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Wirtschaft: Märklin macht schlau

Der Schock saß tief: Am 4. Dezember veröffentlichte die OECD ihre Pisa-Studie, die deutschen Schülern mangelnde schulische Grundfertigkeiten attestierte.

Der Schock saß tief: Am 4. Dezember veröffentlichte die OECD ihre Pisa-Studie, die deutschen Schülern mangelnde schulische Grundfertigkeiten attestierte. Viele Eltern nahmen sich das Ergebnis zu Herzen. Und zu spüren bekamen das die Spielwarenhändler im Weihnachtsgeschäft. Statt wie in den vergangenen Jahren Videospiele, Gameboys und Playstations zu verschenken, kauften die Eltern pädagogisch sinnvolles und klassisches Spielzeug. Darüber hinaus zogen sich nach den Terroranschlägen vom 11. September viele in die Familie zurück. Brutale Videospiele wollte da keine Mutter mehr verschenken, statt dessen gab es eben Gesellschaftsspiele, Puppen, Spieluhren und Modelleisenbahnen.

"Wir haben einen klaren Trend zum klassischen Spielzeug", sagt Magnus Danneck vom Bundesverband des Spielwareneinzelhandels, "an Weihnachten wird immer eher konservativ geschenkt, doch dieses Mal war der Trend besonders stark." Klassische Spielwaren - unter diese Bezeichnung fällt alles, was nicht zur Kategorie der elektronischen Spielwaren gezählt wird. Und die hatten in den vergangenen Jahren den altbekannten Puppen und Teddybären den Rang auf den Wunschlisten abgelaufen. Doch eben nicht im Jahr 2001 - kein Multimedia-Weihnachten im neuen Jahrtausend.

"Durch die Videospiele werden die Kinder doch ganz nervös. Sie können sich viel schlechter konzentrieren als früher", schildert eine Gymnasiallehrerin ihre Erfahrungen an der Schule. "Da wünscht man sich, die Eltern würden ihnen mal ein Buch zu lesen geben, anstatt sie immer nur Gameboy spielen zu lassen oder sie vor einen Bildschirm zu setzen." Die Pisa-Studie, die bei 15-Jährigen in 31 Ländern die Basiskompetenzen in den Bereichen Leseverständnis, Mathematik und Naturwissenschaften untersuchte, stellte fest, dass sich deutsche Schüler vor allem mit dem Lesen schwer tun und es ihnen an der Fähigkeit mangelt, den Sinn der Wörter zu erfassen und Probleme zu begreifen.

Für Ingetraut Palm-Walter, Mitglied im Vorstand des "spiel gut Arbeitsausschuss Kinderspiel und Spielzeug e.V.", war das Ergebnis keine Überraschung. Der Arbeitsausschuss hat es sich zur Aufgabe gemacht, gutes und sinnvolles Spielen zu fördern. Erzieher, Wissenschaftler und Eltern untersuchen und testen Spielwaren auf ihre Qualität und beraten Eltern beim Kauf. Für Palm-Walter ist an den Ergebnissen der Pisa-Studie unter anderem die fehlende Spielqualität schuld: "Bei unseren Spielzeugtests zeigt sich, dass das Spiel der Kinder anspruchsloser geworden ist. Nachbauen statt selbst erfinden ist angesagt", bemängelt die Erzieherin. Weil das Kinderspiel immer simpler werde, gingen den Kindern wichtige Erfahrungen verloren, die helfen, den Sinn und die Bedeutung von Wörtern zu erfassen und Zusammenhänge herzustellen. Ihrer Meinung nach hätten noch viel zu wenig Eltern erkannt, wie wichtig das kreative Spielen sei.

"Ohne Spielen kein Lernen", stellt Corinna Printzen fest, Geschäftsführerin des Deutschen Verbandes der Spielwarenindustrie. Und Professor Waldemar Oschkines, der als Wissenschaftler an den Spielwarentests von "spiel gut" beteiligt ist, ist ähnlicher Meinung. Für ihn ist es wichtig, dass Kinder überhaupt spielen: "Ein Kind, das spielt, wird mehr Kreativität entwickeln und sogar gesünder sein als ein Kind, das nicht spielt", sagt er. Ein Spiel solle zudem nicht zu eindimensional sein, sondern mehrere Möglichkeiten zum Gestalten bieten, rät Oschkines. Die Eltern haben sich diesen Rat 2001 zu Herzen genommen: "Wir haben das Gefühl, dass sich die Konsumenten sehr kreativ orientiert haben", stellt Danneck fest.

