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König Mohammed VI. – neben ihm sein Sohn – will Marokko weiterentwickeln. Zu den wichtigen Projekten gehören der Hafen in Tanger und der Bau eines neuen Stadtviertels in Rabat.

© AFP

Marokko: 1001 Projekt

König Mohammed VI. lässt Häfen, Städte und Schulen bauen, um sein Reich zu modernisieren. Der Blick geht nach Europa.

Tanger/Rabat - Wenn die roten Fahnen wehen, ist der König nicht weit. Letzte Woche war es Tanger, die weiße Stadt im Norden, die Rot trug. Seine Majestät, Mohammed VI., war an die Küste gereist, um den nahe gelegenen Passagierhafen „Tanger Med“ zu eröffnen. Und weil das Staatsoberhaupt schon einmal in der Gegend war, weihte der König auch gleich noch den neuen, von Deutschland mitfinanzierten Windpark ein, der Energie für den Hafen und die Firmen liefern soll, die sich dort niedergelassen haben.

Elf Jahre sind vergangen, seitdem Mohammed VI. seinen Vater, Hassan II., auf dem Königsthron abgelöst hat. Ende Juli wird der Jahrestag der Thronbesteigung gefeiert – und der Beginn eines neuen Zeitalters in Marokko. Denn Hassan II. hatte seinem Sohn mit der Annektierung der Westsahara nicht nur ein bis heute ungelöstes völkerrechtliches Problem hinterlassen, sondern auch enorme wirtschaftliche Schwierigkeiten. Unter König Hassan konnte jeder zweite Marokkaner weder lesen noch schreiben, rund 19 Prozent der Bevölkerung galten als arm.

„Wir müssen die Vergangenheit korrigieren“, sagt Verkehrsminister Karim Ghellab. Der frühere Berater gehört zur neuen Garde in Rabat: polyglotte Manager, die in der Wirtschaft Karriere gemacht haben, bevor sie Minister geworden sind. Tourismusminister Yassir Zenagui hat 13 Jahre als Investmentbanker in London gearbeitet. Agrarminister Aziz Akhannouch ist mit seiner Tankstellenkette reich geworden. Sie alle sind vom König gerufen worden, um ihm zu helfen. Im Eiltempo versucht Mohammed VI., das Land zu modernisieren. Ob Infrastruktur, Landwirtschaft, Tourismus oder Städteplanung, alle wichtigen Projekte beginnen mit einer Initiative des Monarchen. Wie im Fall des Bouregreg-Tals, das zwischen der Hauptstadt Rabat und dem benachbarten Salé liegt. „Seine Majestät hat einen Brief geschrieben“, berichtet Lemghari Essakl, Leiter der Entwicklungsagentur. Darin hat der König unmissverständlich gefordert, das lange brachliegende Terrain zu entwickeln. Jetzt entsteht dort ein komplett neues Stadtquartier, entwickelt vom Stararchitekten Norman Foster. Häuser, Geschäfte, Straßen, Häfen, Theater und eine neue Straßenbahnlinie sind im Bau.

Bewegt wird vieles – Geld, notfalls auch Gebäude. Damit die Autos reibungslos fahren können, bauen Ingenieure einen Tunnel unter die Kasbah des Oudayas und setzen dafür die Wehrburg aus dem 12. Jahrhundert auf Stelzen. Als Investor Dubai wegen der Krise im eigenen Land das Geld ausging, sprangen andere ein – allen voran der König selbst. Mohammed VI. besitzt zahlreiche Paläste und Firmen, er ist der reichste Mann Marokkos. Und im Gegensatz zu vielen anderen afrikanischen Herrschern zögert er nicht, sein Geld im eigenen Land zu investieren. Aber: „Alle Projekte müssen rentabel sein“, betont Verkehrsminister Ghellab. Wie beim Autobahnbau. Der Staat finanziert die neuen Routen vor, kassiert dafür aber später die Straßenmaut.

Das neue Marokko wird generalstabsmäßig geplant. Alles ist mit allem verknüpft. Beispiel: der neue Hafen von Tanger. Rund 100 000 Schiffe befahren jedes Jahr die Straße von Gibraltar. Seit 2007 hat Marokko an der wichtigsten Seestraße der Welt einen Tiefseegüterhafen, seit der vergangenen Woche steuern auch Personenfähren „Tanger Med“ an. An einer Erweiterung des Güterhafens wird bereits gebaut, zudem soll Renault einen eigenen Port bekommen. In zwei Jahren wollen die Franzosen in Tanger die ersten Autos bauen und in alle Welt verschicken – zollfrei dank der Freihandelsabkommen, die Marokko mit der EU, den USA und zahlreichen arabischen Staaten geschlossen hat. Darüber hinaus profitieren Renault und seine Zulieferer von den zahlreiche Freihandelszonen, die der Staat in Hafennähe eingerichtet hat und in denen Ansiedelungen mit Steuergeschenken belohnt werden.

