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Unvereinbar? Die Mehrheit der Arbeitnehmer ist unzufrieden, was die Vereinbarkeit von Familie und Firma angeht. Dabei gibt es viele Modelle, die es den Beschäftigten erleichtern. Wo Fachkräftemangel herrscht, sind diese auf einmal möglich. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Wirtschaft: Mehr Familie wagen

Teilzeit, Homeoffice, Telearbeit: Unternehmen müssen familienfreundlicher werden.

Manchmal hilft ja ein Präzedenzfall. Beim Bundesliga-Klub Hannover 96 hat man im Moment so einen. Jörg Schmadtke ist dort Manager in Teilzeit. Zuletzt hat er gar eine elfwöchige Auszeit aus familiären Gründen genommen. Bis zum Ende des Jahres hat der 48-jährige einen Vier-Stunden-Tag – und ist gleichzeitig einer der wichtigsten Männer im Millionengeschäft Profifußball. So wenig Schmadtkes berufliche Tätigkeit mit der des durchschnittlichen Arbeitnehmers in Deutschland zu tun hat, so sehr kann er doch öffentlichkeitswirksam in die Debatte um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eingreifen.

Es gibt mittlerweile viele Modelle familienfreundlichen Arbeitens, meist durch flexible Arbeitszeiten. Telearbeit, Vertrauensarbeitszeit und Teilzeitmodelle sind in aller Munde. Auch das Errichten von Betriebskitas wird von den Unternehmen immer mehr als Möglichkeit gesehen, ihren Mitarbeitern den Spagat zwischen Familie und Beruf zu vereinfachen. Und dennoch kann man in Deutschland bisher noch nicht von einer familienfreundlichen Arbeits- und Unternehmenskultur sprechen. Dass am Freitag eine Quote für Frauen in Führungspositionen eingeführt werden musste, ist etwa ein Indiz dafür.

Und auch die Zufriedenheit der Arbeitnehmer sank innerhalb des letzten Jahres. Bei einer Onlineumfrage der Unternehmensberatungsfirma Synergy Consult wurden Mitarbeiter aus allen Branchen und allen Unternehmensbereichen nach der Familienfreundlichkeit ihres Betriebs gefragt. Die Ergebnisse: Die Anerkennung von Teilzeitarbeit, gerade bei Führungskräften, wird als geringer empfunden. Um 16 Uhr zu gehen, um seine Kinder aus der Kita abzuholen, gelte als unerwünscht. Und kaum ein Vater nimmt mehr als die üblichen zwei Monate Elternzeit.

Beim Sanitätshaus Koch in Neukölln wäre diese Umfrage vermutlich anders ausgefallen. Das Unternehmen wurde im Juni beim Landeswettbewerb „Unternehmen für Familie – Berlin 2012“ als besonders familienfreundliches Unternehmen ausgezeichnet. Die Firma unter der Leitung von Mareen Koch versucht Familienfreundlichkeit in die Unternehmensphilosophie zu integrieren. Koch, selbst Mutter zweier Kinder und ehemalige Teilzeit-Chefin, braucht dafür keine fixen Modelle: „Bei uns läuft vieles über Absprachen im Kollegium“, sagt sie, „und sein Arbeitszeitkonto pflegt jeder selbst.“ Das seit 1985 bestehende Unternehmen hat 42 Mitarbeiter, die wiederum haben 20 Kinder zuhause.

Im Zweifel solle die Familie Vorrang vor dem Beruf haben – das gelte immer, sagt Koch. Sie verhehlt nicht, dass das auch zu Problemen führt: „Wenn dann mal wieder jemand fehlt, weil das Kind zuhause krank ist, wird natürlich auch gemeckert und gestöhnt“, sagt sie, „aber das darf bei uns so sein, da halte ich schon den Finger drauf.“ Die 45-jährige ist gelernte Bürokauffrau und übernahm das elterliche Unternehmen. Sie glaubt nicht, dass die diversen Modelle unterschiedslos gut für den Arbeitnehmer sind: „Von Telearbeit etwa bin ich überhaupt kein Fan – zu Hause soll die Arbeit ruhen. Ich wundere mich eher, dass man an familienfreundlichen Grundsätzen überhaupt rüttelt.“

