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Eine sichere Bank? Versicherungskunden müssen sich in Zukunft auf Einbußen einstellen.

© dapd

Lebensversicherung: Streit um Bewertungsreserven verschärft sich

Die Politik streitet über Kürzungen bei der Lebensversicherung. Die Koalition wird unruhig.

Der Ton ist rau geworden. Von einer „Dreistigkeit“ spricht der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans. Was den SPD-Politiker aufregt, ist ein Brief, den CDU-Fraktionsvize Michael Meister kürzlich einem Lebensversicherungskunden geschrieben hat. Darin verteidigt Meister die von der Regierung geplante Reform der Altersvorsorge, die Versicherte viel Geld kosten kann. „Keinesfalls“, schreibt Meister, „sollen die Versicherungsunternehmen profitieren“, vielmehr gehe es um einen „fairen Ausgleich zwischen den Versicherungsnehmern“. Im Vermittlungsausschuss habe die Union aber angeboten, die Regelung fallen zu lassen. SPD und Grüne hätten das abgelehnt und auf Einsetzung einer Arbeitsgruppe bestanden.

Meister gehört dieser Arbeitsgruppe an, Walter-Borjans auch. Und man kann sich ausmalen, dass bei der nächsten Sitzung in der übernächsten Woche dicke Luft herrschen wird. „Uns geht es um einen fairen Interessenausgleich unter Beteiligung der Versicherungswirtschaft“, sagte Walter-Borjans dem Tagesspiegel am Sonntag. „Während das Bundesfinanzministerium vorgibt, nach einer Lösung zu suchen, sabotieren schwarz- gelbe Fraktionäre den Auftrag mit Falschmeldungen gegenüber Versicherungen und Versicherten.“

Mit den „schwarz-gelben Fraktionären“ sind Meister und Volker Wissing, der finanzpolitische Sprecher der FDP- Bundestagsfraktion, gemeint. Beide hatten in den vergangenen Tagen das Reformprojekt für beendigt erklärt – eine Reaktion auf die heftigen Proteste von Verbraucherschützern und der eigenen Basis. Denn auch in den CDU-Ortsvereinen hatten sich in den vergangenen Wochen viele Wähler und Mitglieder über die Pläne von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) beschwert, die Beteiligung der Lebensversicherungskunden an den Bewertungsreserven der Versicherer zu kürzen. Im Düsseldorfer Finanzministerium, das zusammen mit dem Bundesfinanzministerium die Arbeitsgruppe leitet, will man jetzt Klarheit. „Die Bundesregierung soll erklären, ob sie noch eine Lösung will oder mit ihrer Mehrheit im Bundestag alles treiben lassen will“, sagte Walter-Borjans. Schäuble hat sich bereits erklärt. „Wir halten die Reform nach wie vor für erforderlich“, betonte ein Ministeriumssprecher.

Die bisherige Regelung führe bei 95 Prozent der Versicherten zu Einbußen, hat der GDV errechnet.

Bewertungsreserven entstehen, wenn Wertpapiere, etwa Bundesanleihen, die die Versicherer mit dem Geld der Kunden gekauft haben, im Wert steigen. An diesen Kurssteigerungen müssen Kunden, deren Vertrag ausläuft, per Gesetz zur Hälfte beteiligt werden. Schäuble will das jetzt ändern. Während bei Immobilien und Aktien alles gleich bleiben soll, will der Finanzminister die Beteiligung der Kunden bei den festverzinslichen Wertpapieren vorübergehend einschränken. Sonst käme es zu Verzerrungen, fürchtet Schäuble.

Weil die Zinsen für Neuanlagen derzeit extrem niedrig sind, sind nämlich die Kurse der alten, höher verzinsten Wertpapiere, die die Versicherer haben, in die Höhe geschossen. Lagen die Bewertungsreserven im ersten Quartal 2011 für diese Anlagen bei 13,4 Milliarden Euro, waren es im dritten Quartal 2012 mehr als 75 Milliarden Euro. Das Problem: Die Kursgewinne stehen meist nur auf dem Papier, weil die Versicherer die Titel bis zur Fälligkeit halten. Die Ausschüttung der Bewertungsreserven an Kunden, die jetzt ausscheiden, geht daher zulasten der Versicherten, deren Verträge weiter laufen, argumentiert Schäuble.

Der Versicherungsverband GDV untermauert das mit neuen Hochrechnungen. Die bisherige Regelung führe bei 95 Prozent der Versicherten zu Einbußen, hat der GDV errechnet. Von den fünf Milliarden Euro, die die Lebensversicherer im vergangenen Jahr über den Garantiezins hinaus erwirtschaftet haben, habe man drei Milliarden als Beteiligung an den Bewertungsreserven ausschütten müssen. Konsequenz: Weil fünf Prozent der Kunden, deren Verträge jetzt auslaufen, über Gebühr abkassieren, müsste die große Mehrheit der Versicherungskunden büßen. „Wir verlieren Substanz, die wir brauchen, um alle Versicherten gut durch die Niedrigzinsphase zu bringen“, warnt Verbandspräsident Alexander Erdland. Die Chefin der Finanzaufsicht Bafin, Elke König, teilt diese Bedenken. „Wenn die Neuregelung jetzt nicht kommen sollte, hoffen wir auf einen neuen Anlauf – vielleicht nach der Bundestagswahl“, sagte König. „Fairen Lösungen verschließen wir uns nicht“, verspricht der finanzpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Gerhard Schick. Doch die Reformpläne von Schäuble seien „sachlich völlig ungerechtfertigt“, kritisiert der Finanzpolitiker. Immerhin gebe es zahlreiche Versicherer, die gut durch die Niedrigzinsphase kommen. „Warum soll man den Kunden mehrere tausend Euro streichen, wenn die Unternehmen Superrenditen haben?“, gibt Schick zu bedenken.

Bis zum 26. Februar hat die Arbeitsgruppe Zeit, einen Kompromiss zu finden. Denn dann tagt der Vermittlungsausschuss das nächste Mal. Schick, ebenfalls Arbeitsgruppen-Mitglied, ist skeptisch, ob das Treffen noch etwas bringt. „Wenn die Koalition ihr eigenes Gesetz nicht mehr will, ist die geplante Kürzung wohl vom Tisch“, sagte er dem Tagesspiegel.

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