zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Modellprojekte als Tests für die Entlastung des Arbeitsmarktes - Billigjobs ohne Angst vor der Armut

Die Idee von Bundeskanzler Gerhard Schröder, Green Cards für Computerspezialisten einzuführen, offenbart mehr als graviernde Nachwuchsprobleme bei hochqualifizierten Jobs. Sie zeigt umgekehrt auch, dass alle Versuche, die Probleme schlecht ausgebildeter Arbeitsloser durch eine Umschulung für höher qualifizierte Jobs zu lösen, an enge Grenzen stoßen.

Die Idee von Bundeskanzler Gerhard Schröder, Green Cards für Computerspezialisten einzuführen, offenbart mehr als graviernde Nachwuchsprobleme bei hochqualifizierten Jobs. Sie zeigt umgekehrt auch, dass alle Versuche, die Probleme schlecht ausgebildeter Arbeitsloser durch eine Umschulung für höher qualifizierte Jobs zu lösen, an enge Grenzen stoßen. Nachzulesen ist diese Erkenntnis unter anderem in einem Gutachten, dass die Benchmarking-Gruppe unter Leitung von Wolfgang Streeck, dem Direktor des Max-Planck-Institutes für Gesellschaftsforschung, für das Bündnis für Arbeit zusammengestellt hat.

In dem Papier untersuchen die Wissenschaftler die Möglichkeiten zur Verbesserung der Beschäftigungschancen gering qualifizierter Arbeitnehmer. Dabei schauen sie auch ins Ausland: Länder wie die Niederlande, Frankreich oder Belgien haben am zu hohen Preis für Arbeit angesetzt, um ihre gering qualifizierten Arbeitnehmer in einen Job zu bringen. Hier setzt auch die Benchmarking-Gruppe an. Sie schlägt vor, auch in Deutschland einen Niedriglohnsektor einzurichten. Gemeint ist damit ein Bereich, in dem die Nettolöhne dauerhaft unterhalb des Existenzminimums liegen. Für entsprechende, im Bündnis für Arbeit vereinbarten Niedriglohn-Modellprojekte hat Arbeitsminiser Walter Riester in diesen Tagen 100 Millionen Mark aus seinem laufenden Haushalt abgezwackt, wie das Ministerium auf Anfrage bestätigte. Mit dem Geld sollen Projekte im Saarland, in Rheinland-Pfalz und zwei weitere Ländern im Osten der Republik angeschoben werden.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist der im internationalen Vergleich niedrige Anteil personenbezogener Dienstleistungen in Deutschland. So lag in Deutschland die Erwerbsquote, also der Anteil der Erwerbstätigen an der erwerbsfähigen Bevölkerung, Ende der neunziger Jahre bei 71 Prozent. Zum selben Zeitpunkt kam Großbritannien auf 77,4 Prozent, die USA und Dänemark sogar auf 79,6 und 80,5 Prozent. Das liegt vor allem daran, dass Arbeit in Deutschland zu teuer ist. So ist eine einfache Putztätigkeit auf dem Schwarzmarkt für die Hälfte des Preises einer regulär versteuerten und sozialversicherten Stelle zu bekommen. Da personenbezogenen Dienstleistungen arbeitsintensiv produziert würden, werde ihr Preis vor allem durch die Arbeitskosten bestimmt. Darum müsse man die Arbeitskosten senken. Die Wissenschaftler begründen so die Notwendigkeit für die Einrichtung eines Niedriglohnsektors.

Um trotz niedriger Löhne den zurzeit rund 2,7 Millionen Sozialhilfe-Empfängern in Deutschland einen Arbeitsanreiz zu bieten, müssten aber parallel dazu die Regelsätze der Sozialhilfe gesenkt werden. Die dann möglich werdende "Armut in der Arbeit" könnte durch eine deutsche Variante der amerikanischen Earned Income Tax Credit - eine Art negative Einkommensteuer - aufgefangen werden. Auch ein Kombilohn sei grundsätzlich denkbar, mit dem die unterhalb der Armutsgrenze liegenden Arbeitseinkommmen auf ein staatlich definiertes und garantiertes Existenzminimum hinaufsubventioniert werden könnten. Die Benchmarking-Gruppe favorisiert allerdings einen dritten Ansatz: Sie will niedrige Einkommen durch eine gestaffelte Subventionierung ihrer Sozialversicherungsbeiträge entlasten. Ansetzen könne man sowohl auf der Arbeitnehmer-, wie auf der Arbeitnehmerseite, meinen die Wissenschaftler.

Wie solche Maßnahmen aussehen könnten, zeigen die beiden Niedriglohn-Modelle aus dem Saarland und aus Rheinland-Pfalz. Das saarländische Modell sieht vor, die Lohnnebenkosten durch einen staatlichen Zuschuss zum Sozialversicherungsbeitrag der Arbeitgeber zu senken. Bis zu einem Monatseinkommmen von 1250 Mark - das entspricht einem Stundenlohn von zehn Mark - übernimmt der Staat die Versicherungsbeiträge voll. Bis zu einem Einkommen bis zu 2850 Mark - also einem Stundenlohn bis zu 18 Mark - wird ein gestaffelter Zuschuss gezahlt.

Im Gegensatz dazu sollen nach dem Mainzer Modell die Arbeitnehmer direkt bezuschusst werden. Für Alleinverdiener mit einem Monatseinkommen von 620 bis 1240 Mark soll der Staat den vollen Arbeitnehmerbeitrag zur Sozialversicherung übernehmen. Oberhalb von 1240 Mark bis zu einer Einkommensgrenze von 1575 Mark reduziert sich dieser Zuschuss. Bei einem Einkommen ab 1575 Mark trägt der Arbeitnehmer die volle Beitragslast. Darüberhinaus enthält das Mainzer Modell ein Familienförderung. Sozialhilfeempfänger, die einen Job annehmen, erhalten für das erste und das zweite Kind einen Zuschlag von 270 Mark.

"Man muss die Beschäftigungspotenziale ausschöpfen", sagte Matthias Berninger von der grünen Bundestagsfraktion. "Statt eine gute Ausstattung über Sozialhilfe zu schaffen, müssen wir Arbeitslose dabei unterstützen, selbst einen Job zu suchen." Der DGB warnte dagegen vor dem Abrutschen ganzer Tarifgruppen. "Wir müssen aufpassen, dass hier nicht nur eine Möglichkeit geschaffen wird, um die Löhne nach unten zu drücken", sagte der DGB-Arbeitsmarktexperte Wilhelm Adamy. Wie erfolgreich die Etablierung eines Niedriglohnsektor sein kann, zeigt Frankreich. Hier wurden 1993 die Arbeitgeberbeiträge für Arbeitnehmer, die bis zu einem Drittel über dem gesetzlichen Mindestlohn verdienen, gesenkt. Seit Mitte der neunziger Jahre sind bis zu 240 000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden.

Maren Peters

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false