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Wohin steuert Europa? Und wohin sollte es steuern?

© dpa

Munich-Re-Chef Bomhard: "Die EU braucht jetzt einen direkt gewählten Präsidenten"

Europa kann sich nicht länger durchwurschteln, findet unser Gastautor Nikolaus von Bomhard, Chef des Rückversicherers Munich Re. Statt darüber zu reden, was die EU alles nicht regeln soll, müssen wir darüber nachdenken, was sie besser regeln kann.

Sollte Puerto Rico irgendwann der 51. Bundesstaat der USA werden, hätte dies vermutlich keine spürbaren Auswirkungen auf das politische System der USA. Sollte eines der potentiellen Beitrittsländer in Südost- und Osteuropa der EU beitreten, wäre dies hingegen eine ernsthafte Belastungsprobe für die EU-Institutionen.

Europa kann sich nicht länger um die Wahrheit herumdrücken: Europa braucht eine institutionelle Reform. Wenn dafür eine Vertragsänderung notwendig sein sollte, dann ist dies so. Die Angst vor Vertragsänderungen und den damit zusammenhängenden Referenden lähmt die EU schon viel zu lange. Die politischen und wirtschaftlichen Vorteile der EU sind für deren Bürger überragend. Deshalb müssen wir die EU fit machen für die Zukunft und einen entscheidenden Schritt hin zur Vollendung der Union gehen.

In wichtigen Politikfeldern wäre Europa erfolgreich

Im Europawahlkampf wurde nicht nur von grundsätzlich europakritischen Parteien thematisiert, was Europa alles nicht regeln müsse. Mindestens genauso wichtig wäre allerdings eine Diskussion, was Europa besser regeln kann und deshalb regeln sollte.

Es gibt eine Reihe von Politikfeldern, in denen wir Europäer erfolgreicher wären, wenn wir mehr Kompetenzen nach Brüssel verlagern würden, etwa in der Fiskal- und Wirtschaftspolitik, bei Klima- und Energiefragen oder in der Außen- und Sicherheitspolitik.

Die EZB kann die Krise nicht alleine lösen

Allerdings ächzen die europäischen Institutionen derzeit unter der Zahl der Mitglieder und den oft am entsprechenden Proporz ausgerichteten und damit ineffizienten Verfahren. Die Finanzkrise hat schonungslos gezeigt, dass europäische Politik im Ernstfall in den Hauptstädten und bei der EZB in Frankfurt, nicht aber in Brüssel gemacht wird.

Insbesondere die EZB kann schnell entschlossen handeln und hat dies zum Glück auch getan. Allerdings kann und darf es nicht dauerhaft Aufgabe der EZB sein, der Politik vorbehaltene Entscheidungen zur Krisenbewältigung zu treffen. Das Heft des politischen Handelns muss wieder von den demokratisch legitimierten Institutionen übernommen werden.

Europa braucht Reformen - und einen gewählten Präsidenten

Nikolaus von Bomhard
Nikolaus von Bomhard

© imago/Stephan Görlich

Die europäischen Institutionen müssen reformiert werden. Europa hat dabei kein Erkenntnisproblem. Es existiert bereits eine Vielzahl von gut durchdachten und adäquaten Reformentwürfen. So braucht Europa meiner Ansicht nach vor allem eine demokratisch legitimierte und kontrollierte Exekutive. Dieser könnte ein direkt gewählter EU-Präsident vorstehen.

Die Europäische Kommission muss in der Spitze verschlankt und das Europäische Parlament weiter gestärkt werden. Die Rolle des Europäischen Rates und seiner Rechte muss überdacht werden.

Ein zukunftsfähiges Europa braucht effizientere Strukturen mit klaren, demokratisch legitimierten Verantwortlichkeiten. Leider verlief die Entwicklung zuletzt manchmal in entgegengesetzter Richtung, zum Beispiel durch eine teilweise Doppelung der Strukturen für die EU und die Euro-Gruppe, wobei ein „Europa verschiedener Geschwindigkeiten“ für einzelne Politikbereiche durchaus sinnvoll sein kann.

Der Frust richtet sich gegen die EU als Ganzes

Aber aus der Komplexität der Aufstellung und Arbeitsweise der EU rührt letztlich Intransparenz. Welcher EU-Bürger kennt denn den oder die Verantwortliche für einzelne Entscheidungen? Wer legt den Maßstab für die Reformprogramme der Krisenländer fest?

Die Verantwortlichkeiten verwischen sich im Machtgewebe zwischen Brüssel und den Hauptstädten. Kein Wunder, dass sich der Frust der Bürger gegen die EU als Ganzes richtet. Gegen wen sonst, wenn es keine identifizierbaren und (ab-)wählbaren Entscheidungsträger gibt?

Europa kann sich nicht mehr durchwurschteln

Der bei der Europawahl zum Ausdruck gebrachte Protest richtet sich meiner Ansicht nach nicht gegen die Idee Europa, sondern gegen die aktuelle Ausformung dieser Idee. Aus der „Konsensmaschine Europa“ ist eine „Intransparenzmaschine Europa“ geworden. Europa muss aufhören, sich durchwurschteln zu wollen. Die Neuwahl des Europäischen Parlaments sollte vielmehr als Startschuss für einen institutionellen Reformprozess entlang der Leitwerte Transparenz, Legitimation und Effizienz genutzt werden.

Dann wird Europa in der nächsten (Finanz-)Krise handlungsfähig sein. Dann wird Europa weiteren Ländern eine realistische Beitrittsperspektive bieten können. Dann wird Europa in internationalen Fragen wieder eine gewichtige Stimme haben. Und dann werden Europawahlen auch nicht länger Protestwahlen sein.

Nikolaus von Bomhard ist Vorstandschef des Dax-Konzerns Munich Re.

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