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Willkommen in Marseille. In zwölf Stunden legt die Bahn die Strecke von Berlin in die südfranzösische Metropole künftig zurück.

© AFP

Marseille statt London: In acht Stunden mit der Bahn ans Mittelmeer

Die Deutsche Bahn fährt von Frankfurt am Main nach Marseille – mithilfe der Konkurrenz. Doch eigentlich hatte Konzernchef Grube anderes im Sinn.

Sicher, Marseille ist nicht irgendeine Stadt. Frankreichs Nationalhymne trägt ihren Namen, das weltgrößte Boule-Turnier findet alljährlich dort statt, die Bouillabaisse wurde hier erfunden, und der örtliche Fußballklub kann demnächst Bayern München aus der Champions League werfen. Doch Rüdiger Grube hatte eigentlich anderes im Sinn. Nicht Marseille sollte zur Metapher für die neue Internationalisierung seiner Deutschen Bahn werden, sondern London. Eine Zugverbindung dorthin, mit schnellen, ultramodernen ICEs pünktlich zu den Olympischen Spielen in diesem Sommer, das war der Traum des Bahn-Chefs.

Passé. Die deutsche Bahnindustrie hat Grubes ehrgeizige Pläne durchkreuzt. Siemens kann die neuen ICEs, die für den London-Verkehr nötig sind, nur mit jahrelanger Verspätung liefern. In ihrer Not muss die Deutsche Bahn nun einen Kompromiss eingehen – und die Eroberung Europas mit Zügen der Konkurrenz angehen. Am kommenden Freitag fährt erstmals ein Direktzug auf der Strecke Frankfurt am Main–Marseille, eine Kooperation zwischen den Staatsbahnen DB und SNCF. Allerdings kein ICE, sondern ein französischer TGV.

Die Deutsche Bahn feiert die Premiere auf dieser Strecke dennoch. In sieben Stunden und 45 Minuten wird der bis zu 320 Stundenkilometer flotte, doppelstöckige Zug den Main mit dem Mittelmeer verbinden, via Baden-Baden, Straßburg, Lyon, Aix-en-Provence und Avignon. Von Berlin können eingefleischte Zug-Fans in knapp zwölf Stunden ans Mittelmeer flitzen. Die Preise für die einfache Fahrt beginnen bei 89 Euro. Ein Flugticket kostet selbst beim billigsten Anbieter ein Vielfaches.

Wirtschaftlich dürfte die Maßnahme für die deutsche Staatsbahn kaum von Interesse sein. Da der Zug nur gut 200 Kilometer über Trassen diesseits des Rheins fährt, ist der Umsatzanteil der Deutschen eher gering. „Aus deutscher Sicht ist das Projekt Frankfurt–Marseille nicht erfreulich“, findet Maria Leenen, Geschäftsführerin der Bahn-Beratungsfirma SCI Verkehr. Die Bahn spiele wegen des anhaltenden ICE-Mangels nur eine untergeordnete Rolle, allein aus strategischen Gründen könne das Projekt sinnvoll sein. „Sie kann Strecken, Behörden und Wettbewerber im Ausland kennenlernen. Das ist wichtig, um später im Wettbewerb erste Nadelstiche setzen zu können.“

Zwar steuert die Bahn bereits heute täglich 80 europäische Städte in sechs Ländern an. Doch echte Konkurrenz findet im Fernverkehr bislang nicht statt, die großen Staatsbahnen setzen auf Kooperationen, um einander nicht weh zu tun. Genau das wollte die Bahn ändern, als sie 2010 ankündigte, erstmals auf eigene Rechnung von Köln und Amsterdam aus nach London fahren zu wollen. Das hätte die Nachbar-Bahnen verärgert. Die Bahn stehe „an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter“, frohlockte Grube damals, nachdem ein ICE erstmals durch den Kanaltunnel gefahren war.

Das stimmte insofern, als der Wettbewerb bei der Bahn allmählich in Gang kommt. Im Regional- und im Güterverkehr muss sich der Staatskonzern bereits seit Jahren der Konkurrenz erwehren. Auch im inländischen Fernverkehr wird es bald Alternativen zum Monopolisten geben. Zwei Unternehmen planen zur Jahresmitte Angebote auf stark frequentierten Strecken, darunter auch Hamburg–Berlin. Nur bei Zugverkehr ins Ausland traut sich niemand. Ein Anbieter müsste für Millionen Euro Loks und Waggons anschaffen, auf Zuschüsse für den Betrieb kann er nicht hoffen. „Das wirtschaftliche Risiko ist sehr hoch“, sagt Holger Krawinkel vom Bundesverband der Verbraucherzentralen . „Erst wenn sich zeigt, dass es einen Markt im Niedrigpreissegment gibt, dürfte es private Konkurrenz geben.“

Dabei sorgen viele neue Hochgeschwindigkeitsstrecken in Europa dafür, dass die Bahn im Vergleich zu Flugzeug und Auto aufholt. Die Reisezeiten werden kürzer – das ist wichtig, denn Geschäftsreisende nehmen Zugfahrten nur bis maximal vier Stunden in Kauf, Privatleute bis zu sechs Stunden.

Allerdings gibt es in Europa eine Unwucht: Während die Länder des Westens, allen voran Frankreich, ihr Schnellfahrnetz kontinuierlich ausbauen, kommt Osteuropa nicht voran. Das Angebot ist mau, die Züge fahren selten und sind unmodern. Immerhin: Ab 6. Juni gibt es einen neuen Eurocity-Direktzug von Berlin nach Danzig. „Da gibt es noch eine Menge Spielraum, wo die Bahn internationaler werden könnte“, sagt Krawinkel. „Die Strecke Berlin–Prag–Wien ist genauso lang wie Paris–Marseille, die Fahrt dauert aber dreimal so lang.“ Hier müssten die Staaten Abhilfe schaffen.

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