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Wirtschaft: "Lohnsubventionen wird man nicht mehr wegbekommen"

TAGESSPIEGEL: Am 27.September sind Bundestagswahlen.

TAGESSPIEGEL: Am 27.September sind Bundestagswahlen.Sie feilen dann schon im Sachverständigenrat am neuen Jahresgutachten.Wenn Sie es vorlegen, könnte der Empfänger ein anderer Bundeskanzler sein.Halten sie eine Wende in der Wirtschaftspolitik für nötig?

SIEBERT: Wie immer die Wahl ausgeht: Die wirtschaftspolitische Strategie, die Unternehmen und Märkte von Steuern und Regulierungen zu entlasten, muß energischer als bisher fortgesetzt werden.Dazu gibt es keine Alternative.Die Nachfragepolitik, also die Stimulation über öffentliche Haushalte, funktioniert nicht.

TAGESSPIEGEL: Ist denn in den vergangenen Jahren schon genug passiert?

SIEBERT: Der Sachverständigenrat hätte sich eine wesentlich konsequentere Angebotspolitik gewünscht.Passiert ist Einiges in einzelnen Märkten, die liberalisiert worden sind.Dazu kam der Schub teilweise von der Europäischen Union aus Brüssel, so daß wir die interne Lähmung überwinden konnten.Aber wesentliche Reformen stehen noch aus - im Steuersystem, im Regelwerk des Arbeitsmarkts, in den Systemen der sozialen Sicherung.Da müssen kleine und große Risiken unterschieden werden.Denn die kleinen Risiken kann der Einzelne selbst aus seinen Ersparnissen tragen, bei den großen Risiken muß ihm die Gesellschaft helfen.

TAGESSPIEGEL: Was ist Ihrer Ansicht nach ein kleines Risiko?

SIEBERT: Der Ausfall des Einkommens an den ersten drei Tagen der Arbeitslosigkeit oder der Krankheit wäre ein kleines Risiko.Man könnte den Menschen ja Wahlmöglichkeiten einräumen - auf der einen Seite mit geringeren Leistungen, aber auf der anderen Seite mit geringeren Beiträgen.Dann könnte jeder selbst auswählen.Auf diese Weise könnte man die Kosten für die soziale Sicherung verringern.Andere Länder machen es den Deutschen vor.

TAGESSPIEGEL: Werden die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände mehr Flexibilität zulassen?

SIEBERT: Langfristig haben sie keine Wahl.Unser Tarifkartell ist zwar durch viele gesetzliche Regelungen abgesichert.Doch es lockert sich ja bereits deutlich.Manche Regelungen passen wirklich nicht mehr in die Zeit, wie zum Beispiel das sogenannte Günstigkeitsprinzip.Danach darf man seine Arbeitnehmer nicht schlechter stellen, als das der Tarifvertrag vorschreibt.Dieser Grundsatz aber berücksichtigt nicht die Frage, ob es für einen Arbeitnehmer besser ist, auf einen Teil seiner Lohnansprüche zu verzichten, wenn er dadurch seinen Arbeitsplatz sichern kann.Das aber ist in vielen Betrieben heute schon Realität.Das Betriebsverfassungsgesetz berücksichtigt das noch nicht.

TAGESSPIEGEL: Erwarten Sie, daß sich das nach dem 27.September ändert?

SIEBERT: Klar ist jedenfalls: Wenn man noch stärker auf aktive Arbeitsmarktpolitik oder andere reparierende Maßnahmen setzt, wird man die Arbeitslosigkeit nicht reduzieren.Bisher ist die Zahl der Arbeitslosen mit jeder Rezession dauerhaft angestiegen.Wir wissen, daß auch in der kommenden Rezession die Arbeitslosigkeit wieder um eine Million steigen wird.Wir müssen jetzt endlich etwas tun, daß die Arbeitslosigkeit in konjunkturell guten Zeiten deutlich sinkt - und daß die Sockelarbeitslosigkeit zurückgedrängt wird.

TAGESSPIEGEL: Koalition und Opposition, aber auch die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände wollen einen Kombilohn einführen.Kann die staatliche Subventionierung unrentabler Arbeitsplätze die Arbeitslosigkeit zurückführen?

SIEBERT: Lohnsubventionen setzen nicht an der Wurzel des Problems der Arbeitslosigkeit an.In anderen Volkswirtschaften zeigt sich, daß die Menschen ihr Anspruchsniveau zurückdrehen - durch eine stärkere Differenzierung zwischen den Löhnen.Die richtige Lösung muß da liegen, wo die vom Staat verursachte Diskrepanz zwischen dem Bruttolohn als Kostenfaktor für die Unternehmen einerseits und dem Nettolohn als Einkommensfaktor für die Beschäftigten andererseits verkleinert wird.In Deutschland ist die Öffentlichkeit dazu nicht bereit.Vielmehr sollen die staatlichen Zahlungen die Differenz zwischen Anspruchsniveau und Produktivität überbrücken.Das kann auf Dauer nicht gut gehen.

TAGESSPIEGEL: Wieso nicht?

SIEBERT: Weil Lohnsubventionen im politischen Prozeß eine Eigendynamik entfalten.Man wird sie später nicht mehr wegbekommen - so wie die Kohlesubventionen.Es steht zu befürchten, daß sie den Staatshaushalt dauerhaft belasten und Arbeitnehmer aus ihrer regulären Beschäftigung verdrängen.

TAGESSPIEGEL: Wie kann das passieren?

