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© dpa/Heinrich, Montage: Mika

Lebensmittelkennzeichnung: Streit um die Ampel

Die EU will Lebensmittel besser kennzeichnen, mit einem rot-gelb-grünen Farbsystem, der "Ampel". Die deutsche Industrie fürchtet Wettbewerbsnachteile.

Zur Abschreckung hat Claus Cernovsky, Geschäftsführer des Dettinger Schokoladenherstellers Rübezahl, seinen Weihnachtsmann hässlich gemacht: Er hat ihm als Bauchbinde die Nährwertangaben aufgeklebt. In Brüssel demonstriert er damit, wie sein Schoko-Verkaufsschlager aussehen würde, wenn ein Vorschlag der EU-Kommission zur Kennzeichnung von Lebensmitteln unverändert verwirklicht würde.

2008 hat die Kommission präsentiert, wie sie Verbraucher besser über Lebensmittel informieren will. „Wir begrüßen, dass die Informationsvorschriften auf dem EU-Binnenmarkt harmonisiert werden sollen“, sagt Dietmar Kendziur, Vorsitzender des Bundesverbandes der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI). Er wehrt sich deshalb nicht grundsätzlich gegen die Brüsseler Idee, besser über Inhaltsstoffe, Herkunft und Nährwert von Lebensmitteln zu informieren. Schließlich sind mehr als sechs Millionen Kinder in Europa zu dick. Dickleibigkeit wird in der Wohlstandswelt zum Problem. Erst diese Woche hat die EU-Kommission deshalb eine Aufklärungskampagne gestartet, die sich an Eltern, Kinder und Schulen richtet. Bessere Informationen über den Fett-, Zucker- und Salzgehalt von Snacks und Riegeln könnten zumindest das Bewusstsein für die Essgewohnheiten schärfen und im besten Fall von Kalorienbomben abschrecken.

Sauer sind die Süßwarenhersteller aber über die in ihren Augen überzogenen und praxisfernen Anforderungen. „Eine Überfrachtung des Etiketts mit Informationen bedeutet keine Hilfe für den Verbraucher“, meint Verbandschef Kendziur. So dürfe die Schrift der entsprechenden Informationen nicht zu groß sein. Vor allem sollen Weihnachtsmänner und Osterhasen von Verunstaltungen frei gehalten werden.

Die wichtigste Forderung der Hersteller: Alle notwendigen Angaben sollten nicht auf der Vorderseite, wie die EU- Kommission das fordert, sondern auf der Rückseite der Verpackung angebracht werden. „Die Regelungen müssen für kleine und mittelständische Unternehmen umsetzbar und finanziell tragbar“ sein, fordert der Süßwarenverband.

Farbige Warnungen vor Dickmachern mit einer aufgedruckten „Ampel“ (Rot: Finger weg, Gelb: man kann, Grün: bedenkenlos) lehnt die Lebensmittelindustrie strikt ab. „Man sollte den Stab nicht über einen einzigen Schokoriegel brechen“, sagt Dietmar Kendziur, der Interessenvertreter der Schoko- und Riegelhersteller.

Der Kampf der deutschen Lebensmittelindustrie gegen die umstrittene Ampel erweist sich jedoch bei näherem Hinsehen als Scheingefecht. Im Verordnungsvorschlag der EU-Kommission ist von der Ampel überhaupt nicht die Rede. In Brüssel ist man sich bewusst, dass man die Beurteilung eines Lebensmittels nicht alleine von Fett-, Zucker- und Salzgehalt abhängig machen kann, also nicht von drei von insgesamt 37 Nährstoffen.

Die Süßwarenindustrie gibt dennoch keine Entwarnung. Die vorgeschlagene EU-Verordnung sieht nämlich eine „Öffnungsklausel“ vor, die es den EU-Mitgliedstaaten überlässt, auf dem eigenen nationalen Markt „grafische Darstellungen“ beizubehalten oder einzuführen – also auch die Ampel. In Großbritannien ist diese Kennzeichnung schon seit geraumer Zeit üblich, aber freiwillig. Die deutsche Süßwarenindustrie, die ihre Produkte zu 40 Prozent exportiert, fürchtet, dass der Druck auf die Hersteller im Wettbewerb mit Konkurrenzprodukten so groß sein könnte, dass sie ihre Produkte auch mit Ampeln versehen müssten.

National unterschiedliche Kennzeichnungspflichten würden aber den freien Binnenmarkt empfindlich stören, warnt der deutsche Süßwarenverband. „Bisher konnten die Lebensmittelhersteller ihre mehrsprachig gekennzeichneten Verpackungen von Finnland bis Portugal überall verkaufen. Künftig müssten sie wegen der zusätzlichen nationalen Kennzeichnungsvorschriften womöglich für jedes Land eine eigene Verpackung auflegen“, warnt Dietmar Kendziur.

Während der Brüsseler EU-Behörde gerade in Deutschland in den vergangenen Jahren vielfach „Regelungswut“ vorgeworfen wurde, will die EU-Kommission jetzt in den Augen der deutschen Lebensmittelindustrie offenbar zu wenig regeln.

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