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Medikamentenentwicklung: Deutsche Pharmaforscher holen auf

Nirgendwo in Europa werden so viele klinische Studien durchgeführt wie in Deutschland. Die Entwicklungsausgaben haben sich seit dem Jahr 2000 fast verdreifacht, Konzerne wie Bayer wachsen stärker als der Markt.

Frankfurt am Main - Die deutsche Pharmabranche macht in der Medikamentenentwicklung wieder Boden gut. So gilt Deutschland inzwischen erstmals seit Jahren wieder als führender europäischer Standort für die klinische Forschung. Angesichts schwieriger politischer Rahmenbedingungen und vergleichsweise niedriger Forschungsförderung hatten Branchenvertreter bisher stets gewarnt, dass Deutschland im globalen Standortwettbewerb zurückfallen werde.

Überraschend zeigt sich jedoch jetzt, dass die Mitgliedsunternehmen des Verbandes der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) ihre Forschungsaktivitäten hierzulande tendenziell verstärkt haben. In der klinischen Forschung, das heißt der Untersuchung von neuen Wirkstoffen am Menschen, nimmt Deutschland im europäischen Vergleich seit 2007 erstmals wieder eine Spitzenstellung ein. In den drei Jahren seit 2004 wurden insgesamt rund 3900 klinische Studien durchgeführt, gegenüber 3750 in Großbritannien, dem bisherigen Spitzenreiter. Italien folgt mit 2200 auf Platz drei.

Die Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Pharmahersteller in Deutschland stiegen 2007 um circa 20 Prozent auf rund 8,2 Milliarden Dollar und haben sich seit Anfang des Jahrzehnts damit fast verdreifacht. Ihr Anteil an den gesamten Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Branche in Europa erhöhte sich in diesem Zeitraum um fast fünfeinhalb Prozentpunkte auf rund 23 Prozent. Der negative Trend der 80er und 90er Jahre, als die deutsche Pharmaforschung an Boden verloren hatte, konnte umgekehrt werden.

Die Wende wird derzeit auch von der relativ starken Entwicklung der führenden deutschen Pharmakonzerne Bayer, Boehringer und Merck unterstrichen. Sie bewegen sich zwar nach wie vor nur im Mittelfeld der Branche, wachsen zurzeit aber deutlich stärker als die meisten großen Konkurrenten. Darüber hinaus haben mehrere große europäische Pharmahersteller, so insbesondere Roche, Novartis und Sanofi-Aventis, ihr Engagement am Standort Deutschland in den letzten Jahren eher ausgebaut.

Auch die Zahl der Patentanmeldungen im Pharmabereich habe in den letzten Jahren stärker zugenommen als an anderen Pharmastandorten, heißt es in einer Studie von Pricewaterhouse Coopers und des Hamburgischen Weltwirtschafts-Instituts (HWWI). Dies könne als „Frühindikator“ für die Innovationsfähigkeit angesehen werden. Die Pharmabranche ist nach Einschätzung des HWWI auch der einzige Technologiesektor in Deutschland, in dem die Forschungsintensität in den letzten Jahren nicht ab-, sondern zugenommen hat. Nach einer Studie des Stifterverbandes der deutschen Wirtschaft investieren nur der Fahrzeugbau und die Elektronikindustrie mehr als die Pharmabranche.

„Ungeachtet der Erfolge in den vergangenen Jahren müssen wir aber aufpassen, dass wir den Anschluss an die internationale Entwicklung in der Forschung nicht verlieren“, warnt Wolfgang Plischke, der Vorstandsvorsitzende des VFA. Plischke, der zugleich Vorstandsmitglied bei Bayer ist, verweist dabei auf eine deutlich höhere staatliche Forschungsförderung in Ländern wie den USA, Frankreich oder Großbritannien sowie auf das verstärkte Engagement von Schwellenländern wie China oder Singapur in der Pharmaforschung. Auch die Rahmenbedingungen für den Einsatz von Risikokapital sowie die Gesundheitspolitik der letzten Jahre, die die Perspektiven auf dem Inlandsmarkt stark dämpfte, gelten aus Sicht des VFA als Bremse für den Forschungsstandort.

Der Verband fordert deswegen eine Standortinitiative. So stieg die Zahl der Mitarbeiter in der Pharmaforschung nach Daten des VFA 2007 um 1,4 Prozent auf rund 17 000 Personen, während die Gesamtzahl der Beschäftigten um gut vier Prozent auf 90 000 zurückging. HB

Siegfried Hoffmann, Maike Telgheder

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