SIEBERT: Normal Beschäftigte sind für ein Unternehmen nun einmal teurer als ein subventioniert Tätiger.Hinzu kommt noch, daß unklar bleibt, bis zu welchem Lohnniveau der Staat überhaupt einen Teil des Lohnes übernimmt.Der Staat muß also einen Höchstlohn festsetzen, der gerade noch subventioniert wird.Das verstößt auch gegen die Tarifautonomie.

TAGESSPIEGEL: SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder will das Bündnis für Arbeit beleben.Kann das helfen?

SIEBERT: Ein Bündnis für Arbeit kann die Probleme nicht lösen.Was es kann: erst einmal den Konsens darüber erreichen, daß die Lohnfindung stärker an die Marktprozesse herangeführt werden muß.In dem Sinne muß es sich schnell überflüssig machen.

TAGESSPIEGEL: Mit dem Bündnis für Arbeit wird alles passieren, nur eben das nicht.

SIEBERT: Ein Bündnis für Arbeit kann unmöglich Aussagen über Arbeitsplätze machen.Denn der einzelne Unternehmer sitzt gar nicht mit am Tisch.Es droht die Gefahr, daß Verantwortlichkeiten weiter verwischt werden.Und es besteht die ganz große Gefahr, daß man der Öffentlichkeit vormacht, man müsse sich nur zusammensetzen, um die Probleme zu lösen.Dabei muß die Lohnfindung auf die Notwendigkeiten des Marktes reagieren.

TAGESSPIEGEL: Zusammensitzen werden auch die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel in Österreich Ende des Jahres.Da werden sie dann ihre jeweiligen nationalen Beschäftigungspläne vorlegen.Machen die der Öffentlichkeit da auch nur was vor?

SIEBERT: Die Arbeitslosigkeit auf der europäischen Ebene anzugehen, das ist keine gute Idee.Eine Harmonisierung innerhalb der EU ist ohnehin nicht möglich.Dazu unterscheidet sich die Produktivität zwischen den Ländern und Regionen zu stark.Ein Beschäftigter in Portugal beispielweise ist nur ein Drittel so produktiv wie sein deutscher Kollege.Zudem sind die Arbeitsmärkte sehr unterschiedlich.Auch hier gilt: In den einzelnen Regionen müssen die richtigen Löhne gefunden werden.Eine Europäisierung wäre ein gewaltiger Rückschritt.Sinnvoll wäre nur der Konsens über den Vorteil von dezentralen Lösungen.Ein von Brüssel diktierter Beschäftigungspakt dagegen wäre grundfalsch.

TAGESSPIEGEL: Aber viele stellen die Sozialunion jetzt als nächsten logischen Schritt nach der gemeinsamen Währung dar.

SIEBERT: Man muß den Menschen klar sagen: Eine Sozialunion darf es nicht geben.Wenn wir sie doch durchsetzen, dann wird die EU zu einer reinen Transferunion, und dies ist politisch in keiner Weise legitimiert.Gerät eine europäische Region in eine Krise, dann würde sie von den Hilfen der anderen leben.Eine Sozialunion vernichtet Wohlstand.Davor kann ich nur warnen.

TAGESSPIEGEL: Was muß denn passieren, damit es am Arbeitsmarkt eine Trendwende gibt?

SIEBERT: Eine Trendwende ist dann erreicht, wenn die Arbeitslosigkeit nachhaltig zurückgeht.Dazu müssen von Grund auf die Anreize anders gesetzt werden.Arbeitslose müssen zu niedrigeren Löhnen arbeiten dürfen, die Sozialhilfe darf sie nicht davon abhalten.Nur: Dazu sind weder die Menschen noch die politischen Parteien bereit.In der politischen Diskussion geht es stattdessen bestenfalls um Reparaturarbeiten am Arbeitsmarkt.

TAGESSPIEGEL: Zum Beispiel bei der Idee, Arbeit zu teilen?

SIEBERT: Ja.Aber es ist ein Grundirrtum zu glauben, daß das Arbeitsvolumen in einer Volkswirtschaft eine konstante Größe ist.Das Volumen hängt von den Löhnen ab.Wenn die differenziert werden, gibt es mehr Arbeit.Außerdem ist es eine ganz falsche Vorstellung, Arbeit zu verteilen.Wir verteilen ja auch nicht das Brotvolumen, sondern sind intelligent genug, den Marktmechanismus für uns arbeiten zu lassen.Das ist eine naive Dreisatzrechnung, wenn man fragt: 34 Millionen Arbeitnehmer arbeiten 54 Mrd.Stunden pro Jahr, um wieviel muß man die tägliche Arbeitszeit verringern, um eine Million neue Stellen zu schaffen?

TAGESSPIEGEL: Könnte denn ein Quereinsteiger wie der Unternehmer und potentielle Schröder-Wirtschaftsminister Jost Stollmann eine bessere Politik machen als andere?

SIEBERT: Das weiß ich nicht.Wenn er das, was er jetzt sagt, später auch durchsetzen könnte ...

TAGESSPIEGEL: Und was müßte er tun, um schnelle Erfolge gegen die Arbeitslosigkeit zu bekommen?

SIEBERT: Es gibt kein einziges Rezept, so einfach ist das nicht.Es hat 25 Jahre gedauert, ehe die Arbeitslosigkeit so hoch geworden ist.Es wird lange dauern, sie wieder zurückzufahren.Doch wären sechs Jahre moderate Lohnpolitik wichtig, um die Arbeitslosigkeit zu halbieren.Wir brauchen sehr viel Geduld.Aber viele Menschen sind bereit, ein Stück ihres persönlichen Wohlstands aufzugeben, beispielsweise in den Verträgen zur Standortsicherung.Das stiftet Hoffnung.

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