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Ausgezeichnet. Karlheinz Brandenburg hat Musik computertauglich gemacht.

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MP3-Erfinder Karlheinz Brandenburg: „15 Entwickler und einer für den Vertrieb - das kann ja nur schiefgehen“

MP3-Entwickler Karlheinz Brandenburg kann heute von Lizenzerlösen leben. Im Interview spricht er über Innovationen, die Chancen deutscher Erfindungen und die Probleme von Start-ups.

Herr Brandenburg, das MP3-Format gilt als eine der genialen Erfindungen aus Deutschland, bei denen es nicht gelungen ist, daraus ein erfolgreiches Produkt zu machen. Was ist schiefgelaufen?
Bei MP3 ist nicht so viel schiefgelaufen. MP3 ist auch kein Beispiel dafür, dass die deutsche Industrie nicht profitiert. Natürlich hat Apple mehr Umsatz damit gemacht als irgendeine deutsche Firma. Aber in dem ganzen Bereich war sehr früh viel Wertschöpfung auch in Deutschland – abgesehen von den hohen Lizenzgebühren, die bei der Fraunhofer-Gesellschaft immer noch eingehen.

Der MP3-Player kam aber nicht aus Deutschland.
Aber es gab eine deutsche Firma, die jahrelang 95 Prozent Weltmarktanteil an den Decoder-Chips hatte, also an den wesentlichen Chips, die in die MP3-Player eingebaut sind.

Und wer war das?
ITT Intermetall aus Freiburg, heute gehören sie zu Micronas. Der erste direkte Vorgänger des MP3-Players, der MP-Man, kam von einer koreanischen Firma, die die Chips aus Freiburg eingesetzt hat. Und in den ersten Generationen des iPod von Apple waren nicht nur unsere Patente, sondern auch unsere Software drin. Wir stehen heute noch auf der Liste der Lizenzgeber. MP3 war aber kein Selbstläufer, es gab auch konkurrierende Systeme. Dolby digital zum Beispiel.

Warum hat sich MP3 durchgesetzt?
Wir haben das richtige Geschäftsmodell entwickelt. Heute kennt man das als Freemium-Modell bei Apps: Es gibt eine Einstiegsmöglichkeit, bei der die Leute für die Technologie zunächst nichts zahlen müssen. Wir haben damals die Decodersoftware an Microsoft und Apple zu relativ günstigen Preisen abgegeben. Im Ergebnis hat Microsoft jede Windows-Kopie ab 1997 mit einem MP3-Decoder ausgeliefert. Dolby hätte dafür so viel Geld verlangt, dass Microsoft dankend abgelehnt hätte.

Wie hoch sind die Lizenzgebühren, die Fraunhofer mit MP3 einnimmt?
Darüber sprechen die Kollegen in Erlangen nicht so gern. Aber es ist ein hoher zweistelliger Millionenbetrag jedes Jahr. Das ist der größte Erfolg, den Fraunhofer je hatte.

Lizenzen laufen irgendwann aus.
Ich habe 1982 mit der Entwicklung angefangen. Das erste Patent, das lizensiert wurde, war von 1986. Das ist inzwischen ausgelaufen. Aber bei anderen dauert es noch eine Weile. Und es sind auch später noch neue Patente hinzugekommen.

Was haben Sie aus dem Fall MP3 gelernt?
Wir sollen nicht verzagt sein. Große Erfolge kann man auch von Deutschland aus erzielen. Man kann in überschaubarer Zeit einen stabilen Spitzenplatz in der Welt erreichen – das gilt für die Forschung und die Anwendungen.

Und was ist das Geheimnis des Erfolgs?
Auf den Markt zu hören, ist wichtig. Aber das ist natürlich schwierig, wenn es um völlig neue Technologien geht, die die Märkte verändern. Als wir begannen mit der Musikindustrie darüber zu sprechen, was wir können, gab es großes Unverständnis. Man muss seine Vision auch erklären können. Und man darf nie vergessen, dass es anderswo auf der Welt auch gute Leute gibt. Und schließlich passieren Innovationen immer dann, wenn Leute über den Tellerrand schauen können. Das wird zu wenig beherzigt.

Kennen Sie andere Beispiele von erfolgreichen Erfindungen, die nicht so bekannt sind?
Die Kollegen vom Fraunhofer-Heinrich- Hertz-Institut haben zum Beispiel den aktuellen Video-Codierungs-Standard wesentlich mitentwickelt. Wenn Sie ein Smartphone haben, steckt da nicht nur Audio-Codierungstechnik aus Erlangen, sondern auch Video-Codierungstechnik aus Berlin drin.

Was macht eine Erfindung erfolgreich?
Da gibt es nicht nur eine Sache. Die Leute von Apple haben zum Beispiel herrlich mit der Psychologie gespielt und das Gefühl vermittelt, dass ihre Produkte etwas Besonderes sind. Sie haben auch bei der Benutzerfreundlichkeit große Fortschritte gemacht. Die Geräte waren einfach schöner zu bedienen. Darum haben sie mit Recht riesige Marktanteile gewonnen. In Deutschland fehlen die Ressourcen, wenn Leute mit Ideen etwas anfangen wollen. Es gilt nach wie vor: In den USA gibt es pro Einwohner zehnmal so viel Wagniskapital wie hier. Es gibt auch mehr Geld von Privatleuten. Ich habe viele Start-ups begleitet und zum Teil auch investiert. Bei mir kommt von den Lizenzerlösen genug an, dass ich auch investieren kann. Ich beobachte, dass viele Start-ups hier technisch so gut sind wie andere, aber es fehlt ihnen das Geld und gutes Marketing, um auch gesehen zu werden.

