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Wirtschaft: Mit neuem Dreh

Verpackungen machen Älteren das Leben oft schwer. Mit ungewöhnlichen Ideen wollen Designer helfen

Berlin - Ob Tetrapack, Dosenöffner oder Medikamentenschachtel – für viele ältere Menschen sind Verpackungen oft mit großen Mühen verbunden. Junge Designer sind daher zu einem Wettbewerb angetreten, um die Welt bedienerfreundlicher zu machen – auch für Ältere.

Frische Kräuter auf dem Balkon – schon eine verlockende Vorstellung. Doch das Schleppen sperriger Blumenkästen und schwerer Säcke mit Blumenerde schreckt viele Senioren ab. Mit einer Erfindung will Julika Fastabend, angehende Produktdesignerin aus Münster, für Abhilfe sorgen: Ein kleines Päckchen aus Plastik, 15 mal zehn Zentimeter, lässt sich zum Blumenkasten auffalten und einfach übers Geländer hängen. Innen liegt eine zentimeterdünne Schicht Erde mit Samen, die mit ein bisschen Wasser quillt und so den ganzen Topf mit Erde füllt. „Gerade ältere Menschen, die in der Stadt wohnen, müssen so nicht auf ihren Kräutergarten verzichten“, sagt die 24-jährige Studentin.

Der tägliche Kampf mit der Wurstpelle, klemmenden Schraubverschlüssen, Fontänen aus dem Tetrapack – all das könnte der Vergangenheit angehören, wenn Designern wie Julika Fastabend mehr Gehör geschenkt würde. Sie ist eine von 180 Studierenden aus 22 Hochschulen, die sich im Wettbewerb „Pack aus, pack ein, pack zu“ mit cleveren Verpackungsideen präsentieren. Die besten Entwürfe werden gerade an der Universität der Künste (UdK) gezeigt.

Wolf Jeschonnek, Student der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, hat sich in seinem preisgekrönten Beitrag ein ganz alltägliches Produkt vorgenommen: ein Heftpflaster. Neu ist, dass sich Jeschonneks „Ausreißer“ ohne Kraftaufwand mit einer Hand bedienen lässt. „Der Jury hat besonders gefallen, dass das Prinzip der intuitiven einhändigen Bedienung auch auf andere Produkte zu übertragen ist, die eine hygienische Verpackung brauchen und doch schnell griffbereit sein sollen“, sagt UdK-Dozentin Karin Schmidt-Ruhland, die den Wettbewerb initiiert hat.

„Mit dem demografischen Wandel müssen sich alle mehr auf ältere Menschen einrichten – auch die Wirtschaft“, sagt Leonie Gebers vom Bundesfamilienministerium, dessen Ministerin Ursula von der Leyen den Wettbewerb als Schirmherrin fördert. Um reines Senioren-Design gehe es jedoch nicht, sagt Initiatorin Schmidt-Ruhland. „Das würde stigmatisieren. Uns ist wichtig, dass die Verpackungen in allen Gruppen der Gesellschaft gut funktionieren.“

Die Designerin hat sich in vielen Projekten mit den Alltagsschwierigkeiten Älterer auseinandergesetzt – zum Beispiel bei der Benutzung von Küchen. Nach einer Verbraucherbefragung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen haben mehr als 70 Prozent der Befragten Probleme mit dem Öffnen von Eingeschweißtem, fast 40 Prozent mühen sich mit Milchtüten. Auch Getränkeflaschen und Dosen sind für mehr als 20 Prozent der Älteren schwer zu öffnen.

Im Seminar von Steffen Schulz, Design-Professor an der Fachhochschule Münster, tüfteln 15 Studentinnen und Studenten an praktischen Alltagsverpackungen. „Die Studenten sollen Universal-Design entwerfen, das allen Generationen gefällt“, sagt er. Die 24-jährige Nina Nowack hat sich Medikamentenschachteln vorgenommen: „Die Beipackzettel sind unübersichtlich, klein bedruckt und schwer wieder zusammenzufalten“, sagt sie. Die Lösung der Grafikdesign-Studentin: Eine Medikamentenbox, die sich wie eine Streichholzschachtel öffnen lässt. Der befestigte Beipackzettel – groß und übersichtlich bedruckt – kann einfach hochgezogen und in wenigen Schritten aufgefaltet werden.

Initiatorin Schmidt-Ruhland hofft, dass die Industrie solche Anregungen aufgreift. „Vielleicht geben unsere Ideen ja einen Anstoß. Einige Unternehmen haben schon informiert.“ Vom Kaufhof-Management saß beispielsweise nicht nur ein Vertreter in der Jury, das Warenhaus tritt auch als Wettbewerbspartner auf.

Ob der Ideentransfer gelingt, bleibt fraglich. Oliver Berndt vom Deutschen Verpackungsinstitut vermisst die Praxisnähe: „Der direkte Kontakt zur Industrie fehlt bei diesem Projekt, weil die Verpackungen und Produkte nicht in Zusammenarbeit mit Firmen entwickelt wurden. Das steht einer schnellen Umsetzung im Weg“, sagt er. Letztlich entscheide ohnehin der Handel, was in die Regale komme. Der Einzelhandelsverband HDE spielt den Ball zurück und findet immerhin ein paar aufmunternde Worte für die Design-Studenten: „Für uns ist es wichtig, neue Entwicklungen zu begleiten“, sagt Kathrin Andrae, Referentin für Finanzen und Steuern.

Julia Hilger ist eine der Glücklichen, die schon bei der Recherche für ihr Produkt auf echtes Interesse der Industrie gestoßen sind. „Ein Zahnbürstenhersteller hat angefragt, was aus meinem Projekt wird.“ Die 24-jährige Designstudentin will Zahnbürste und Zahnpasta vereinen, indem der Griff bereits die Paste enthält. Drückt man ihn, quillt Zahnpasta durch den Zahnbürstenkopf direkt in die Borsten. Die 100 Milliliter-Tube reiche etwa einen Monat – so lange wie man eine Zahnbürste maximal verwenden sollte.

Ausstellung der besten Beiträge (noch bis 30.11.) in der Galerie Design-Transfer, Einsteinufer 43-53, Berlin-Charlottenburg

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