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Wirtschaft: MitSchirm,Charme und Marone Ulrich Ehret brachte die Esskastanie nach Berlin zurück. Hier war sie Ende der 60er aus der Mode gekommen

Ohne Menschen wie Ulrich Ehret wäre ein Weihnachtsmarkt kein Weihnachtsmarkt. Denn er ist Maronen-Verkäufer und obendrein einer, der sich um die gerösteten Früchte verdient gemacht hat.

Ohne Menschen wie Ulrich Ehret wäre ein Weihnachtsmarkt kein Weihnachtsmarkt. Denn er ist Maronen-Verkäufer und obendrein einer, der sich um die gerösteten Früchte verdient gemacht hat. Vor 20 Jahren brachte er die Maronen nach Berlin zurück, nachdem sie hier in Vergessenheit geraten waren – was für ihn nur schwer nachzuvollziehen war. Als Kind hat Ulrich Ehret, der im Schwarzwald aufgewachsen ist, die Esskastanien vom Waldboden aufgelesen und daheim im Ofen zubereitet. Später, als Erwachsener, zog er in die Schweiz und hat sie dort auf vielen Märkten wiedergefunden. Ehret sagt heute „Marroni“ zu den Kastanien, mit einem rollenden „R“ wie in Italien. Dort sind sie schon seit dem zwölften Jahrhundert gebräuchlich und waren im Winter das wichtigste Grundnahrungsmittel, bis sie erst viel später von der Kartoffel verdrängt wurden.

Und dann kam 1983 die große Überraschung in Berlin – hier gab es sie nirgends. Ehret wollte eigentlich Betriebswirtschaftslehre studieren, aber das Geschäft mit den heißen Früchten schien lukrativer. Ein Jahr später gründete er das, was wohl heute eine Ich-AG heißen würde. „Mit ein paar Freunden baute ich einen Marroni-Stand auf. Den Ofen haben wir uns damals von Freunden schmieden lassen.“

Doch den Behörden war die Rückkehr der Esskastanien suspekt „Ich bekam einen Brief, in dem stand, dass ich gegen das Berliner Straßengesetz verstoßen würde.“ Die Schalen verschmutzten die Innenstadt, so hieß es und Ehret solle die Reinigung bezahlen. Der Marroni-Mann beschwerte sich beim damaligen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen – und danach hat Ehret nie wieder etwas von behördlichen Bedenken gehört. Vielleicht lag’s ja auch daran, dass Ehret inzwischen Tüten benutzt, die ein Fach für die Schalen haben.

Die Kastanien kamen bei den Berlinern an. In Scharen wollten sie die Früchte probieren. Viele sagten, dass sie den Geruch der gerösteten Maronen zwar noch aus der Kindheit kannten, aber lange keine mehr gegessen hätten. „Eines Tages kam eine Frau vorbei, die mir erzählte, dass ihre Vater genau an der Stelle den letzten Esskastanien-Stand in Berlin hatte.“ Bis 1969 habe es den am Breitscheidplatz gegeben. Er musste schließen, weil die Maronen aus der Mode gekommen waren. Ehret hat sich genau diesen Platz gesichert – und noch drei andere in Berlin. Anfang der 90er Jahre konnte er expandieren, wobei er vor allem von der multikulturellen Atmosphäre in der Stadt profitierte. Touristen kaufen genauso gern wie zugewanderte Berliner.

Schwierigkeiten hatte Ehret allerdings zu Beginn am Alexanderplatz und dem Gendarmenmarkt, auf dem er während dieser Tage anzutreffen ist. Menschen aus dem Ostteil der Stadt wussten damals nicht, was er da verkauft. „Deswegen habe ich auch immer große Tafeln neben meinen Verkaufsständen“, sagt er. Vier Hilfskräfte hat er inzwischen eingestellt.

Ganz einfach ist der Job nicht: „Man muss auf das Feuer achten und darf gleichzeitig die Marroni nicht verbrennen lassen.“ Für 2,10 Euro bekommt man an seinem Stand 100 Gramm Marroni, also acht bis zehn Stück. „Das ist natürlich teuer, aber ich biete auch wirklich Qualität“, sagt Ehret und erläutert den aufwändigen Weg der Früchte: Im September sind die ersten Marroni reif und werden, wenn sie auf die Erde gefallen sind, zusammengeharkt – per Hand, denn Maschinen würden die empfindlichen Früchte zerquetschen. Von Händlern werden die unbehandelten Früchte in großen Säcken in die Schweiz gebracht, wo Ehret die Kastanien mit seinem Lieferwagen abholt. Bis die Saison anbricht, lagern die Maronen im Hausflur. Kein Problem für den Marroni-Mann: „Man muss schon eine gewisse Leidenschaft haben.“

Sören Kittel

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