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Liberalisierung: Ramschgeschäft Strom

Teldafax, Flexstrom, Stromio: Die Zahl der Strom-Discounter boomt. Doch die meisten von ihnen machen horrende Verluste. Die Liberalisierung des deutschen Strommarkts lässt weiter auf sich warten.

Seit 2007 mischt Teldafax den Strommarkt auf. Mehr als 600.000 Kunden sind inzwischen zu dem Energieanbieter aus Troisdorf bei Bonn gewechselt, in erster Linie Sparfüchse. In Berlin sparen sie im Vergleich zum Standardtarif des Platzhirschen Vattenfall bis zu 200 Euro im Jahr. Gewinne lassen sich damit allerdings noch nicht machen, neue Mitarbeiter kosten, Investitionen sind nötig. "Die Akquisition von Kunden kostet immer Geld", sagt Unternehmenssprecher Thomas Müller. Erst für kommendes Jahr rechnet Teldafax erstmals mit schwarzen Zahlen.

Für Matthias Cord ist die Teldafax-Bilanz keine Überraschung. In einer Studie hat sich der Energieexperte der Unternehmensberatung A.T. Kearney mit den Geschäftsmodellen unabhängiger Billigstromanbieter beschäftigt. Der Großteil von ihnen schreibt bislang rote Zahlen. "Viele von ihnen sind nicht profitabel und müssen sicherlich in den kommenden Jahren entweder die Preise erhöhen oder ihr Geschäftsmodell weiterentwickeln", sagt Cord.

Unternehmensnamen will Cord nicht nennen. Aber im Schnitt fahre ein Unternehmen mit 100.000 Stromkunden rund vier Millionen Euro Verlust im Jahr ein. Kosten für Marketing, Vertrieb und Kundenbetreuung seien da noch nicht einmal berechnet.

Dass das Geschäftsmodell trägt, ist in der Regel nur durch spezielle Vertragskonditionen möglich. Teldafax kassiert etwa von Neukunden in der Regel Vorkasse und bei Vertragsantritt Sonderabschläge. Die damit gegebene Preisgarantie gilt für zwölf Monate. "Im Prinzip finanzieren viele Firmen ihre Dumpingpreise über eine Art System, welches zumindest in Grundzügen einem Schneeballsystem ähnelt", erklärt Cord. "Sie benötigen Vorkasse, um Strom einzukaufen und neue Kunden zu gewinnen." Ziel sei es oftmals, mit niedrigen Preisansätzen Top-Platzierungen in den internetbasierten Strompreisvergleichen zu erzielen.

Dumpingpreise hin oder her: Deutsche Stromverbraucher wagen immer öfter den Wechsel. A.T. Kearney schätzt, dass sich seit 2006 die Zahl der Kunden, die von etablierten Versorgern zu Zweitmarken oder unabhängigen Stromanbietern gewechselt sind, um drei Millionen auf rund sechs Millionen verdoppelt hat.

Knapp die Hälfte der Kunden hat sich dabei für einen Wechsel zu einem wirklich unabhängigen Anbieter von Öko- oder Billigstrom wie Flexstrom, Teldafax oder Stromio entschieden. Sie kommen laut Studie auf inzwischen fünf Prozent Marktanteil. Die etablierten Energieversorger haben ebenfalls ihre eigenen Billigstrommarken aufgebaut: Yello gehört zu EnBW, e wie einfach zu E.On und und eprimo zu RWE.

Doch obwohl inzwischen zahlreiche Anbieter um neue Kunden werben, von einer erfolgreichen Liberalisierung des Strommarkts mag noch kein Energieexperte sprechen. Selbst die Verbraucherschützer sind trotz Anbietervielfalt unzufrieden mit der Struktur des Markts. "Wenn sich im Gegensatz zur Stromerzeugung im Stromvertrieb kein Geld verdienen lässt, ist das Segment für neue, unabhängige Anbieter langfristig unattraktiv", sagt Holger Krawinkel, Energieexperte des Bundesverbands der Verbraucherzentralen.

"Die Anzahl der Anbieter ist kein Maß für die Wettbewerbsintensität", sagt Christian von Hirschhausen, Leiter des Lehrstuhls für Energiewirtschaft an der TU Dresden. Entscheidend sei die Preisspanne zwischen Erzeugungskosten und Endkundenpreis. Sie sei gerade im europäischen Vergleich  – insbesondere zum Liberalisierungsvorbild Großbritannien – in Deutschland noch besonders hoch.

Die Ursache dafür liegt auf der anderen Seite der Wertschöpfungskette: bei der Stromproduktion. Trotz Energiewirtschaftsgesetz und zahlreichen Bemühungen der EU-Kommission sind die Kraftwerke noch immer in fester Hand der vier großen Versorger E.On, RWE, Vattenfall, EnBW. "Die Erzeugungsstrukturen sind nicht wettbewerblich", sagt von Hirschhausen, "da kann ein lebhafter Endkundenhandel wenig ausrichten."

Laut aktuellem Gutachten der Monopolkommissionen halten die vier Stromkonzerne noch immer mehr als 80 Prozent der Erzeugungskapazitäten in ihrer Hand. "Diese Marktmacht können die Versorger natürlich ausnutzen", sagt Professor Justus Haucap, Vorsitzender der Monopolkommission, "neuen Anbietern wird der Markteinstieg erschwert".

Die Situation könnte sich durch den Regierungswechsel noch einmal verfestigen. Denn wenn Union und FDP an einer Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke festhalten, erhöht sich das Angebot an Grundlast-Strom. Umso unattraktiver wird es für Investoren, in energieeffiziente Gaskraftwerke zu investieren, die insbesondere die schwankenden Ökostrom-Mengen durch Spitzenlaststrom austarieren können – schließlich können sie mit den Erzeugungskosten abgeschriebener Atomkraftwerke nicht mithalten. "Für den Wettbewerb auf dem Strommarkt wäre ein Ausstieg aus dem Atomausstieg nicht förderlich", sagt Haucap.

Auch bei den Netzentgelten sehen Energieexperten noch großen Handlungsbedarf. Denn die neuen Energienanbieter müssen an die Netzgesellschaften der Versorger Geld zahlen, damit sie deren Stromleitungen nutzen dürfen. Der Bundesverband der neuen Energieanbieter (BNE) schätzt, dass Stromkunden in den kommenden Jahren rund eine Milliarde Euro mehr zahlen müssen, weil die Bundesnetzagentur diese Kosten großzügig kalkuliert. "Die Bundesnetzagentur könnte strenger durchgreifen", ärgert sich Robert Busch, Geschäftsführer des BNE. "Stattdessen hat sie im letzten Jahr höhere Zinssätze auf das Eigenkapital der Netzbetreiber zugelassen und damit einen Anstieg der Netzentgelte in Kauf genommen."

Unterstützung bekommt Bosch von Verbraucherschützer Krawinkel. Er drängt auf eine einheitliche deutsche Netz AG, in der die Stromnetze der Versorger gebündelt werden. "Das wäre ein Fortschritt, gerade auch im Hinblick auf einen europäischen Strommarkt." Das Thema könnte sich auch im Koalitionsvertrag wiederfinden. Die Union hat in ihrem Regierungsprogramm bereits den Aufbau eines einheitlichen Netzregelsystems gefordert. Und die FDP fordert sogar ganz konkret niedrigere Netzentgelte.  

Quelle: ZEIT ONLINE

Marlies Uken

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