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Wirtschaft: Lufthansa: "Ohne Flächentarif hätten wir Cockpit jeden Monat" - ein Gespräch mit Dieter Schulte

Dieter Schulte (61) ist seit 1994 Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Der Duisburger, der viele Jahre in der Stahlindustrie arbeitete, steht im Ruf eines Pragmatikers.

Dieter Schulte (61) ist seit 1994 Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Der Duisburger, der viele Jahre in der Stahlindustrie arbeitete, steht im Ruf eines Pragmatikers. Das verbindet ihn mit Gerhard Schröder, in dessen Bündnis für Arbeit er einer der wichtigsten Mitspieler ist. Schulte hat als DGB-Chef den Umzug der Organisation von Düsseldorf nach Berlin an den Hackeschen Markt ziemlich reibungslos abgewickelt. Obwohl der DGB auf Grund des Mitgliederschwunds und der durch Fusionen immer stärker werdenden Einzelgewerkschaften unter Druck steht, hat Schulte der Dachorganisation ihren Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung gesichert.

Herr Schulte, der Tarifstreit bei der Lufthansa ist geschlichtet. Hat Hans-Dietrich Genscher einen guten Job gemacht?

Das war ein ganz schwieriger Job. Die Erwartungshaltung war so groß, dass Genscher nur eine Chance hatte: Er musste ein sehr langfristiges Abkommen mit vielen Bestandteilen hinbekommen. So steht dann am Ende eine Zahl, mit der alle Beteiligten leben können.

Finden Sie das in Ordnung, dass eine kleine Gruppe ihre Interessen mit derartiger Wucht durchsetzt?

Es überrascht mich nicht. Die Lufthansa hat doch vor Jahren selbst dazu beigetragen, dass die Selbstständigkeit der Pilotenvereinigung Cockpit überhaupt möglich wurde. Cockpit und eine selbstständige Vereinigung der Fluglotsen - das hat man gerne gesehen, weil dadurch die Gewerkschaften scheinbar geschwächt wurden. Für viele hierzulande ist das britische Modell mit 400 Gewerkschaften attraktiv. Hoffentlich haben diese Leute jetzt begriffen, was passiert, wenn eine kleine Gruppe aus einem Schlüsselbereich - und da könnte ich mindestens noch zehn andere nennen - nicht solidarisch und ohne Rücksicht auf Verluste agiert. Ohne Flächentarifverträge hätten wir die Lufthansa/Cockpit-Situation jeden Monat zwei Mal.

Die Piloten argumentieren, sie hätten in schwieriger Zeit Einbußen hinnehmen müssen und jetzt, da es dem Unternehmen besser geht, wollen sie ihren Anteil am Erfolg.

Das rechtfertigt nicht die geforderten Zahlen. Ich kann ihnen aus jeder Branche eine Gewerkschaft nennen, die sich in den vergangenen Jahren zurückgehalten hat. Die Forderungen sind kaum über fünf Prozent hinausgegangen, und die tatsächlichen Abschlüsse lagen deutlich darunter.

Also sind die Piloten übergeschnappt?

Es gibt Ursachen dafür. Wenn in den Vorstandsetagen über zweistellige Millionengehälter gesprochen wird und über zusätzliche Aktienoptionen, dann weckt das auch an anderen Stellen Begehrlichkeiten.

Macht das Cockpit-Verhalten Schule?

Jedenfalls ist das in der Welt. Ich will ein Beispiel geben: Hans-Jochen Vogel als Schlichter in der Metallindustrie stand vor ein paar Jahren unter dem Eindruck einer Abfindung von 14 Millionen Mark für ein BMW-Vorstandsmitglied. Da hat Vogel gesagt, man könne mit ihm nicht über Pfennigbeträge für Arbeitnehmer reden, wenn gleichzeitig Millionen für eine Manager-Abfindung fließen. Das sind doch alles Dinge, die bleiben im Kopf.

