatte, wurde er entlassen. "Ich wollte ein Manager sein, der im Auftrag der Regierung das Pipeline-System voranbringt und nicht um Geld hin und her zu schieben", sagt Saweljew. Trotz wiederholter Anfragen lehnten die Herren Kaluschnij und Aksenenko eine Stellungnahme ab. Stattdessen warf man dem früheren Unternehmens-Chef vor, das Unternehmen schlecht geführt, Steuerschulden angehäuft und Gelder veruntreut zu haben. Für zwei Millionen Dollar soll er sich ein Appartement gekauft haben.

Unsinn, sagt der 31-jährige Saweljew. Mitte September sei ein prominentes Mitglied der "Familie", der Geschäftsmann Roman Abramowitsch, auf Saweljew zugekommen. Bei einer Tasse Kaffee in einem luxuriösen Moskauer Hotel habe Abramowitsch dem widerständigen Transneft-Präsident geraten, sich ruhig zu verhalten. "Er sagte mir, ich würde gegen Windmühlen kämpfen und dass die Räder bereits in Bewegung seien", sagt Saweljew. "Und dass ich auf verlorenem Posten stünde und für mich alles sehr schlecht und schmerzlich enden würde".

Am Ende war es recht einfach, den Widerstand von Transneft zu brechen. Es erforderte nur im richtigen Augenblick den Einsatz einiger Kettensägen. Viel schwieriger war es Gazprom, Russlands größtes und mächtigstes Unternehmen, in den Griff zu bekommen. Vor nicht allzu langer Zeit unterhielt der Staat enge Beziehungen mit dem Gas-Giganten. Während der Kampagne für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 1996, als der frühere Gazprom-Chef Viktor Tschernomyrdin noch Premierminister war, hingen sogar Pro-Jelzin-Poster an den Wänden der Unternehmenszentrale. Aber die Beziehung verschlechterte sich, als Gazprom in diesem Jahr seine Sympathie den Kreml-Gegnern Primakow und dem Moskauer Bürgermeister Jurij Luschkow schenkte.

Im August berief Energieminister Kaluschnij eine außerordentliche Aktionärsversammlung ein, um den widerspenstigen Gazprom-Vorstandsvorsitzenden, Rem Wjakirew, zu entlassen. Das gelang dem Minister nicht. Dafür schaffte er es, die Anzahl der Staatsvertreter im elfköpfigen Aufsichtsrat von vier auf fünf zu erhöhen. Der Staat hält 38,37 Prozent der Anteile an Gazprom. Beresowskij unterstützte den Sturzversuch, indem er öffentlich Wjakirews Entlassung forderte.

Die Anstrengungen der "Familie" sind verständlich. Der politische Einfluss von Gazprom ist ungeheuer groß. Zum einen kann der Monopolist einfach die Gaszufuhr stoppen. Diese Strafmaßnahme wurde vergangenen Monat gegen die seperatistische Republik Tschetschenien ergriffen. Gazprom ist außerdem an mehreren überregionalen und regionalen Zeitungen beteiligt. Und ihm gehören 30 Prozent der Aktien des meist gesehenen russischen Fernsehkanals NTV.

Unterstützt das Gasmonopol den Anti-Kreml-Ton des Fernsehsenders? Dafür spricht, dass Gazprom dem Mutterunternehmen von NTV, Media-Most, kürzlich Kredite im Wert von 300 Millionen Dollar bewilligt hat. Wie Gazprom seinen politischen Einfluss in den Wahlen einsetzen wird, ist unklar. Der 65jährige Wjakirew sah verlegen und versöhnlich aus, als er aus der Aktionärsversammlung herauskam. Damit löste er Spekulationen aus, er habe zugestimmt, den Kreml zu unterstützen, um nicht entlassen zu werden. Aber die negative Berichterstattung über Jelzin und seine Familie hat seitdem in NTV zugenommen, so dass hinter die Loyalität von Gazprom ein Fragezeichen zu setzen ist.

Jeanne Wahlen

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