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Wirtschaft: Michael Finck

Geb. 1963

Er wusste immer, wo die Pampers am billigsten waren. Ein Macho war Michael Finck ganz sicher nicht, das hatte Caroline schnell begriffen. Um keine Gefühle zu verletzen, wollte sie sich erst sicher sein, bevor sie etwas mit ihm anfing. Also gingen die beiden zwei Wochen lang aus, und jeden Abend bemühte sie zum Abschied dieselbe Ausrede: „Habe das Kontaktlinsen-Pflegemittel vergessen. Muss leider nach Hause.“ Bis sie das Zeug eines Tages endlich dabei hatte.

Michael Finck war zwei Meter groß, hatte breite Schultern und sah gut aus. Aber wirklich: Ein Macho war er nicht. Das Sprücheklopfen lag ihm nicht, also eroberte er Caroline mit Kino-Besuchen und Kartoffel-Gratins. Bei Kartoffel-Gratins machte ihm keiner was vor. Sechs Jahre lang hatte er immerhin Hauswirtschaftslehre studiert. Ganz früher wollte er eigentlich Lokomotivführer werden, aber das Praktische lag ihm auch: Kochen, waschen, nähen. In der Studiengruppe im Lette-Verein war er der einzige Mann unter 16 Frauen.

Aufgewachsen war Michael zeitweise in einem reinen Männerhaushalt: Als einziger Sohn mit Vater und Opa im großen Haus in Lichterfelde. Die Eltern hatten sich getrennt, bevor Michael in die Schule kam. Aber die kleine Männerwelt funktionierte - zumindest bis Michael elf wurde. Da starb erst der Opa und kurz darauf der Vater. Von nun an behütete ihn die Mutter wieder.

Mit dem Tod kam Michael auch später öfter in Berührung, denn er war nicht nur Hausmann, sondern auch Rettungssanitäter im Schichtdienst, manchmal von 22 bis sechs Uhr. Da sah er Unfälle und Verletzte und Blut, und manchmal konnte er den Menschen nur beim Sterben zusehen. Bald hatte Michael einen Wunsch für sich selbst: Wenn schon sterben, dann bitte kurz und schmerzlos.

Michael war sein Leben lang ein vorsichtiger Mensch. Silvester-Raketen mochte er ebenso wenig wie rücksichtslose Autofahrer. Und Flugzeuge schon gar nicht. Im Jahr 2000 ist er mit Caroline auf die Malediven geflogen, und es hat ihn eine Riesenüberwindung gekostet: Die Flitterwochen im Schwarzwald verbringen, das wollte er seiner Frau dann doch nicht zumuten.

Nur in einem Punkt war Michael überhaupt nicht vorsichtig: mit dem Geld. Er gab halt gern; in seiner Gegenwart mussten Freunde ihre Wünsche für sich behalten. Wer nicht aufpasste, hatte schnell einen Pullover mehr. Oder eine Schuhputzmaschine. Oder einen Handyvertrag. Und weil auch Caroline nicht gern sparte, war das Konto der Fincks am Monatsende oft leer.

Mobiltelefone zogen Michael magisch an, aber auch anderes elektronisches Gerät: Erst als sie fünf Fernseher und vier Computer hatten, setzten sich die beiden eines Abends zusammen und beschlossen, jetzt einmal zu sparen.

Am nächsten Morgen hatte Michael schon wieder einen DVD-Rekorder bestellt: ein echtes Schnäppchen im Internet. Ab 2002 wurde auch viel Kinderspielzeug gekauft. Erst für Leonie, dann für Robin. Und Michael sang ihnen das Lied vom Mann im Mond vor und ging mit zur Krabbelgruppe, wieder als einziger Mann. Er wusste immer, wo die Pampers gerade am billigsten waren. Es gab eine Zeit, da fuhr er abends regelmäßig den Kinderwagen um den Block, damit die Tochter endlich einschlief. Dabei konnte er gleich sein neuestes Handy ausprobieren. Der kleinen Leonie gefiel das so gut, am Ende wollte sie gar nicht mehr im Bett einschlafen. Eine kleine perfekte Familie in Lichterfelde, in dem Haus, in dem Michael aufgewachsen war.

Bis zum dritten Dienstag im Mai; da wollten sie mit Robin zum Babyschwimmen. Michael und Caroline schoben den Kinderwagen und hielten sich bei den Händen. Plötzlich fiel er zu Boden - und war sofort tot. Ohne Schmerzen, ohne Vorwarnung. Plötzlicher Herztod heißt das und kommt nur selten vor. Wahrscheinlich wäre er gerne so gestorben. In 40 Jahren vielleicht.

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