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Präsident und Minister. Mario Ohoven vom Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel.

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Lacher bei Neujahrsempfang: Wie Wirtschaftsminister Gabriel den Mittelstand einwickelt

Mindestlohn eingeführt, die abschlagsfreie Rente mit 63 beschlossen: Es gab Zeiten, da wäre der Wirtschaftsminister, der das zu verantworten hat, bei einem Fest des deutschen Mittelstandes ausgepfiffen worden. Sigmar Gabriel (SPD) holte sich Lacher ab. Eine Redeanalyse

Den einen oder anderen Spruch in dieser Rede am Donnerstagabend hat man so oder ähnlich schon von ihm gehört. Aber einem Politiker wie Bundeswirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel, der quasi täglich mindestens eine öffentliche Rede hält, mag man verzeihen, wenn er schon wieder erzählt, dass seine Eltern ihm vor allem zwei Dinge mit auf den Weg gegeben hätten: „Du sollst es einmal besser haben als wir“ und „Streng Dich an, dann wird auch was aus Dir“. Und nach einer Kunstpause: „Heute streitet meine Familie darüber, ob das auch gelungen ist“.

Zwei Standards aus dem Wertekanon der Nachkriegsgeneration, dazu ein Schuss Koketterie: Fertig ist die Pointe.  So provozierte Gabriel einen der ersten Lacher beim Neujahrsempfang des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) im Berliner Hotel Maritim.

Bedrückendes Schweigen, spontaner Applaus

In den rund 40 Minuten vor etwa 2000 Unternehmern, Verbandsvertretern und Ehrengästen im Saal erzeugte Gabriel zudem mehrfach bedrückendes Schweigen, dann wieder spontanen Applaus. Er halte die Ansprache anstatt einer eigens vorbereiteten. „In dem Manuskript stehen viele freundliche Sachen über den Mittelstand drin. Ich kann sie ihnen später gern geben, wenn sie möchten, Herr Ohoven“, rief er dem Gastgeber, Verbandspräsident Mario Ohoven, zu. Tatsächlich erzeugte Gabriel den Eindruck, er spreche völlig frei und spontan, was den Auftritt sehr kurzweilig machte.

Gastgeber Ohoven hatte die Gäste zuvor eingenordet, als er Ergebnisse einer von ihm in Auftrag gegebenen Umfrage unter gut 2000 Bürgern referierte: Demnach würden mehr als ein Drittel (36 Prozent) befürchten, dass ein gleicher Mindestlohn für alle Branchen und Regionen Arbeitsplätze in Deutschland gefährde. Gar 44 Prozent würden meinen, der Mindestlohn werde die Bürokratie in kleinen und mittleren Unternehmen noch vergrößern. Die Ergebnisse seien „eine bittere Pille für Schwarz-Rot“, urteilte Ohoven. Auch das Votum zur Rente solle die Bundesregierung nachdenklich stimmen.

„Sie sind Mitglied im Verein für deutliche Sprache“, sagte Gabriel an die Adresse des Verbandschefs. „Das Problem… Das bin ich auch!“ Noch ein Lacher.

Erfahrungen aus der Schulzeit

Gabriel räumte in dieser bemerkenswerten Rede fast alle Kritikpunkte ab, wobei er mehrfach einen simplen rhetorischen Kunstgriff nutzte: Er stellte sich auf die Seite seiner Zuhörer. „Wir, die politische und wirtschaftliche Elite, können uns oft nicht vorstellen, dass es Leute in diesem Land gibt, die verdammt hart arbeiten für verdammt wenig Geld“, sagte er an einer Stelle.

Siegmar Gabriel leitet rhetorische Lockerungsübungen im Schnitt alle drei Minuten ein.
Siegmar Gabriel leitet rhetorische Lockerungsübungen im Schnitt alle drei Minuten ein.

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Mit einem ähnlichen Kniff, aber raffinierter, fädelte er seinen nächsten Lacher ein. Zunächst in sehr ernstem Ton, garniert mit Erfahrungen aus seiner Schulzeit, berichtete er von dem Problem, dass immer mehr junge Leute studieren, „zwei Jahre in die falsche Richtung laufen“, dann abbrechen, anstatt gleich eine Ausbildung zum Facharbeiter zu machen.

Willy Brandt, unter dem die Hochschulbildung in diesem Land für breite Schichten geöffnet wurde, war in diesem Moment weit weg. Dafür sprach Gabriel, der sich zudem mehrfach auf seinen Vorgänger Ludwig Erhard berief, vielen Zuhörern aus der Seele.

Realschüler, fuhr Gabriel fort, würden nach der Klasse 10 weitermachen, Klassen 11, 12, 13. „Und dann gehen die Sozialpädagogik studieren!“ Auch der Satz ein Volltreffer. Noch ins Saalgelächter hinein schob der Minister hinterher, das sei alles nur Ironie. Nicht, dass jetzt eine Zeitung schreibe, er habe etwas gegen Sozialpädagogen.

