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Wirtschaft: Ministerin wackelt bei der Gesundheitsreform

Schmidt macht Zugeständisse an Ärzte und Krankenkassen – Gewerkschaften protestieren

Berlin (brö/obu/alf). Die Bundesregierung will ihre Gesundheitsreform offenbar zugunsten von Ärzten und Krankenkassen entschärfen. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) erklärte am Dienstag, die geplante Öffnung des Gesundheitswesens für mehr Wettbewerb sei mit „sehr schwierigen Sach und Fachfragen verbunden“ und habe „notwendigerweise Prozesscharakter“. Sie unterstrich aber, dass die Regierung „in keiner Weise vor dem Einfluss von Verbänden und Vereinigungen“ zurückweiche. Bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hieß es dagegen, es gebe „berechtigte Hoffnung“, dass mit der Reform der Wettbewerb unter den Medizinern nicht so scharf ausfallen werde wie angekündigt.

Die Gewerkschaften reagierten empört auf die Pläne. Verdi-Chef Frank Bsirske klagte, entgegen der Ankündigung von Bundeskanzler Gerhard Schröder werde das Monopol der Kassenärztlichen Vereinigung (KV, siehe Lexikon) nicht angetastet. „Der Konflikt mit Teilen der Gesellschaft wird vermieden“, sagte Bsirske mit Blick auf die Ärzte, stattdessen belaste die rot-grüne Regierung die eigene Klientel. Bsirske sieht die Politik auf dem Weg in die „Zwei-Klassen-Medizin“, die paritätische Finanzierung des Gesundheitssystems solle aufgegeben werden. Die Strategie der Regierung bei den Sozialreformen sei es, „mit Armut und Arbeitszwang“ einen Niedriglohnsektor zu schaffen. Da Schröder mit Rücktritt drohe, geht der Verdi-Chef davon aus, dass die SPD die Pläne des Kanzlers schlucken werde. Für die Patienten befürchtet Bsirske mehr Zuzahlungen und Leistungsausgrenzungen. Ursula Engelen-Kefer, Vizechefin des Deutschen Gewerkschafts-Bundes (DGB), sagte, sollte die Regierung den Ärzten nachgeben, würde „die Gesundheitsreform in sich zusammenfallen“.

Bislang hatte Gesundheitsministerin Schmidt geplant, die Macht der Kassenärztlichen Vereinigungen zu brechen und einzelnen Ärzten gesonderte Verträge mit den Krankenkassen zu erlauben. Außerdem wollte sie Fusionen unter den rund 350 gesetzlichen Kassen fördern, um mehr Effizienz in der Verwaltung zu erreichen. Schmidt teilte am Dienstag zwar mit, es sei ihre „feste Absicht“, das Vertragsmonopol der KV zu beseitigen und Kassen-Fusionen zu erleichtern. Allerdings könne „die Schrittfolge in der praktischen Umsetzung“ geändert werden. Die Strukturreform dürfe „kein ,Abenteuer-Computerspiel’ auf Risiko der Patienten“ sein. Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte zuvor berichtet, die Spitze der SPD-Bundestagsfraktion, das Kanzleramt und die Gesundheitsministerin hätten sich darauf verständigt, die Pläne zur Stärkung des Wettbewerbs nicht in der vorgesehenen Form umzusetzen. Auch im Leitantrag für den SPD-Sonderparteitag am 1. Juni wird dieser Komplex nicht mehr erwähnt. Gerhard Schröder hatte in seiner Regierungserklärung Mitte März gesagt, der Staat „muss kostentreibende Monopolstrukturen beseitigen“. Hierzu gehöre auch das Vertragsmonopol der KV. Bei den Kassen wolle er „auf die Schaffung überschaubarer und leistungsfähiger Strukturen dringen“.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Birgitt Bender, sagte dem Tagesspiegel, beim Übergang zu mehr Wettbewerb bei der ärztlichen Versorgung „wird es Übergänge geben“. Man werde „nicht alle Macht den Kassen geben“. Die Grünen strebten ein geteiltes System an: Die Hausärzte sollten weiterhin Kollektivverträge mit den Kassen abschließen, die Fachärzte sollten das Recht bekommen, Einzelkontrakte abzuschließen. Zum Thema Kassenfusionen sagte sie, es sei nicht sinnvoll, Betriebs- oder Ortskrankenkassen spartenübergreifend miteinander fusionieren zu lassen.

„20 bis 30 Kassen sind genug“

Norbert Klusen, Chef der Techniker Krankenkasse, übte Kritik an den jüngsten Plänen von Ministerin Schmidt. „Es darf jetzt nicht auf Druck der Ärzte zurückgerudert werden, sonst wird aus der Reform ein reines Spargesetz. Dieses würde das System nicht dauerhaft stabilisieren“, sagte er dem Tagesspiegel. Nötig sei ein Doppelklang aus finanzieller Stabilisierung und Strukturveränderung. „Wenn man beides nicht parallel macht, stehen wir 2006 wieder an der gleichen Stelle wie heute“, befand Klusen, der die bundesweit drittgrößte Ersatzkasse leitet. Er sprach sich zudem für Fusionen zwischen unterschiedlichen Kassensystemen aus. Statt 350 Kassen „reichen auch 20 oder 30“. Unterdessen wollen Kassen und Ärzte ein neues System einführen, um einen besseren Überblick über die verordneten Arzneimittel zu bekommen. Damit soll der starke Anstieg der Ausgaben für Medikamente gebremst werden. Ab sofort erhält jeder Arzt regelmäßig einen Bericht über die Entwicklung seiner Verordnungen und über mögliche Arzneialternativen.

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