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© dpa

Merck & Co.: Pharmafirma muss Vioxx-Akten offenlegen

Der US-Pharmakonzern Merck & Co. hat im Fall Vioxx in Deutschland eine juristische Niederlage erlitten. In Berlin klagt ein Mann, dessen Frau nach Einnahme des Medikaments verstorben war. Sein Anwalt spricht von Durchbruch.

Berlin - Das Oberlandesgericht Brandenburg hat die deutsche Merck-Tochter MSD Sharp & Dohme verpflichtet, alle internen Unterlagen über Nebenwirkungen des Schmerzmittels herauszugeben. Das teilte eine Gerichtssprecherin mit.

Kläger war ein Berliner Witwer, dessen Ehefrau 2004 an einem Herzinfarkt gestorben war, nachdem sie viereinhalb Jahre lang Vioxx eingenommen hatte. Im selben Jahr hat Merck den Vertrieb von Vioxx gestoppt. Der Witwer vermutet indes, dass Merck schon lange vorher Hinweise auf ein erhöhtes Risiko durch Vioxx hatte.

Der Berliner Anwalt des Klägers, Jörg Heynemann, spricht von einem Durchbruch auch für die anderen anhängigen Klagen gegen MSD. Deren Zahl schätzt er in Deutschland auf 200 bis 250. Darunter befänden sich auch einige Krankenkassen, die sich das Geld für Nachfolgebehandlungen zurückholen wollen. Der Streitwert aller Prozesse liege insgesamt unter zehn Millionen Euro.

Aus einer Hochrechnung von Peter Sawicki, dem Leiter des Kölner Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG), geht hervor, dass in Deutschland bis zu 7000 Menschen einen Herzinfarkt erlitten haben könnten, nachdem sie Vioxx genommen haben. Das Medikament war nach seiner Markteinführung 1999 das meistverkaufte Produkt von Merck, weltweit steuerte es umgerechnet 2,5 Milliarden Euro zum Umsatz bei.

Anwalt Heynemann geht davon aus, dass sich in den Unterlagen von MSD bislang geheim gehaltene Studien finden könnten, aus denen hervorgeht, dass das Unternehmen schon im Jahr 2000 von den Risiken wusste. „Dann hätte Vioxx sofort vom Markt genommen werden müssen.“ Sollten tatsächlich belastende Unterlagen gefunden werden, könnte es peinlich werden für MSD. Heynemann hält es daher für möglich, dass das Unternehmen doch noch einer von ihm angestrebten außergerichtlichen Einigung mit hohen Geldzahlungen an die Geschädigten zustimmt. Für seinen Berliner Mandanten verlangt er ein Schmerzensgeld von 50 000 Euro sowie eine Unterhaltszahlung von 130 000 Euro.

„Über die Schadenersatzklage wurde nicht entschieden“, sagt Rechtsanwältin Ina Brock, die MSD vor dem Oberlandesgericht vertritt, zu dem Urteil. „Die Sachlage zeigt nicht, dass die Gesundheitsschäden bei der Ehefrau des Klägers auf die Einnahme von Vioxx – und nicht auf ihre Vorerkrankungen – zurückzuführen sind.“ Zwischen der Einnahme von Vioxx und dem Herzinfarkt der Frau bestehe kein Zusammenhang. Ob MSD gegen das Urteil noch Berufung einlegen wird, lässt Brock offen.

Absurd nennt Anwalt Heynemann die Argumentation seiner Standeskollegin. Merck habe in den USA vor zwei Jahren umgerechnet 4,9 Milliarden Euro Entschädigung an die dortigen Kläger gezahlt und damit indirekt eingestanden, schon früh von der potenziellen Gefährlichkeit seines Medikaments gewusst zu haben. „Und hier in Deutschland wird das Gegenteil behauptet.“

Doch andere Experten sind skeptisch, dass der Urteilsspruch aus Brandenburg rasch zu Schadenersatzzahlungen führen wird. Für IQWIG-Chef Sawicki bleibt ein Grundproblem bestehen: Statistisch sei der Zusammenhang klar, doch im Einzelfall lasse sich die Verbindung zwischen der Vioxx-Einnahme und den Gesundheitsschäden nicht nachweisen. „Ein Herzinfarkt unter Vioxx sieht nicht anders aus als ein Herzinfarkt ohne Vioxx“, sagt Sawicki.

Und genau auf darauf scheint MSD zu spekulieren. „Jeder Patient hat seine eigene individuelle Krankheitsgeschichte“, teilt Anwältin Brock mit. „Deshalb werden wir uns mit jedem dieser Fälle einzeln befassen.“ Soll offenbar heißen: Jeder Kläger wird einzeln nachweisen müssen, dass die Einnahme von Vioxx im jeweiligen Fall zum Herzinfarkt geführt hat.Malte Conradi

Malte Conradi

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