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Wirtschaft: Liese-Lotte Arff

Geb. 1910

Sie lernte Max im Lunapark kennen. Dort verbog sie ihren Körper. Einmal mit Max Schmeling spazieren gehen, vielleicht Hand in Hand, gewiss mit bebendem Herzen, um den ganzen Halensee herum. Die kleine Liese- Lotte, 16 Jahre jung, hat das erlebt. 1926 war’s, Max Schmeling, nur fünf Jahre älter als das Mädchen an seiner Seite, war noch lange nicht der unschlagbare Held, den sich jede wünscht. Und Lilos Mutter, eine Frau ohne Mann, dafür aber mit Lebenserfahrung, wünschte sich diesen jungen unbekümmerten Boxer keineswegs an die Seite ihrer unerfahrenen Tochter.

Zwei Sätze in einem Poesiealbum sind die einzigen verbliebenen Spuren des ruhmreichen Max Schmeling im langen Leben der auf ihre Weise zu Ruhm gekommenen Liese-Lotte Arff: „Der kleinen Liese-Lotte eine große Zukunft wünschend“ aus besagtem Sommer 1926. Und, drei Jahre später: „Ich hoffe, dass ich richtig prophezeit habe.“

Max und Lilo hatten sich im Lunapark am Halensee kennen gelernt. Max gewann dort seinen ersten Titelkampf, Lilo verbog ihren Körper zu Tanzkapellenmusik. „Spagat in Rhythmen“ hieß eines ihrer Programme.

Seit sie zwölf war, trat sie auf, warf die Beine in die Luft, spannte ihren Rücken zu einem auf dem Kopf stehenden U und lächelte entspannt dazu. Angetrieben von der Mutter turnte die kleine Lilo in glitzernden, selbst genähten Kostümen vor Generälen, russischen Großfürsten, Gelehrten, Ganoven und Kokotten. Man drängte sich auf Tanzveranstaltungen, kreischte im Wellenbad, bestaunte Attraktionen, die Shimmytreppe, Cakewalkmaschine und Teufelsscheibe hießen. Man begaffte boxende Schimpansen, Kleinwüchsige, Ringer mit enormer Leibesfülle, dürre, grell geschminkte Chansonnetten. Und unter all diesen Gestalten, Zuschauer und Akteure kaum voneinander unterscheiden könnend, tanzte die kleine, wohl behütete Lilo ihre mal klassischen, mal komischen Nummern. Sie tat das so gut, dass sie acht Jahre lang in halb Europa engagiert wurde. Monat für Monat eine andere Stadt, ein anderes Land: Hamburg, Prag, Montreux, Rom und immer wieder Berlin.

1934 war damit Schluss. Arthrose. Die Gelenke wollten die Verbiegungen nicht mehr mitmachen. Und auch der Lunapark schloss 1934. Für die Nazis war er ein „Schandfleck des Westens“.

Lilo wurde Kartenstellenleiterin: Wohnberechtigungskarten, Arbeitskarten, später Lebensmittelkarten mussten unterschrieben, gestempelt, verteilt werden. Ordnung herrschte hier. Aber Bohemien war sie sowieso nie. Das Leben der Schausteller war nicht glamourös und verrucht. Eher piefig, plüschig, unauffällig.

Zu Heirat und Kindern konnte Lilo sich nie entscheiden. Da hatte die Mutter sich als Vorbild wohl zu sehr eingeprägt. Nur einen Norweger, einen gut betuchten Hotelbesitzer, gab es mal. Der kaufte ihr sogar ein Haus in Berlin. Obwohl sie das gar nicht nötig hatte: Sie verdiente gut und konnte immer für sich sorgen.

Über ihre Vergangenheit als Tänzerin hat Lilo später kaum gesprochen. Das alles lag so weit zurück, die Zeiten hatten sich verändert. Ihre schillernden Paillettenkleider, die Federhüte, die Steppschuhe und die Boas verschwanden in Kartons oder wurden verschenkt. Ein brüchiges Fotoalbum bewahrte sie auf: Lilo im Teufelskostüm, Lilo als Prinzessin aus Tausendundeiner Nacht, Lilo in kecker Schulmädchenuniform.

Ein einziges Mal noch schlüpfte sie in die andere Welt. Im Herbst 1975 tourte Udo Lindenberg mit dem Panik-Orchester durch Deutschland, um sich ein Kabinett von Kuriositäten: Zwerge, Vampire, Transvestiten, der Geiger Rudi Ratlos, die dicke Opernsängerin Elli Pirelli. Der blieb einmal die Luft aus, und da durfte Liese-Lotte Arff, schon lange nicht mehr jung und biegsam, auf der Bühne einen ganzen langen Tango mit Rudi Ratlos tanzen. Rudi Ratlos – das war ihr Bruder Peter.

An ihrem 83. Geburtstag klingelte das Telefon und eine in die Jahre gekommene Männerstimme gratulierte ihr. Welche Worte Max und Lilo darüber hinaus noch gewechselt haben, ist nicht überliefert.

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