Verdi-Chef Frank Bsirske und die IG Metall kündigen eine harte Tarifrunde 2002 an. Sind die schon von Cockpit getrieben?

Es ist die logische Reaktion auf Forderungen mancher Arbeitgeber nach Nullrunden für das nächste Jahr. Solche Vorschläge sind doch barer Unsinn, wenn man sieht, dass die Unternehmen gerade in der letzten Zeit richtig gut verdient haben, aber viel zu wenig Arbeitsplätze geschaffen wurden.

Wenn die Gewerkschaften in den Tarifverhandlungen im nächsten Frühjahr richtig Radau machen, gefährden sie die Wiederwahl ihres Bundeskanzlers.

Ich bin überzeugt davon, dass wir einen Mix bekommen zwischen einer qualitativen und einer quantitativen Tarifpolitik. Also nicht nur Lohnprozente, sondern auch betriebliche Altersvorsorge, Beteiligung am Produktivvermögen, Qualifizierung und Weiterbildung.

Die Leute wollen mehr Geld.

Nein, das wäre zu einfach. Die wollen dann mehr Geld haben, wenn der Rest nicht mehr stimmt. Und da komme ich zurück auf Cockpit und den BMW-Manager: Sie wollen dann mehr Geld haben, wenn es Brei regnet; dann halten sie auch ihren Hut hin.

Und gegen den Brei wollen Sie Qualifikation und Bildung setzen?

Ich habe doch nur eine Chance, wenn ich bei Fragen der Qualifizierung und Bildung nach vorne gehe. Green-Card- und Zuwanderungsdiskussion zeigen uns doch die Versäumnisse. Und gerade unter dem Eindruck der jüngsten Entwicklungen - einige bereichern sich und andere versuchen, die Gunst der Stunde zu nutzen - warne ich davor, die Keule zu schwingen. Das wäre ein Pyrrhussieg. Wir machen Tarifpolitik eingebettet in einen europäischen Prozess, da muss man auch nach links und rechts gucken.

Kann Schröder gewinnen, wenn es eine harte Tarifrunde gibt und er das Ziel von 3,5 Millionen Arbeitslosen nicht erreicht?

Sicher, wenn er sich aus den Tarifverhandlungen raushält. Und er muss deutlich sagen, warum er das selbstgesteckte Ziel bei der Arbeitslosenzahl nicht erreicht.

Weil die Leute faul sind.

Nun ja, da ist ihm etwas rausgerutscht, aber der Bundeskanzler ist lernfähig. Er muss sich Gedanken machen, warum die 3,5 Millionen nicht erreicht werden.

Also?

Abgesprochene Maßnahmen im Bündnis für Arbeit sind nicht eingehalten worden: Reduzierung der Überstunden, Teilzeit, Job-Rotation - wenn die Arbeitgeber diese Gegenleistung erbracht hätten, dann hätten wir bis zu 700 000 Arbeitsplätze mehr. Und darum geht es jetzt: Wenn die Arbeitslosigkeit sinken soll, müssen die Zusagen endlich in die Tat umgesetzt werden.

Alle möglichen nationalen und internationalen Experten und Institutionen sehen den Kern des Übels im regulierten deutschen Arbeitsmarkt. Spinnen die alle?

Natürlich können nicht alle spinnen, weil es nicht alle sagen. Im Übrigen ist der Arbeitsmarkt flexibler als viele meinen. Derzeit wird eine Veränderung des Sozialgesetzbuches III vorbereitet, insbesondere mit Blick auf den Arbeitsmarkt. Ein Beispiel: Leihfirmen dürfen bislang einen Beschäftigten nur über ein Jahr ausleihen. Warum sollte man das nicht verlängern, etwa auf zwei Jahre, wenn sich die Übernahmechancen des Entliehenen dadurch verbessern und wenn er Tarifgehalt bekommt?

