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© dpa

Lebensabend: Aus der Traum für US-Rentner

Die Wall-Street-Krise befällt nicht nur Banken und vernichtet Billionen. Sie zerstört auch Träume. Etwa nach einem langen Arbeitsleben in die verdiente Rente zu gehen.

San Francisco - Auch Margie Dixon hatte nicht erwartet, dass sie dieser Tage noch ein Haus abbezahlt, das sie in den 70er Jahren für 23 000 Dollar erstand. Sie hat dort drei Kinder großgezogen und vor 15 Jahren die letzte Rate abgestottert.

Doch dann benötigte die heute 72-Jährige vor vier Jahren ein neues Dach. Zins und Tilgung für die Hypothek, deren fantasievolle Mathematik sie bis heute nicht versteht, stiegen auf monatlich stolze 925 Dollar. Ihre Rente beträgt aber nur knappe 1200 Dollar. Und so sitzt die ehemalige Sekretärin heute im Supermarkt im kalifornischen Stockton dreimal die Woche an der Kasse. Und ist froh. „Denn wer beschäftigt schon eine Alte wie mich“, fragt sie.

Margie Dixon gehört in den USA zur wachsenden Zahl von Erwerbstätigen über 65 Jahren. Mehr als 16 Prozent sind es nach jüngsten Statistiken – ein Rekord in den vergangenen 38 Jahren – und ihre Zahl könnte weiter steigen. Denn die amerikanische Immobilien- und Kreditkrise und der Albtraum an der Wall Street reduzieren nicht nur den Wert von Häusern, erschweren Neuanschaffungen und die Refinanzierung von Krediten. Sie greifen auch das Ersparte der Senioren an, drohen diesen mit Zwangsversteigerungen oder zwingen sie – wie Dixon nach sechs Jahren Rente – wieder ins Erwerbsleben einzusteigen. Nicht ohne Grund ängstigen sich einer aktuellen Erhebung zufolge fast 40 Prozent der Rentner, dass ihre Rücklagen nicht bis zum Lebensende reichen.

Sicher, sagen Experten, amerikanische Senioren seien heute weitaus besser gestellt als in den 30er Jahren während der großen Depression. Doch das ist kein Trost für all diejenigen, die sich in den vergangenen Jahren – verwöhnt durch steigende Hauspreise, extrem niedrige Kreditzinsen und eine gut laufende Wirtschaft – relativ wohlhabend fühlten, fröhlich konsumierten und sich auf ihre goldenen Jahre freuten.

Die Rente hat auch Danny Montenegro „auf unbestimmte Zeit“ verschoben. Der 59-Jährige hat sich vor 23 Jahren mit einem Pool-Service selbstständig gemacht. Das Geschäft wollte er seinem Sohn in wenigen Jahren übergeben, um mit Frau und Hund die 58 Nationalparks abzufahren. „Dieser Traum ist leider ausgeträumt“, sagt er. Nicht nur wegen der hohen Benzinpreise. Montenegros „Sparschwein“ in Form seines geräumigen Hauses in Gilroy ist „under water“. Will heißen, es ist weniger wert, als er der Bank schuldet. Auch er ist den Verlockungen des leichten Geldes der vergangenen Jahre aufgesessen. Wenn im November die monatliche Kreditrate auf mehr als 3000 Dollar schnellt, bleibt ihm nur eins: „den Schlüssel bei der Bank einwerfen“.

Der Latino-Amerikaner geht damit in eine traurige Statistik ein: Laut AARP, dem größten Rentnerverband der USA, sind in den vergangenen 15 Jahren mit 28 Prozent mehr Menschen in der Altersgruppe über 55 Jahren von Zwangsversteigerung betroffen als in jeder anderen Altersgruppe. Das sorgenfreie Leben auf Pump fordert nun seinen Preis.

Selbst diejenigen, die den Verführungen der Kredithaie und billiger Hypothekenkredite nicht anheimfielen, sind verunsichert. Um 30 Prozent stiegen in den letzten Wochen die Anrufe bei TIAA-CREF, mit 240 Milliarden Dollar Einlagen einer der größten Pensionsfonds der USA. Was bedeutet der Tumult an der Wall Street für ihre Ersparnisse, wollten die nervösen Anrufer wissen. „Manche wollten alles verkaufen und in Gold anlegen“, sagt ein Angestellter. Ihre Sorgen sind keinesfalls unbegründet, haben öffentliche und private Pensionsfonds in den vergangenen eineinhalb Jahren doch erhebliche Gelder verloren. Zwei Billionen Dollar (knapp 1,5 Billionen Euro) sind es nach Angaben des Rechnungshofs.

Sorgen macht auch, wie sich die Krise auf die Sozialversicherung auswirkt. Denn viele Senioren sind allein auf eine schmale Rente und die staatliche Krankenversicherung Medicare angewiesen. Den 700 Milliarden Dollar teuren Rettungsfonds für die Wall Street, den die Bush-Regierung auflegt, müssen ja irgendwie die Steuerzahler schultern.

Außerdem schwimmen die USA bereits heute in einem gigantischen Meer von Schulden: Neben den 14 Billionen Dollar, mit denen US-Haushalte verschuldet sind, lasten elf Billionen Dollar an Verbindlichkeiten auf der Privatindustrie – Finanzinstitute nicht mitgezählt. Deren Schuldenberg beläuft sich auf 16 Billionen Dollar. Daneben macht sich das Staatsdefizit von 5,3 Billionen Dollar noch relativ bescheiden aus.

„Diese Regierung ist bereits bankrott“, sagt Laurence Kotlikoff, Wirtschaftswissenschaftler an der Boston University. „Und das ist das kleinere Problem. Das größere fiskale Problem wird auf uns zukommen, wenn all die ‚Baby Boomer’ in Rente gehen und das Sozialversicherungssystem belasten.“ „Baby Boomer“ heißt die 76 Millionen starke Generation der zwischen 1946 und 1964 Geborenen.

Für Jüngere sehen Experten kurz- bis mittelfristig nur einen Ausweg: ein bescheideneres Leben. „Konsumenten müssen lernen, ihre Kreditkartenschuld jeden Monat zurückzubezahlen und Geld für Anschaffungen und Hauskauf zu sparen“, sagt Kotlikoff.

Kein leichtes Unterfangen für Bürger, die in der Vergangenheit nicht nur den Alltag, sondern auch Luxus wie Reisen mit fremdem Geld finanzierten. Steigende Arbeitslosigkeit und höhere Lebenshaltungskosten in diesem Jahr machen all dies noch schwieriger. Rita Neubauer

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