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Wirtschaft: Lebenslang auf der Anklagebank

Für Wirtschaftsverbrecher ist eine Verurteilung nicht die schwerste Strafe: den guten Ruf wiederzuerlangen, ist fast unmöglich

Von Jeffrey Zaslow

Hartley Bernstein hat einen Nachbarn, der seine wahre Freude daran hat, ihn einen Verbrecher zu nennen. Bernsteins Mutter fragt sich: „Habe ich bei deiner Erziehung etwas falsch gemacht?“ Sein Bewährungshelfer fragt: „Was fangen sie mit ihrem Leben an?“

Bernstein war ein prominenter New Yorker Rechtsanwalt, ein „Regenmacher", wie er selbst sagt. Aber er vertrat Betrüger an der Börse, die die Anleger um 150 Millionen US-Dollar (154,5 Millionen Euro) brachten. Er bekam Wind von einigen Machenschaften seiner Mandanten – was er den Behörden aber nicht mitteilte – und wurde 1999 des Meineides und der Verabredung zur Begehung eines Wertpapierbetruges schuldig befunden. Seitdem hat er gerichtlich angeordnete Schadensersatzzahlungen in Höhe von 850 000 Dollar geleistet und damit seinen Profit aus diversen Geschäften zurückgezahlt. Weil er den Strafverfolgungsbehörden half, größere Fische zu fangen, blieb ihm das Gefängnis erspart. Er hat nur eine zweijährige Bewährung bekommen.

Was also macht ein 51-Jähriger, von der Anwaltsliste gestrichener Rechtsanwalt mit seinem Leben? Bundesanwalt Richard Owens sagt, Herr Bernstein leiste einen großen „Dienst für die Allgemeinheit“. So etwas, sagt Owens, habe er in seiner Amtszeit als Staatsanwalt noch nicht erlebt.

Seit drei Jahren hat Hartley Bernstein eine Website, StockPatrol.com, die die Anleger vor den Gaunern warnt, denen auch er einst gedient hat. „Jetzt versuche ich, auf andere Weise Schadensersatz zu leisten, nämlich indem ich den Menschen helfe", sagt Bernstein. Er macht sich aber keine Illusionen über den Erfolg: „Ich weiß, dass es ein ganzes Leben dauern wird, bis ich meinen Ruf wiederhergestellt habe.“

Auch in diesem Jahr stehen wieder viele Wirtschaftsverbrecher vor Gericht. Diejenigen, die ihre Verurteilung bereits hinter sich haben, warnen, dass eine Strafe niemals endet. „Um seinen guten Ruf wiederherzustellen, muss man die volle Verantwortung für seine Tat übernehmen“, sagt David Novak, der früher eine Flugschule betrieb und eine neunmonatige Freiheitsstrafe absaß, weil er ein Flugzeugunglück vorgetäuscht hatte, um die Versicherung zu prellen. „Man muss den Menschen ins Auge sehen und sagen: ’Als Konsequenz der schlechten Entscheidungen, die ich getroffen habe, war ich im Gefängnis.’ Gott sei Dank habe ich mein Wertesystem neu geordnet und mein Leben wieder in den Griff bekommen.“

„Es ist nie zu spät, das Richtige zu tun", sagt Barry Minkow, 36, der in den 80er-Jahren durch eine Scheinfirma die Anleger um mehr als 26 Millionen Dollar betrogen hat. Minkow war sieben Jahre im Gefängnis und ist heute Pfarrer in San Diego. Er ermutigt die Schuldigen zu gestehen. Er sagt aber auch: „Man sollte sich darauf einstellen, dass einem selbst die eigenen Angehörigen jahrelang nichts glauben werden. Nur die Wahrheit plus Zeit führen zu Vertrauen."

Diese Worte beeindrucken Rechtsanwalt Philip Aidikoff, Präsident der Public Investors Arbitration Bar Association, die einzelne Anleger vertritt, herzlich wenig. „Wenn jemand lügt, betrügt und unschuldige Menschen beraubt“, sagt er, „dann gibt es nur einen Weg, den Ruf wiederherzustellen: Er muss den Opfern all ihr Geld zurückgeben.“ Im Gefängnis hat Barry Minkow geschworen, alles auf Heller und Pfennig zurückzuzahlen. Bis jetzt hat er allerdings weniger als 200 000 Dollar der 26 Millionen Dollar zurückgezahlt. Er sagt, er arbeite noch daran.

Bernstein weiß, dass die Menschen ihn für den Rest seines Lebens verurteilen werden. Er hatte einst eine Anwaltskanzlei mit einem Dutzend Anwälten. Jetzt sitzen 13 seiner Mandanten im Gefängnis und er verbringt 45 Stunden in der Woche am Computer und kümmert sich um StockPatrol.com. Seine Frau, eine Anwältin, zahlt die Rechnungen.

Vor einem Jahr starb ihre drei Jahre alte Tochter Raine an einem Asthmaanfall in seinen Armen. Weil ihm die Zulassung entzogen worden war, konnte er mit seinem Kind viel Zeit verbringen. Er schwört, das Leben eines gesetzestreuen Bürgers zu leben, auf den seine Tochter stolz gewesen wäre. „Ich habe fest vor, keinen Mist mehr zu bauen“, sagt er. „Ich warte sogar, bis die Ampel grün wird, bevor ich über die Straße gehe."

Die Artikel wurden übersetzt und gekürzt von Tina Specht (Harry Potter), Svenja Weidenfeld (Betrug), Christian Frobenius (Afrika), Karen Wientgen (Schröder), Matthias Petersmann (Nord Korea)

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