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Wirtschaft: Lesestoff – nicht nur für Analphabeten

Harry Potter ist der Star im schnell wachsenden Hörbuchmarkt: 1,7 Millionen Mal haben sich die vier Bände verkauft. Bald folgt Nummer fünf

Als Margrit Osterwold, damals Werbefrau des Buchverlags Hoffmann&Campe, 1995 dem Buch adé sagte und anfing, Hörbücher zu produzieren, haben ihre Kollegen sie für verrückt erklärt. Bücher waren zum Lesen da, Seite für Seite, Wort für Wort, Buchstabe für Buchstabe. Aber sie hören? Ein Vergnügen für einen kleinen Kreis von Exoten, kaum geeignet, damit Geld zu verdienen. Margrit Osterwold machte es trotzdem.

1999 gründete sie ihren eigenen Hörverlag: Hörbuch Hamburg. „Ich war schon immer Hörbuchfan“, sagt sie. Nicht zufällig war sie auch Amerika-Fan. „In Amerika gab es damals schon neun Meter lange Regale mit Hörbüchern in den Buchläden“, sagt sie. Sie erklärt sich das so: „Erstens gibt es in Amerika viele Analphabeten, zweitens muss man viel Auto fahren.“ Klar, dass ein selbstredendes Buch da eine willkommene Begleitung ist.

Ob es Zufall ist, dass das Hörbuch in Deutschland gerade in Zeiten der Pisa-Blamage einen Boom erlebt? Das zumindest könnte eine Erklärung für die stark wachsende Nachfrage nach Hörbüchern sein. Während der Buchmarkt stagniert, geht es dem Hörbuchmarkt blendend. In den vergangenen Jahren konnten die Verleger der Kassetten, CDs und DVDs in Hörform ihren Umsatz – natürlich auf viel kleinerem Niveau – um zehn bis 20 Prozent steigern. Und auch für das kommende Jahr sind sie im Gegensatz zu Buchhändlern sehr zuversichtlich.

Als Akt der Verzweiflung einer wachsenden Gruppe deutscher Analphabeten wollen Hörbuchverlage das allerdings nicht verstanden wissen. Der typische Käufer eines Hörbuchs, hat die Branche herausgefunden, ist zwischen 20 und 35 Jahren alt, hat eine höhere Bildung, ist sehr mobil und „Kulturkonsument“. Sprich: Er oder sie liest gerne, geht regelmäßig ins Kino, Theater oder Konzert und lässt sich auf der Autofahrt zum nächsten Business-Meeting auch noch „Die schweinischsten Stellen aus dem Alten Testament“ vom zerzausten, aber großen Harry Rowohlt (Hörbuch Hamburg) vorlesen. Oder den neuesten Krimi von Donna Leon. So schön kann Hörbuch sein.

Keiner schwärmt so sehr von dem neuen Medium wie der Hörverlag aus München, hinter dem große Buchverlage wie Suhrkamp, Kiepenheuer& Wietsch und Hanser stehen. Das hat natürlich einen Grund. Ein Zauberschüler namens Harry Potter hat dem Marktführer unter den Hörbuchverlagen ein großartiges Jahr beschert. 1,7 Millionen Exemplare hat der Verlag von den ersten Bänden verkauft, gelesen vom Schauspieler Rufus Beck, der darüber selbst zum Star wurde. Und auch das kommende Jahr beginnt für den Hörverlag, der rund die Hälfte des deutschen Marktes abdeckt, vielversprechend: Am 19. Februar erscheint Band fünf der Bestseller-Geschichte von Joanne K. Rowling, in einer Startauflage von 50 000 Stück. „Wir rechnen damit, dass wir bis zum Jahresende 250 000 Stück verkaufen“, sagt Sprecherin Heike Völker-Sieber –trotz des stolzen Preises von „circa 99 Euro“. Eine Preisbindung kennt die Branche genauso wenig wie den halben Mehrwertsteuersatz für Bücher.

Harry Potter ist zwar nicht das teuerste Hörbuch, aber mit Abstand das erfolgreichste. An zweiter Stelle folgt der „Herr der Ringe“, mit 300 000 verkauften Exemplaren. Dass ausgerechnet die Titel sich gut verkaufen, die parallel auch als Buch oder Film hervorragende Quoten erzielen, ist kein Zufall. „Es gibt immer mehr Parallelveröffentlichungen“, sagt die Sprecherin des Hörverlages.

Wenn die Titel nicht bekannt sind, versuchen viele Verlage, das Geschäft mit bekannten Stimmen zu retten. „Je prominenter der Sprecher, desto besser verkauft sich das Hörbuch“, sagt Christine Härle von Lido, dem Hörbuch-Ableger des Eichborn-Verlages. Das ist der Grund, warum Lido Jungstar Mathias Schweighöfer engagiert hat, um den Debütroman „Die Lewins“ von Gita Lehr zu lesen, den Spitzentitel für 2004. Er wird parallel zum Buch im Februar erscheinen. Für das zweite große Projekt „Bücher“, das die wichtigsten Kultbücher vorstellt, hat der Verlag MTV-Moderator Markus Kafka engagiert.

Verlegerin Osterwold, die eigentlich lieber mit ungewöhnlichen Projekten als mit Promi-Lesern auffällt, hat für ihr Lieblingsprojekt 2004 ausnahmsweise auch eine bekannte Schauspielerin gewählt. Sie lässt Eva Matthes eine neue Übersetzung von „1001 Nacht“ lesen, der berühmtesten Erzählgeschichte überhaupt. In der Hoffnung, damit auch auf langen Fahrten nicht zu langweilen.

Maren Peters

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