Das Unternehmen, das sich bei einer Zeitarbeitsfirma Leute ausleiht, stellt doch selbst nicht ein, weil es die Probleme mit eigenen Mitarbeitern - zum Beispiel Kündigungsschutz - vermeiden will.

Das ist zu einfach. Wenn ich ein Produkt mache, hängt das immer von Zyklen ab. Und da stellt sich die Frage, wie die Spitzen abgearbeitet werden, durch Überstunden, Leiharbeitnehmer oder Einstellungen. Wir sind also durchaus in einem fortgeschrittenen Stadium angepasster Flexibilität.

Sie wehren sich hartnäckig gegen einen Niedriglohnsektor für gering Qualifizierte. Was haben die entsprechenden Modellversuche im Bündnis für Arbeit gebracht?

Unter der Voraussetzung, dass die Arbeitgeber das nicht nutzen, um bestehende Arbeitsverhältnisse herunterzufahren, also eine Lohndrift nach unten nicht stattfindet, können wir da was machen. Die vier Modelle, wo wir kofinanzierte Möglichkeiten testen, laufen gar nicht so schlecht. Bei einfachen Tätigkeiten, die zur Zeit von Immigranten gemacht werden, in der Zone der Schwarzarbeit stattfinden oder einfach liegen bleiben, kann ich das Modell anwenden.

Manche Arbeitsmarktexperten beklagen die geringe Lohnspreizung in Deutschland.

Das stimmt einfach nicht. Wir haben Tarifverträge mit Lohngruppen von eins bis sechs oder sogar eins bis zwölf. In den unteren Lohngruppen, von eins bis vier, arbeitet aber kaum jemand. Die große Bandbreite wird also nicht genutzt.

Weil Lohnersatzleistungen, Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe so hoch sind, dass niemand in den unteren Lohngruppen einsteigt?

Wir können über Maßnahmen zur Arbeitsaufnahme sprechen, wenn wir ein Angebot von einer Million Arbeitsplätze haben und die dreieinhalb Millionen Arbeitslose nachweislich nicht wollen. Natürlich gibt es Leute, die das System ausnutzen. Aber dann müssen wir doch über diese Leute reden und nicht über das System insgesamt.

Arbeitsminister Riester will Arbeitslose mehr fördern und gleichzeitig mehr von ihnen fordern. Der richtige Weg oder populistische Politik?

Für populistische Dinge ist Walter Riester nicht der richtige Mann. Er will vor allem den Arbeitslosen sofort helfen. Sein Ansatz ist, hierfür neue Wege zu finden oder bewährte Strukturen zu erweitern. Wenn so Kapazitäten frei werden und sich die Mitarbeiter der Arbeitsämter zum Beispiel verstärkt um die Arbeitslosen kümmern könnten, wäre das ein vernünftiger Weg.

Gibt es das Bündnis für Arbeit noch?

Wir haben in der letzten Runde im März so viele Aufträge verteilt, dass die erstmal abgearbeitet werden müssen. Vor Ende des Jahres macht eine weitere Runde keinen Sinn. Aber Themen haben wir genug, beispielsweise die Erfahrungen mit den Billigjobs, die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen und die betriebliche Altersvorsorge.

Erhöht die Riester-Rente, also die Förderung der privaten Altersvorsorge, den Gestaltungsspielraum der Gewerkschaften?

Die Rentenreform war für uns eine verdammt harte Nuss, aber aufgrund der demografischen Entwicklung musste etwas passieren. Beim Aufbau der betrieblichen Altersvorsorge wollen wir nun dafür sorgen, dass für die Arbeitnehmer zu möglichst günstigen Konditionen abgeschlossen wird. Dabei machen wir uns nicht zum Verwalter - aus der Neuen Heimat haben wir gelernt. Natürlich werden wir aber darauf achten, dass das Geld nicht in Systemen oder Unternehmen angelegt wird, die wir ablehnen. Etwa da, wo es Kinderarbeit gibt.

Herr Schulte[der Tarifstreit bei der Lufthansa is]

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