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Wirtschaft: Letzter unter Gleichen

Arbeitslosigkeit, Schulden, Stagnation – ganz Europa stöhnt unter der anhaltenden Konjunkturflaute. Doch Deutschland hat besonders große Probleme.

Von Carsten Brönstrup

und Flora Wisdorff

Das war eine bittere Woche für die Berliner Regierungskoalition. Riesige Steuerausfälle, die nicht enden wollende Wirtschaftskrise, düstere Prognosen für 2003 und der wachsende Druck aus Brüssel, die Probleme anzupacken – Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hat schon angenehmere Tage im Kanzleramt verbracht. Dass an der Misere vor allem die schwache Weltkonjunktur schuld sei, glauben dem Kanzler immer weniger Fachleute. „Deutschland ist auf dem falschen Weg“, beschieden ihm die fünf Wirtschaftsweisen am Mittwoch. Statt an den Symptomen der Krise herumzudoktern, seien grundlegende Reformen nötig.

Denn auch andere Länder in Europa schlagen sich mit der flauen Konjunktur herum. Während aber Deutschlands Wirtschaft seit 1991 pro Jahr nur um 1,5 Prozent wuchs, verzeichnete Frankreich ein Plus von 2,5 Prozent, Großbritannien 2,7 Prozent, und selbst Italien schaffte noch 1,9 Prozent.

Dabei ist etwa die britische Wirtschaft besonders eng mit den kriselnden USA verbunden – Arbeitslosigkeit und Schuldenstand sind dennoch geringer. Weil die Briten in guten Zeiten Haushaltsüberschüsse anhäuften, können sie nun in der Krise ihre Ausgaben erhöhen. Zudem haben andere Länder flexiblere Arbeitsmärkte und eine bessere Vermittlung. „Die anderen haben in den vergangenen Jahren alle ihre Regeln flexibilisiert. Deutschland nicht“, sagt Daniel Gros, Direktor des angesehenen Center for European Policy Studies (CEPS) in Brüssel. So werde man in Dänemark zwar leichter entlassen, aber auch wieder schneller eingestellt. Und die Niederländer hätten schon vor 15 Jahren auf Teilzeitarbeit gesetzt, befindet Gros. In Großbritannien hat Margaret Thatcher schon in den achtziger Jahren die Macht der Gewerkschaften beschnitten. Und selbst Frankreich habe neben der 35-Stunden-Woche auch flexible Elemente eingeführt.

Zudem stellen Deutschlands Unternehmen wegen der hohen Lohnnebenkosten ungern Leute ein, sagt Michael Grömling vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Seinen Berechnungen zufolge kosten Sozialversicherung und Steuern hier zu Lande 25 Euro pro Arbeitsstunde – so viel wie in keinem anderen Industrieland. „Und hohe Arbeitslosigkeit bremst das Wachstum ganz entscheidend“, sagt Grömling. Auch die EU-Kommission drängt Berlin, endlich die Weichen für mehr Beschäftigung zu stellen.

Doch daneben trägt Deutschland Lasten, die die Nachbarländer nicht schultern mussten. So haben die Wiedervereinigung und der Umbau der Plan- in eine Marktwirtschaft bis heute eine Billion Euro verschlungen, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ausgerechnet hat. Das Geld fließt weiter – bis zum Ende des kommenden Jahrzehnts. Finanziert wird dies nicht nur vom Steuerzahler, sondern auch von den Sozialkassen – auch deshalb ist menschliche Arbeit teurer als in anderen Ländern.

Dass Länder wie Frankreich oder Spanien besser mit der Krise fertig werden, liegt außerdem am Euro. Denn mit der Einheitswährung ist der Zinsvorteil der Deutschen verloren gegangen. Der Grund: Die Kreditzinsen waren wegen der stabilen, starken Mark in Deutschland meist geringer als im übrigen Europa, so konnten die Firmen billig an Investitionskredite herankommen. Seit die Europäische Zentralbank die Geldpolitik bestimmt, kommen indes alle Länder der Euro-Zone in den Genuss billigen Geldes.

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