"Von zehn Start-ups gehen acht von Bord. Das ist so."

Die MP3 wurde zwar in Deutschland erfunden, doch mit der Umsetzung, dem MP3-Player, sahnten andere ab.
Die MP3 wurde zwar in Deutschland erfunden, doch mit der Umsetzung, dem MP3-Player, sahnten andere ab.

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Das ist ja das Grundproblem. Wie ändern wir das?
Erst mal indem wir nicht nachlassen. Der Hightech-Gründerfonds oder die halb öffentlichen, halb privaten Finanzierungsgesellschaften in jedem Bundesland sind gute Einrichtungen. Wir müssen in die Zukunft investieren. In der Forschungsförderung sind wir nicht schlecht, aber es gibt sicher noch Luft nach oben. Ich habe schon vor vielen Jahren gesagt, dass ich es seltsam finde, dass man für irgendwelche Filme, die in den USA gedreht werden, Steuererleichterungen bekommt, aber nicht, wenn man hier in Deutschland in Forschung investiert. Wichtig sind auch Förderinstrumente, die nicht zu viel Bürokratie erzeugen. Heute haben gerade kleine Firmen große Schwierigkeiten, gute Förderanträge zu stellen. Da kann man noch eine ganze Menge tun.

Was muss die Wissenschaft selbst tun?
Als ich studiert habe, war selbstständig werden überhaupt kein Thema. Das ist heute schon ganz anders. Heute muss man den jungen Leuten manchmal schon die Illusionen nehmen und ihnen sagen, dass das große Auto und das viele Geld erst später kommen. Dazwischen liegt die 70- bis 80-Stundenwoche und das Kurz-vor-dem-Bankrott-Stehen. Es gibt mittlerweile viele Gründerberatungen und Programme zur Unterstützung von Ausgründungen. Die Gründerphase ist ganz gut im Blick. Es gibt zwar immer noch Kollegen, die denken, Anwendung sei ein Schimpfwort. Aber inzwischen hat sich eine andere Denkart durchgesetzt. Was sicher auch durch sichtbare Erfolge befördert worden ist.

Es könnte aber noch mehr Erfolge geben. Warum klappt es nicht?
Die Zwischenphase ist immer noch schwierig. Viele Firmen kommen nicht vom Fleck, weil die Ressourcen fehlen, sie aber eigentlich noch einmal einen richtigen Schub bräuchten, um voranzukommen. Viele Gründer haben auch nur theoretisch aber nicht praktisch verinnerlicht, dass gute Technik nur der eine notwendige Teil ist. Das Marketing muss auch mit richtig viel Aufwand betrieben werden. Ich sehe das gerade bei einer Firma, die ich selbst mitgegründet habe. Ich finde es problematisch, dass sie 15 Entwickler beschäftigen, aber nur einen für den Vertrieb. Das kann ja nur schiefgehen. Sie sollten vielleicht acht Entwickler und sieben Vertriebsleute haben.

Wie kann man das ändern, sollte jeder Ingenieur im Studium auch einen Marketing-Kurs absolvieren?
In Ilmenau machen wir das so. Unsere Medientechnologen lernen auch etwas über Betriebswirtschaft.

Viele Unis betreiben Gründerförderung. Woran liegt es, dass es immer noch kein Google oder Facebook in Deutschland gibt?
Es hat sich schon eine Menge getan. Und ehrlich: Wie viele Googles und Facebooks gibt es in den USA? Auch bei uns wird es das irgendwann wieder geben. Die Frage ist, können sie hier groß werden, bevor sie von Google oder Facebook aufgekauft werden? Wie gesagt, in dieser Zwischenphase liegt unser Problem. Aber man muss natürlich auch damit leben können, dass von zehn Start-ups acht wieder von Bord gehen. Das ist so.

Wo sehen Sie unsere Stärken?
Komplexe Systeme zum Laufen zu bringen. Dazu ist Teamwork nötig. Während meiner Zeit in den USA habe ich den Eindruck gewonnen, dass wir Teamwork besser beherrschen als die Amerikaner. Man muss von vorneherein schauen, dass man Ideen gemeinsam weiterentwickelt.

Der Forscher Karlheinz Brandenburg (59) hat Elektrotechnik und Mathematik studiert und promovierte 1989 zum Thema Musikkodierung an der Universität Erlangen-Nürnberg. Danach forschte er an den berühmten Bell Laboratories von AT&T in den USA. Für die Erfindung des MP3-Formats wurden Brandenburg und sein Team vielfach ausgezeichnet. Seit 2004 leitet er das Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT.

Das Institut IDMT betreibt anwendungsorientierte Forschung auf dem Gebiet audiovisueller Medien und entwickelt zukunftsweisende Technologien für die digitale Medienwelt. Das Institut beschäftigt mehr als 100 Mitarbeiter am Hauptsitz in Ilmenau, in Erfurt und Oldenburg.

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