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Die Werbefrau.

© picture alliance / dpa

Wirtschaft: Leerräume für Ideen

Kreativ sein kann man nicht am Schreibtisch, sagen Deutschlands Kreative. Sie verraten, wo sie ihre besten Einfälle haben.

Wenn Christoph Ingenhoven nachdenken muss, will er raus. Am besten klappt das morgens früh beim Joggen. Denn dann haben auch die Ideen freien Lauf, schließen sich in seinem Kopf zu neuen Komplexen zusammen, verfestigen sich: „Ausdauersport macht meinen Kopf frei. Nach zehn Minuten komme ich in den Flow, und dann kommen Lösungen wie von selbst.“

Ingenhoven ist einer der renommiertesten Architekten der Welt und einer der kreativsten Köpfe Deutschlands. Der 53-Jährige hat Stuttgart 21 entworfen, die RWE-Zentrale in Essen, die neue Konzernzentrale von Google in Kalifornien. Mit guten Ideen verdient er sein Geld. Seine Laufschuhe hat er immer dabei.

Architektur, Design, Mode, Technik oder Werbung – wo haben Deutschlands Kreative sonst noch ihre besten Ideen? Was inspiriert sie? Und wie schaffen sie es, in ihren Mitarbeitern neue Ideen zu entfachen? Bei drei Erkenntnissen sind sich die kreativsten Chefs einig: Auf Kommando hat Kreativität keine Chance. Freiraum und Abstand vom Arbeitsalltag sind inspirierend. Und Mitarbeiter haben dann die besten Einfälle für neue Produkte und Geschäfte, wenn sie so arbeiten können, wie es ihnen am liebsten ist.

Die Deutschland-Zentrale von Google in Hamburg ist dafür ein gutes Beispiel. Büros und Möbel sind so bunt wie in einer Kita. „Kinder sind sehr kreativ, dieses Potenzial möchten wir in unseren Mitarbeitern wieder hervorrufen“, sagt Vertriebschef Alastair Bruce dazu, der im ersten Halbjahr 2013 als Deutschland-Chef von Google einsprang. „Außerdem haben unsere Büros eine starke lokale Prägung“, erklärt er. In Hamburg spielt Wasser eine wichtige Rolle, da steht zum Beispiel ein Achter zum Rudern in einem Meetingraum oder Strandkörbe und ein mit Styropor gefülltes Schwimmbecken in einem anderen. In Berlin gibt es Konferenzräume, die wie bekannte Nachtclubs, einschließlich Sado-Maso-Utensilien wie im berühmten Kitkat-Club, eingerichtet sind. „Das sind alles Spielelemente, die nicht teuer sind, aber sehr viel ausmachen“, sagt Bruce. So kleben in einem Büro rund 200 Matchboxautos mit Klettband an der Wand. Jeder, der diesen Raum betritt, habe den Impuls, mit den Autos zu spielen. Und das ist nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. „Kreativität entsteht aus Freiräumen. Das ist kein Modus, den man ein- und ausschalten kann“, sagt Bruce.

Karen Heumann, Deutschlands bekannteste Werberin, sieht das ähnlich. „Für Kreativität gibt es kein Rezept, das für alle passt“, sagt Heumann. Der eine sitze morgens um sechs am Rechner, knabbere an einer Möhre und war schon beim Sport. Der andere muss bis zehn Uhr schlafen, und er ist erst abends in Form, wenn alle anderen schon zu Hause sind. „Es wäre doch schade, wenn man versuchen würde, sie in das gleiche Arbeitsschema zu pressen“, findet die Chefin der Agentur Thjnk aus Hamburg. Weil es kräftezehrend sei, kreativ zu arbeiten, müsse man den Menschen Raum geben, um sich zu entspannen. Heumann selbst kann am besten im Liegen nachdenken. „Am besten würde ich mir wohl ein Bett ins Büro stellen, für zwischendurch. Aber das wäre vielleicht für meine Kollegen ein komisches Signal. Die würden fragen: Karen, geht's dir gut?“ Gerade Chefs können aber solche Signale auch gezielt setzen: Nehmt euch die Zeit und die Ruhe zum Nachdenken, Muße-Minuten oder sogar – Stunden. Denn, so weiß Heumann: „Jeder blockiert, wenn man ihn zum Kreativsein auffordert.“

Auch Jette Joop hat diese Reaktion an sich selbst beobachtet. Anfangs versuchte sie, ihr Design-Unternehmen zu führen und gleichzeitig Ideen zu haben. Schnell war ihr klar, dass aus dieser Mischung nichts wird: „Wenn ich montags die Auswertung der Zahlen unserer Projekte gesehen habe, fällt mir den Rest des Tages nicht mehr viel ein“, erklärt die 45-Jährige. Sie trennt das kreative vom operativen Geschäft: „Das sind unterschiedliche Sphären.“ In die kreative Sphäre taucht sie am besten ein, wenn sie sich vom Alltag löst, von der Arbeit, ihrer Familie, allen Terminen. „Nirgendwo kann man Menschen so gut beobachten, wie in Hotels. Ich liebe besonders Designhotels“, erzählt die studierte Industriedesignerin.

Der Auto-Designer Wolfgang Egger findet Orte inspirierend, von denen aus er die Straße und den Verkehr beobachten kann. Es ist die Dynamik von Autos, die ihn an die von Tänzern erinnert: „Eine Tanzbewegung wird zum Ende hin verlangsamt, damit die Leichtigkeit zum Ausdruck kommt. Bei Autos geht es in den Kurven ebenso um Beschleunigung und Verlangsamung“, meint der Design-Chef von Audi. Auch ein Wagen könne nach einem Körper aussehen, der sich bewegen will, selbst wenn er stehe.Doch nicht nur Tänzer, sondern auch klassische Musik inspiriert Egger: „Bei der Ouvertüre der Mozart-Oper Don Giovanni hatte ich die Assoziation eines langsam gleitenden Audis, mit seiner stolzen Front, der um die Ecke gleitet und seinen Auftritt hat“, sagt der 50-Jährige. Zum Nachdenken trifft er sich gerne mit seinem Team auf der großen Dachterrasse der Firmenzentrale. Der Blick in die Weite, das Licht und der Sonneneinfall würden das Denken fördern.

Musik anmachen, die Perspektive wechseln, eine Pause einlegen oder auf Gedankenreisen gehen – so unterschiedlich die kreativen Orte der Chefs sind, so deutlich wird, was sie verbindet: Das beste Arbeitsumfeld für gute Ideen muss sich jeder selbst schaffen. Oft sind es die Orte, die am wenigsten mit Arbeit zu tun haben. Man darf Produktivität nicht mit Präsenz am Arbeitsplatz verwechseln. Und: Nur, wer sich traut, aus der Routine auszubrechen, kann Neues erschaffen.HB

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