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Schwere Vorwürfe, dicke Akten. Im milliardenschweren Streit um die Folgen der gescheiterten VW-Übernahme durch den viel kleineren Sportwagenbauer Porsche hat der Prozess am Donnerstag begonnen.

© Julian Stratenschulte/dpa

Milliardenschweres Musterverfahren: Porsches VW-Akte wird geöffnet

Als Porsche 2008 versuchte, Volkswagen zu übernehmen, verloren Anleger Milliarden. Jetzt beginnt der Schadenersatzprozess.

Als am 28. Oktober 2008 eine VW-Aktie mehr als 1000 Euro kostete und der Autokonzern nach einem Kurssprung das wertvollste Unternehmen der Welt wurde, gerieten die Verhältnisse in Wolfsburg und Zuffenhausen durcheinander. Anleger, die auf fallende Kurse gesetzt hatten, verloren viel Geld. Zwischen den Familien Porsche und Piëch, Herrscher im VW-Konzern, brach Streit aus. Porsche übernahm sich mit dem waghalsigen Vorhaben, am Vorabend der Weltfinanzkrise den vielfach größeren VW-Konzern zu übernehmen – und wurde schließlich seinerseits vom Wolfsburger Markenriesen geschluckt.

Die juristische Vergangenheitsbewältigung im Fall Porsche/VW hat am Donnerstag vor dem Kartellsenat des Oberlandesgerichts Celle begonnen. Ein Musterverfahren (Az.: 13 Kap 1/16) soll über die Forderungen von Anlegern entscheiden, die wegen der geplatzten Übernahme Milliarden verloren haben. Geklagt hatten Hedgefonds und Privatanleger. Sie sehen sich durch die Porsche Automobil Holding SE (PSE) getäuscht, die den Kapitalmarkt zu spät oder falsch über ihre wahren Absichten bei der versuchten VW-Übernahme informiert haben soll. Zudem geht es um die Frage, ob auch Volkswagen den Markt hätte informieren müssen, dass es einen Übernahmeversuch durch Porsche gab.

"Wir sind angetreten, um zu gewinnen."

Insgesamt geht es in dem Rechtsstreit um Forderungen von mehr als fünf Milliarden Euro. Der auf Musterklagen spezialisierte Rechtsanwalt Andreas Tilp sagte vor Beginn des Prozesses: „Wir sind angetreten, um zu gewinnen.“ Das ist optimistisch, denn bislang waren Anleger mit Klagen gegen Porsche nicht erfolgreich. Die Ex-Porsche-Vorstände Wendelin Wiedeking und Holger Härter wurden in einem Strafprozess 2016 vom Vorwurf der Marktmanipulation freigesprochen.

Auch der Vorsitzende Richter in Celle, Matthias Wiese, dämpfte am Donnerstag zum Auftakt der mündlichen Verhandlung den Optimismus der Kläger. Die umstrittenen Pressemitteilungen der Porsche-Holding seien nach vorläufiger Bewertung „nicht grob falsch“ gewesen. Damit könnte ein großer Teil der Ansprüche der Kläger unbegründet sein. Ein Porsche-Sprecher wollte sich zunächst nicht dazu äußern. Tilp betonte, die Auffassung der Richter sei noch vorläufig. Er kritisierte den Senat wegen „erkennbarer Mängel im Kapitalmarktrecht“ und kündigte an, das Oberlandesgericht werde sich in drei bis vier Jahren wieder mit dem Fall befassen müssen, wenn der Bundesgerichtshof diese „Mängel aufgehoben“ habe.

Die VW-Aktie explodierte, Porsche verdiente

Tilp stützt seine Klage auf neue Argumente und Dokumente und will Zeugen benennen, um die Vorwürfe gegen die PSE und Volkswagen zu belegen. Anleger seien durch die falsche Kommunikation von Porsche „rasiert“ worden, sagte der auf Musterverfahren spezialisierte Anwalt. Die Verteidigung von Porsche und Volkswagen basiere bislang „im Wesentlichen auf Vernebelung und Ablenkung“. Der Freispruch für Wiedeking und Härter sei „kein Gradmesser für das Celler Musterverfahren“. Die beklagte VW-Mutter Porsche SE hat mehrfach erklärt, dass sie die Klagen für unbegründet hält.

Porsche hatte sich von 2005 an schrittweise bei VW eingekauft, im März 2008 aber noch bestritten, dass man den Wolfsburger Konzern beherrschen wollte. Als die Stuttgarter wenige Monate später dann doch bekanntgaben, dass sie sich den Zugriff auf fast drei Viertel der VW-Stammaktien gesichert hatten, sprang die Aktie des Wolfsburger Autobauers binnen weniger Tage auf mehr als 1000 Euro. Investoren, die auf einen fallenden Kurs der VW-Aktie gewettet hatten, wurden von dem rapiden Kursanstieg überrascht. Tilp zufolge löste dies eine „Marktpanik in VW-Stammaktien“ aus. Um noch größere Verluste zu vermeiden, mussten Anleger sich zu fast jedem Preis mit VW-Aktien eindecken. Auf dem Markt gab es aber nur noch Restposten frei handelbarer Papiere. Neben dem Porsche-Paket hielten (und halten) das Land Niedersachsen 20 Prozent, auf die Porsche-Holding (rund 2,4 Prozent) und Fonds entfielen weitere Aktien. Erst als Porsche Derivatpositionen auflöste, also Aktien auf den Markt warf, entspannte sich die Lage. Porsche erlöste dabei laut Tilp mehr als fünf Milliarden Euro.

Als Musterklägerin hat das Oberlandesgericht Celle die Inkassogesellschaft ARFB bestimmt. Die anderen Kläger sind so genannte Beigeladene. Ziel des Prozesses nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMug) ist ein Richterspruch, der für alle Kläger in dem Verfahren bindend ist. mit rtr

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