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Nach dem Aus: Hoffnung für Quelle-Mitarbeiter in Berlin und Brandenburg

Die traditionsreiche Firma Quelle ist pleite, doch für die Mitarbeiter der Callcenter in Berlin und Cottbus gibt es noch Hoffnung.

Von Sandra Dassler

Vor der Tür stehen sie und rauchen hastig, dann verschwinden sie schnell wieder treppauf und setzen die Kopfhörer auf. Das Treppenhaus ist mit riesigen bunten Bildern geschmückt, man sieht überlebensgroß strahlende Callcenter-Mitarbeiter in Airbrush-Technik, nur dass in Wirklichkeit keiner strahlt, und auch nach reden ist den wenigsten zumute: Am Callcenter von Quelle in Kreuzberg wird zwar weitergearbeitet wie bisher, aber die Mitarbeiter sind beklommen. „Ich habe zum November einen unbefristeten Vertrag bekommen und hatte mich so gefreut“, sagt ein 51-Jähriger.

Richtig überrascht von der Nachricht, dass Quelle abgewickelt wird, sind die meisten dennoch nicht. Seit die Insolvenz drohte, waren die Bestellungen schon eingebrochen, statt der üblichen Überstunden wurden sogar Minusstunden angehäuft. „Dass es so kommt, wusste man eigentlich“, sagt eine Frau. Sie war schon im September beim Arbeitsamt. Wie fast alle der 960 Mitarbeiter hier hat sie einen befristeten Vertrag; ihrer läuft zum Jahresende aus.

Auf Manager und Banken schimpft hier keiner – hilft ja auch nichts. Nur warum man nicht wenigstens das Weihnachtsgeschäft abgewartet hat, verstehen viele nicht. Vielleicht hätte das nochmal kräftig Geld in die Kasse gebracht.

Die Antwort kennt Thomas Schulz aus Köln. Er ist der Sprecher des Insolvenzverwalters. An ihn wurde gestern jeder verwiesen, der Fragen hatte. „Ein Weitermachen wäre nur mit einem Investor möglich gewesen“, sagt Schulz. Und zwar mit einem, der viel Geld mitbringt. Dass die Callcenter auch abgewickelt werden, hält Schulz aber noch nicht für ausgemacht: „Es könnte durchaus sein, dass ein Investor nur die Callcenter übernimmt. Die machen ja teilweise auch Geschäft für Dritte – vielleicht ließe sich das ausbauen.“ Es gebe bereits Interessenten: „Die hatten schon vorher ihr Interesse bekundet, kamen aber nicht zum Zuge, weil wir ja eine Gesamtlösung anstrebten. Nach deren Scheitern haben sich einige bereits am Montagabend gemeldet. Seither wird mit ihnen verhandelt.“ Die Mitarbeiter der Quelle-Callcenter müssten nicht fürchten, sofort arbeitslos zu werden – das Ausverkaufsszenario werde etwas Zeit in Anspruch nehmen.

Die Unsicherheit trifft nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Kunden. Viele rufen an, weil sie nicht wissen, ob man überhaupt noch bestellen kann. Man kann – aber nicht mehr mit Ratenzahlung.

Quelle versucht jetzt, alles loszuschlagen, was noch da ist. „Einen Ausverkauf hat es im Versandhandel in dieser Größenordnung noch nie gegeben“, sagt Schulz. Erst komme die Ware aus den Lagern dran, und am Ende die Arbeitsplätze selbst: Büroeinrichtung, Telefonanlage und so weiter. Der Insolvenzverwalter muss ja alles zu Geld machen.

Die Politik kann zwar keine Arbeitsplätze schaffen, aber tatenlos zusehen geht auch nicht. „Wir schauen gemeinsam mit der Wirtschaftsverwaltung und der Agentur für Arbeit, was man tun kann“, sagt Anja Wollny, Sprecherin der frisch ins Amt gehobenen Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linke). „Wir prüfen, ob es möglich ist, eine Auffanggesellschaft zu gründen. Aber dafür müsste noch Vermögen vorhanden sein.“ Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) findet es skandalös, dass, „wenn die Berichte zutreffen, der Insolvenzverwaltung keine finanziellen Mittel zur Schaffung einer Auffanggesellschaft für die Beschäftigten zur Verfügung stehen“. Für das Callcenter in Kreuzberg seien öffentliche Fördermittel von rund 1,3 Millionen Euro geflossen. „Mit dem heutigen Tag haben wir diese Mittel zurückgefordert, denn auf Grund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht die Möglichkeit, dass die Fördervoraussetzungen für den festgelegten Zeitraum nicht erfüllt wurden“, sagt Wolf.

In Cottbus, wo rund 700 Mitarbeiter betroffen sind, hofft man inständig auf einen neuen Investor. „700 Arbeitslose – das wäre in unserer Region eine Katastrophe“, sagt Verdi-Sekretärin Ines Barow: „Die meisten sind Frauen, von denen viele ohnehin nur Teilzeit arbeiten und oft nur in befristeten Verträgen.“

Barow verweist darauf, dass das sogenannte Quelle-Kommunikationszentrum erst im Juni vergangenen Jahres in Cottbus in Betrieb ging. Die Primondo GmbH hatte damals Lagerhallen des alten Textilkombinats in Cottbus zu einem der modernsten Kundenzentren Deutschlands umgebaut und rund fünf Millionen Euro in den Standort investiert. Auf einer Fläche von 3200 Quadratmetern betreuen die Mitarbeiter, von denen die meisten seit längerem in Callcentern beschäftigt sind, Kunden in ganz Deutschland 24 Stunden rund um die Uhr. Das Kundenzentrum ist mit moderner Computer- und Kommunikationstechnik ausgestattet, auch der Internet- und E-Mail-Service für ganz Deutschland wird in Cottbus mitbearbeitet.

Die Gewerkschaft Verdi kritisierte außerdem, dass die Ansiedlung der beiden Callcenter in Berlin und Brandenburg mindestens eine Million Euro an Wirtschaftsförderung gekostet habe – Steuergeld, das nun verloren sei.

Seit Montag kommen in Cottbus noch mehr Anrufe und Mails an als sonst. „Im Gegensatz zu den üblichen Fragen oder Reklamationen erhalten wir nun sehr viel Zuspruch von den Kunden“, sagt eine Mitarbeiterin. „Sie wünschen uns Glück für die Zukunft. Viele erzählen auch, wie sie mit Quelle groß geworden sind, und manche können es gar nicht glauben, dass eine solche Traditionsfirma nun vom Markt verschwindet. Irgendein Privileg-Gerät hatte fast jeder in seiner Küche.“

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