Profitiert haben davon vor allem die Hersteller von Modelleisenbahnen. "In unserem Geschäft sind wir spezialisiert auf Modelleisenbahnen, und an Weihnachten sind diese extrem gut gelaufen", erzählt Wilfried Baumunk, der einen Spielwarenfachmarkt in Hessen besitzt. Seiner Meinung nach gibt es einen starken Trend zu klassischem, altbewährtem Spielzeug - und das seien nun mal die Modelleisenbahnen. Marktführer ist die Firma Märklin. Seit 143 Jahren stellt sie die kleinen Eisenbahnen und passendes Zubehör her. "In diesem Jahr war die Resonanz auf unsere Produkte sehr gut", bestätigt die Sprecherin des Unternehmens.

Indianer statt Science Fiction

Sie sieht einen Trend zur Häuslichkeit. "Mit der Modelleisenbahn spielt man in der Familie gemeinsam, häufig wird sie an den Feiertagen unter dem Weihnachtsbaum aufgebaut." Im Jahr 2001 sind wohl viele Familien dieser Tradition nachgegangen: "Die Modelleisenbahnen sind in meinem Geschäft das einzige Segment, das einen Aufschwung im Vergleich zu 2000 geschafft hat", bestätigt auch Manon Motulsky, ebenfalls Besitzerin eines Spielwarenfachgeschäftes.

Gerne gekauft wurde auch Playmobil. "Hier gab es Weihnachten den totalen Aufschwung. Playmobil setzt auf klassische Themen wie Cowboys, Indianer, Polizei, Bagger", schwärmt Motulsky, "manche Playmobilkästen sind so gut gelaufen, dass sie nicht mehr lieferbar waren." Für die Geschäftsinhaberin kein Wunder: Spielen mit Playmobil fördere das Rollenspielverhalten und die Fantasie, und klassische Themen liefen gut. "Einen Einbruch hat dagegen Lego erlitten - seit sie auf Sience-Fiction-Themen setzen, wird weniger gekauft", fügt Motulsky hinzu.

Aber nicht nur die Ergebnisse der Pisa-Studie haben die Eltern aufgeschreckt. Auch die Terroranschläge vom 11. September haben die Stimmung verändert. "Nach so einem Ereignis besinnen sich viele wohl eher auf Traditionelles und ziehen sich in die Familie zurück. Es passt in unsere Zeit, dass Eltern ihren Kindern hochwertiges Spielzeug schenken und sie fördern wollen", erklärt Einzelhandelssprecher Danneck. Diesen Trend sieht auch Händler Baumunk: "Nach dem 11. September habe sich die Kunden beim Kaufen erstmal sehr zurückgehalten. Die Leute hatten Angst, dass sie selbst von solchen Ereignissen betroffen sein könnten. Danach ging der Trend hin zu sicheren, bekannten Dingen."

Ein Ende des modernen Spielzeugs bedeutet dies jedoch sicherlich nicht. "Ein Grund dafür, dass die klassischen Spielzeuge so gut gelaufen sind, ist auch, dass es in anderen Bereichen an diesem Weihnachten einfach keine Inovationen gab", sagt Danneck. Neue Videospiele habe es etwa kaum gegeben. Auch Corinna Printzen von der Industrie sieht die elektronischen Spielwaren nicht grundsätzlich aus den Spielzimmern verschwinden: "In diesem Jahr wird es wieder ganz anders laufen: Microsoft beispielsweise steigt auf den Markt der Videospiele ein. Dann wird diese Branche im Weihnachtsgeschäft vermutlich wieder gut laufen." Ein anderer Markt, auf dem es im Jahr 2001 nichts zu holen gab, waren die Lizenzprodukte, das heißt Merchandising-Artikel der Filmindustrie. Geschäftsinhaberin Motulsky: "Der Verkauf von Lizenzprodukten war in diesem Jahr rückläufig, weil es kaum Filme gab, die gut bei Kindern ankamen", sagt Geschäftsinhaberin Manon Motulsky. "Und Harry Potter konnte den Pokémon-Boom vom letzten Jahr dann doch nicht ersetzen."

Hannah Wilhelm

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