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Der Neue hört zu. Philipp Rösler (FDP) ließ sich am Freitag in Greifswald ein Forschungsprojekt des Max-Planck-Instituts zeigen.

© dpa

Nach 100 Tagen im Wirtschaftsressort: Minister sucht Themen

Philipp Rösler führt das Wirtschaftsministerium seit 100 Tagen. Entscheidende Impulse fehlen bisher, selbst mit Steuersenkungsvorschlägen konnte er nicht punkten. So manche erinnern sich gerne an Rainer Brüderle zurück.

Von Antje Sirleschtov

Als Rainer Brüderle Anfang 2010 sein 100-Tage-Jubiläum als Bundeswirtschaftsminister beging, wusste zwar jeder, dass der Rheinland- Pfälzer sein Wunschamt ergattert hatte. Sowohl in seinem Ministerium an der Berliner Invalidenstraße als auch in den Unternehmensverbänden galt er jedoch eher als blasse Figur. Irgendwie wirkte Brüderle, in dessen Biografien selten der Hinweis darauf fehlt, wie gern er Weinköniginnen küsse, in der Berliner Schaltzentrale der global vernetzten deutschen Industrie wie ein Fremdkörper – aus einer anderen Zeit, ein bisschen provinziell. Na ja, Versorgungsposten der FDP eben, tröstete man sich in Fachkreisen.

Am heutigen Sonnabend lässt nun Brüderles Nachfolger, Philipp Rösler, seine ersten 100 Tage hinter sich. Und was hört man in den Fluren der Invalidenstraße jetzt? Ein großes Ach. Ach, was waren das für Zeiten mit dem Herrn Brüderle. Der konnte mit jedem Handwerker schwätzen, dem kaufte jeder Unternehmer ab, dass er wusste, wie der Mittelstand tickt. Und dann erst Opel: Wer hätte gedacht, dass Brüderle die Subventionen für den Autohersteller verhindern würde? Lange ist es her, dass die Leute im Wirtschaftsministerium, welche sich seit Ludwig Erhard als ordnungspolitisches Gewissen des Landes verstehen, so stolz auf ihren Chef waren. Man tritt dem Neuen nicht zu nahe, wenn man feststellt: Röslers Drängen im Frühjahr, zum Amt des neuen FDP-Vorsitzenden und Vizekanzlers auch noch Brüderles Ministerium zu bekommen, wurde im Haus an der Invalidenstraße nicht unbedingt mit Begeisterung gesehen.

Mittlerweile scheint Rösler jedoch in seinem neuen Amt angekommen zu sein. Nicht, dass er schon wirtschaftspolitische Pflöcke eingerammt hätte. Dafür ist die Zeit auch zu kurz. Schließlich muss sich der Neue ja nicht nur einarbeiten: neue Leute, neue Gepflogenheiten, neue Aufgaben. Parallel dazu wird von ihm erwartet, dass er seine Partei aus dem Umfragetief herausholt. Das kostet Zeit und Aufmerksamkeit. Und dann muss er auch noch beweisen, dass er mit seinen 38 Jahren den Aufgaben eines Wirtschaftsministers gewachsen ist. Die haben nämlich sehr viel mit Vertrauensbildung bei Unternehmern und der Vertretung von deutschen Industrieinteressen im Ausland zu tun. Kein leichtes Terrain für den Anführer der liberalen Boygroup, der gern mal jungenhaft guckt, als ob er noch immer über den Berliner Politikbetrieb staunt.

Neben der Kanzlerin und dem Finanzminister spielt Rösler in Sachen Eurorettung nur eine Nebenrolle. Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Zunächst hat die Öffentlichkeit von ihm auch nicht viel mitbekommen. Außer vielleicht, dass er sich im Finale der schwarz- gelben Energiewende als Hüter von Versorgungssicherheit und niedrigen Strompreisen zu profilieren suchte. Wobei ihn allerdings seine Kollegen in den Bundesländern auch gleich wieder ausbremsen konnten. Die nämlich fanden rein gar keinen Gefallen an der Vorstellung, dass nicht mehr sie, sondern der Herr Rösler in Berlin darüber bestimmen sollte, durch welchen Wald in Zukunft Schneisen für Stromtrassen von Nord nach Süd geschlagen werden.

Auch Röslers Versuch, Steuersenkungen als liberales Gewinnerthema zu revitalisieren, ging nach hinten los. Und zwar nicht wegen linker Oppositioneller, Landes- und Kommunalpolitikern. Deren Widerstand wäre erklärbar gewesen. Doch zu Röslers Ärger waren noch nicht mal die Unternehmerverbände auf seiner Seite. Steuersenkungen, noch dazu ohne Gegenfinanzierung? Selbst im sonst für dieses Thema immer offenen Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gab man zu Protokoll, die Zeiten seien jetzt eher nach Haushaltskonsolidierung.

Seit ein paar Wochen sucht der Wirtschaftsminister nun sein Thema bei der Rettung des Euro. Zunächst lud er die deutsche Wirtschaft zu Investitionen in Griechenland ein, das große Wort vom Marshallplan machte die Runde, und Rösler selbst zog Vergleiche mit den Anstrengungen beim Aufbau der osteuropäischen Wirtschaft. Fragt man in Unternehmerkreisen herum, sieht die Sache jedoch schon weniger ambitioniert aus. Bürokratische Hürden, hohe Arbeitskosten und vor allem Mangel an Investitionskrediten: Rösler Investitionszug nach Athen könnte sich als dickes Brett herausstellen. Trotzdem: Dass er die Klagen der deutschen Investoren in Griechenland angehört hat und sich offenbar im Oktober in Athen auch kümmern will, rechnen die ihm an. Zur Profilbildung der FDP in der Koalition, womit Rösler seinen Wechsel vom Gesundheits- ins Wirtschaftsministerium begründet hatte, wird das wenig beitragen. Zumindest kurzfristig nicht. Denn die entscheidenden Fragen der nächsten Zeit drehen sich um die Euro- Rettung. Und da spielt der Wirtschaftsminister neben Kanzlerin und Finanzminister nur eine Nebenrolle. Was ihn Angela Merkel und Wolfgang Schäuble gerade spüren ließen, als sie seine Pläne für einen europäischen Stabilitätsrat als „interessante Idee“ abqualifizierten.

Für Merkel und Schäuble ist Rösler ohnehin erst einmal nur in seiner Rolle als FDP-Chef entscheidend, der sicherstellen muss, dass seine Partei im September den Gesetzen zur Ausweitung des Euro-Rettungsschirmes zustimmen wird. Schafft er diese Hürde nicht, dann wird sich im Oktober zwar vielleicht eine Wirtschaftsdelegation nach Athen aufmachen. Nur wird der Minister dann wohl nicht mehr Rösler heißen.

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