Will man über eine familienfreundliche Arbeitskultur generell nachdenken, lohnt sich immer ein Blick auf die Arbeitszeitmodelle in Skandinavien: 33 Stunden beträgt die Wochenarbeitszeit etwa in Norwegen, ab 16 Uhr gehört der Tag eines durchschnittlichen Arbeitnehmers der Familie. In diesen Ländern ist für die Frauen der Zeitpunkt des Kinderkriegens bereits egal, weil der Nachwuchs und beruflicher Aufstieg sich nicht ausschließen. Die Entscheidung pro Quote, die am Freitag durch den Bundesrat ging, gab es in Norwegen übrigens auch – im Jahr 2003.

Thorsten Neumann, Gruppenleiter der Personalabteilung bei Gasag, profitiert bereits jetzt von familienfreundlichen Strukturen in seinem Betrieb. Er arbeitet in Teilzeit, 30 Stunden in der Woche. Nachdem er vor zwei Jahren Vater wurde, haben er und seine Frau eine zweimonatige Aussteigerzeit in Spanien genommen, seither arbeitet er in verkürzter Arbeitszeit und hat auch noch die Vätermonate genommen. Als Personaler bekommt er die Debatte um Familienfreundlichkeit in all ihren Facetten mit: „Wir konnten etwa eine Abteilungsleiterin vor einigen Jahren von einer Wirtschaftsberatungsfirma abwerben, weil es ihr bei uns möglich war, als Führungskraft in Teilzeit zu arbeiten.“

Jedoch agieren viele Unternehmen auch aus der Not heraus: „In den Branchen, wo Fachkräftemangel herrscht, sind familienfreundliche Arbeitszeiten plötzlich leichter umsetzbar“, sagt Christina Stockfisch. Sie leitet die Projektgruppe Vereinbarkeit von Familie und Beruf beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Sie sagt ferner: „Es gibt ein Ost-West-Gefälle und ein Gefälle zwischen Hochqualifizierten und weniger Qualifizierten.“ Immer noch sind die Unternehmen im Osten familienfreundlicher, und immer noch könnten sich gering Qualifizierte etwa die Gebühren für die Betriebskita gar nicht leisten. Oder der Betriebskitavorstand bevorzuge die Kinder von im Unternehmen höher angesiedelten Mitarbeitern bei der Platzvergabe. „Das sind Einzelfälle, aber es gibt sie“, sagt Stockfisch.

„Berlin steht aber im Vergleich zum alten Westdeutschland noch einigermaßen gut da, was Familienfreundlichkeit betrifft.“ Ihre Gruppe arbeitet derzeit etwa zur Arbeitszeitgestaltung bei Pflegefällen in der Familie. „Das gehört ja auch zu familienfreundlichen Arbeitszeiten und ist schwer zu gestalten. Durchschnittlich wird ein pflegebedürftiger Angehöriger zwölf Jahre familiär betreut.“ Genauso will man die Regelungen in Schichtbetrieben mehr in den Fokus rücken – hier seien familienfreundliche Modelle schließlich am schwersten zu realisieren.

Auffällig ist generell, dass oft nur über die gut verdienenden Berufsgruppen gesprochen wird. „In Berlin etwa haben wir eine stetige Zunahme der prekären Jobs, da schwinden die Chancen auf familienfreundliche Arbeitszeitmodelle wie von selbst“, sagt Andreas Splanemann, Sprecher von Verdi Berlin-Brandenburg. „In Unternehmen, wo man Tarifverträge hat, mögen diese Modelle durchführbar sein, aber etwa im Einzelhandel, wo es zunehmend nur Werkverträge gibt, haben die Arbeitnehmer schlechte Chancen auf Teilzeitmodelle oder flexible Arbeitszeiten.“ Eine breiter geführte Debatte, die die Arbeitskultur und Unternehmenphilosophien mit einschließt, scheint also weiterhin vonnöten – und wenn selbst die Bundesliga-Manager zum Nachdenken darüber anregen, um so besser.

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