Das Konzept geht auf. Der lange vernachlässigte Norden, in dem früher die Drogenbarone das Sagen hatten, boomt. „6000 Arbeitsplätze entstehen bei Renault direkt, 30 000 bei Zulieferern“, berichtet Hicham el Aloui, Marketingdirektor der Freihandelszone. Um die Arbeitskräfte unterzubringen, baut Marokko den Investoren eine neue Stadt. In Ch’rafat sollen eines Tages 150 000 Menschen leben. Auch neue Autobahnen und Eisenbahnlinien entstehen. In einigen Jahren soll der französische Hochgeschwindigkeitszug TGV von Tanger über Rabat nach Casablanca brausen. Mit großzügigen Finanzierungshilfen haben sich die Franzosen diesen Auftrag geangelt. Jetzt sucht Minister Ghalleb deutsche Bahntechnikfirmen, die den Ausbau begleiten.

Obwohl Frankreich traditionell enge Geschäftskontakte mit der einstigen Kolonie hat, möchten die Marokkaner gern auch mit Deutschland ins Geschäft kommen. Doch das Interesse hält sich hierzulande in Grenzen. „Die Deutschen haben Vorurteile“, glaubt Ghalleb, „dabei ist Marokko besser durch die Krise gekommen als die meisten anderen Länder.“ Mounir Ferram, Chef des marokkanischen Unternehmerverbandes, beklagt die restriktive Visumspolitik der Deutschen: „Viele Anträge von marokkanischen Unternehmen werden abgelehnt.“

Auch in Tanger sind deutsche Firmen Mangelware. Eine der wenigen Ausnahmen ist Schlemmer. Die Firma, die ihren Hauptsitz in der Nähe von München hat, stellt Ummantelungen für Autokabel her. Die 30 Mitarbeiter verdienen nur ein Drittel dessen, was in Deutschland gezahlt wird. Das habe aber nicht den Ausschlag für die Ansiedelung gegeben, sagt der Chef der marokkanischen Tochter. „Wir sind unseren Kunden gefolgt“, berichtet Mohamed Slimani. 16 Jahre hat der Marokkaner in Deutschland gelebt, bevor er nach Tanger gegangen ist. Er kennt beide Welten gut. Probleme, so weiß der Manager, gibt es vor allem wegen der unterschiedlichen Mentalitäten. Präzision, Disziplin – die in Deutschland hoch gehaltenen Werte würden in Marokko eine geringere Rolle spielen. Betriebliche Schulungen sollen die Arbeitnehmer jetzt auf die deutschen Ansprüche vorbereiten.

Auch der Staat versucht, das Bildungsniveau seiner Bürger zu heben und die arme Bevölkerung auf dem Weg in die Moderne mitzunehmen. Dabei hilft die INDH, eine Behörde, die 2005 auf Betreiben des Königs gegründet wurde und Sozialprojekte betreut. Knapp 20 000 Projekte hat die „Initiative nationale pour le développement humain“ bisher finanziert, der Großteil des Geldes kommt vom Staat, aber auch ausländische Finanziers wie die deutsche GTZ sind mit im Boot. Die INDH kämpft unter anderem gegen die hohe Schulabbrecherquote. „Wir zahlen den Familien Geld dafür, dass sie ihre Kinder in die Schule schicken und nicht aufs Feld“, sagt INDH-Chefin Nadira el Guermai.

Dennoch liegt auch im neuen Marokko noch einiges im Argen. Zwar werden Schulen gebaut, doch oft fehlen Lehrer. 300 Euro verdienen diese in Marokko, zu wenig, um Pädagogen in die Provinz zu locken. Und auch die Mittel für Reparaturen sind knapp. „Es ist leichter, Geld für eine neue Schule zu bekommen, als das kaputte Dach einer alten Schule zu reparieren“, spotten Deutsche, die in Rabat leben. „Der König weiht lieber neue Projekte ein, als sich um alte zu kümmern“, sagen sie. Aber nur leise. Denn Kritik am König ist tabu. Für jedermann.

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