Der kalkulierte Witz über die Sozialpädagogen

„Sozialpädagogen“. Da schmunzelte der mutmaßlich kleinere Teil der Zuhörer, der weiß, dass Gabriel selbst einst Germanistik, Politik und Soziologie studiert hat und sein Geld einst als Studienreferendar in Goslar verdiente. Der Teil der Zuhörerschaft, der es nicht wusste, lachte. Dass das Wort „Sozialpädagoge“ unter Chefs und Eigentümern von Unternehmen aus technologiegetriebenen Branchen – und die stützen nun einmal den Mittelstand – reflexartig Spottgefühle auslöst, spürt Gabriel offenbar instinktiv.

Mit einen weiteren Witz fegte er auch die einschlägigen Verbandsforderungen zur Förderung von privaten Investitionen beiseite. Da geht es dem BVMW vor allem um, natürlich, neue Abschreibungsmöglichkeiten, also Steuererleichterungen. „Ich darf ihren Vorschlägen nicht zustimmen“, erklärte Gabriel mit Bedauern in der Stimme. „Sonst müsste ich, wenn ich beim Finanzminister vorbeigehe, meinen Personenschutz verdoppeln“. Gabriel auch hier auf der Seite der Zuhörer.

Der Staat ist kein Dieb

Derartige Lockerungsübungen leitete der Minister im Schnitt alle drei Minuten ein. Dazwischen konnte er auch seine ernsten Punkte unterbringen. Bei einem Thema erntete er sogar auch ein unfreundliches „Uuuhhhhhh“ aus dem Saal. Er hatte gewagt, den Mittelständlern zu sagen: „Wir ziehen Ihnen als gewählte Vertreter nichts aus der Tasche“. Uuuuhhhh.

Gabriel erklärte, warum er dagegen sei, dass man den Staat als Dieb darstelle. „Wenn Ohoven sagt, der Staat zieht den Leuten das Geld aus der Tasche, dann versteht das im Saal hier jeder. Da draußen versteht das aber nicht jeder. Und bei den Pegida-Reden heißt es dann: Der Staat ist ein Dieb“. Man könne lange darüber streiten, ob demokratisch gewählte Volksvertreter Steuern immer richtig erheben würden und das Geld richtig ausgeben. Aber man solle bitteschön nicht grundsätzlich in Frage stellen, dass der Staat Geld einnimmt. Gabriel mal ganz präsidial.

In dem Zusammenhang sprach sich Gabriel für eine finanzielle Stärkung der Kommunen aus, die ja die ganze Infrastruktur bezahlen müssen: Schulen und Straßen. Auch das kommt an, hier beim Mittelstand.

Respekt vor der Leistung der Griechen

Irgendwann hatte er die Zuhörer so weit, dass er die unpopulären Dinge aussprechen konnte, und sei es nur verpackt in einem rhetorischen Kniefall. Nicht ein Räuspern im Saal als sich Gabriel vor den Griechen verneigte: „Respekt vor deren Leistung. Was wir unter Rot-Grün mit der Agenda 2010 gemacht haben, war ein laues Lüftchen gegen das, was die Griechen durchmachen“.  Zugleich, stellte er klar, könnten Europas Bürger nicht die Wahlversprechen der neuen Regierung finanzieren.

Gegen Ende der Rede kam Gabriel auch auf Russland zu sprechen, begrüßte den Botschafter im Publikum. „Ich zumindest freue mich, dass Sie hier sind“, sagte er und würdigte, dass Kanzlerin Merkel (CDU) und François Hollande nach Kiew und Moskau geflogen sind. „Das ist das stärkste Signal, das wir senden können“, sagte er. Keine gute Idee sei es indes, Waffen in die Ukraine zu schicken . Für den Satz gab es kaum weniger Applaus als es auf einem Parteitag der Linken gegeben hätte.

TTIP ist "Europas letzte Chance"

Gabriel sagte auch Dinge, die auf einem SPD-Parteitag wohl nicht unwidersprochen bleiben würden: Man brauche TTIP, jenes Freihandelsabkommen mit den USA, „weil es Europas letzte Chance ist“. Die amtierende EU-Ratspräsidentin aus Lettland habe neulich gefragt: Was machen wir eigentlich am Tag, nachdem der Russland-Ukraine-Konflikt beendet ist?. Das sei eine gute Frage, sagte Gabriel. Man solle Wladimir Putins „gute Idee“ von der Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok wieder aufnehmen. „Am besten geht sie weiter bis nach New York“.

Nach der Rede gab es mehr als Höflichkeitsapplaus für den Mindestlohnverteidiger, Gabriel verließ den Saal durch die Seitentür. Und viele andere Gäste standen auf, um Richtung Bar zu gehen. Nach ihm kam Grünen-Chef Cem Özdemir. Der bedauerte in seinen ersten Worten, dass der Minister schon gehe. „Dann entgeht ihm meine Philippica auf die große Koalition“, rief er ihm hinterher, um sich dann auch als quasi geborenen Mittelständler zu inszenieren: als Schwabe.

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