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Wirtschaft: Luxusautos mit roter Schleife

Die USA feiern Weihnachten im Konsumrausch

Washington - Als er in einer feierlichen Zeremonie die Lichter des „Nationalen Christbaums“ vor dem Kapitol einschaltete, hielt US-Präsident George W. Bush eine kurze Rede. Darin forderte er seine Landsleute auf, während der Festtage vom üblichen Materialismus Abstand zu nehmen und sich auf „amerikanische Werte“ und Tugenden wie Nächstenliebe und Loyalität zu besinnen. Gleichzeitig legte er den US-Bürgern aber nahe, ganz normal ihrem Alltagsgeschäft nachzugehen. Zumindest Letzteres haben sich Konsumenten und, von deren schier unersättlicher Nachfrage beflügelt, auch die Industrie zu Herzen genommen: Noch nie war das Weihnachtsfest so sehr vom Kommerz geprägt wie in diesem Jahr.

So werden bis einschließlich Mitternacht Heiligabend nach Schätzungen von Ökonomen mehr als siebzig Milliarden Dollar in die Kassen des Einzelhandels geflossen sein, womit die bisherigen Rekorde spielend in den Schatten gestellt würden. Und fliehen kann vor dem aufdringlichen Weihnachtsgeschäft niemand.

An den Einfahrten zu einigen der größten Autohändler in Washington stehen drei Meter große, aufblasbare Weihnachtsmänner. Sie halten Plakate hoch, die eine zinslose Finanzierung des neuen Ford oder Honda versprechen. Selbst abends in der eigenen Wohnung werden Bürger von Marketingleuten per Telefon behelligt, die „Christmas Specials“ anpreisen – etwa verbilligte Lebensversicherungspolicen oder besonders günstige Kreditkarten, deren Zinssatz erst im neuen Jahr von null auf zwanzig Prozent steigt.

Im Fernsehen steht ausnahmslos jede Reklame im Zeichen der Festtage. Schmuck, Heimelektronik oder neue Möbel werden zum „Weihnachtspreis“ offeriert. Den besonders Wohlhabenden wird in kitschigen Werbespots sogar nahegelegt, einen neuen Jaguar oder Mercedes in die Garage zu stellen, mit einer roten Schleife zu versehen und am ersten Weihnachtstag „den Schatz mit einem Geschenk ganz besonderer Art zu überraschen“. Ebenfalls zu überaus günstigen Konditionen, versteht sich. Und wer von der unaufhaltsamen Flut größtenteils geschmackloser Weihnachtswerbung flüchten will und den Computer einschaltet, hat es auch nicht besser. Denn seit Anfang Dezember wird jeder amerikanische PC-Besitzer täglich mit im Schnitt fünfzehn Reklame-E-Mails überschwemmt.

Dass inmitten des Konsumrauschs nicht nur der gesunde Menschenverstand, sondern gelegentlich auch die Achtung vor dem Gesetz auf der Strecke bleibt, zeigt die Popularität umstrittener Produkte wie des „Taschenmotorrads“ der Firma Razor. Das Mini-Motorrad erreicht eine Geschwindigkeit von bis zu 70 Stundenkilometer, ist im Straßenverkehr nirgendwo zugelassen und wurde unter anderem in Philadelphia komplett verboten, nachdem ein zehnjähriger Junge bei einer Frontalkollision mit einem Pkw ums Leben kam. Dennoch finden sie reißenden Absatz und sind bei Neun- bis Vierzehnjährigen mittlerweile beliebter als die gefragtesten Computerspiele. Dass sich Eltern, die ihren Sprösslingen ohne Führerschein ein Mini-Motorrad schenken, strafbar machen, hat dem Geschäft während der Weihnachtssaison keinen Abbruch getan. Auch erfreuen sich Gutscheine für Botox-Spritzen (gegen Falten) und diverse kosmetischen Eingriffe, vor deren Nebenwirkungen selbst das US-Gesundheitsministerium gewarnt hat, wachsender Beliebtheit.

Um aus dem florierenden Weihnachtsgeschäft den maximalen Nutzen zu ziehen haben viele Warenhäuser und Einzelhandelsketten selbst am Heiligen Abend ihre Öffnungszeiten, die in den USA keinerlei gesetzlicher Vorschrift unterliegen, großzügig erweitert. Früher schlossen sie am 24. Dezember in der Regel um 18 oder 20 Uhr die Türen, dieses Jahr bleiben etliche Filialen bekannter Kaufhäuser wie WalMart und K-Mart sogar bis Mitternacht geöffnet. Und selbst der Christbaum, dann natürlich mit einem kräftigen Preisnachlass von bis zu fünfzig Prozent, ist noch bis zum ersten Weihnachtstag zu haben.

Peter De Thier

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