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Dow Jones fällt um 500 Punkte. Als die Trader der New Yorker Börse zur Arbeit kamen, war ihnen schon klar, was ihnen der Tag bringen würde.

© AFP

Nach dem Brexit-Referendum: Schwarzer Freitag an den Börsen

Aktien stürzen ab und mit ihnen das Pfund und der Euro. Hedgefonds haben sehr viel Geld verloren. Und Großbritannien ist nicht mehr fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Ein Überblick über einen turbulenten Börsentag.

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Es sollte eine Nacht der Superprofite werden. Aber da haben sich einige Hedgefonds in London gewaltig verspekuliert. Es ist nicht abzusehen, wie viel Geld Spekulanten in dieser Referendumsnacht verloren haben. Einige Hedgefonds hatten eigens geheime Nachwahlbefragungen in Auftrag gegeben, um einen Vorsprung gegenüber anderen Marktteilnehmern zu haben. Das berichtete die „Financial Times“. Die Vorhersage der Demoskopen am Abend war aber falsch, weil sich die Briten für einen Austritt aus der EU entschieden haben. Um Mitternacht begann der Albtraum. Das Pfund, auf dessen Anstieg sie gesetzt hatten, stürzte gegenüber dem Dollar ab – minus 11,1 Prozent in der Spitze (Grafik oben).

Viele Händler in der Londoner City hatten die Nacht durchgemacht im Finanzdistrikt – vor ihren Bildschirmen, schwarzen Kaffee kippend, ihre Orders ins Telefon brüllend. „Das ist total verrückt heute hier“, sagt der 34-jährige Händler David Papier von ETX Capital gegenüber AFP. „Ein Blutbad, ein Schlachthaus.“

Währungen werden im Gegensatz zu Aktien Tag und Nacht gehandelt und eigneten sich deshalb hervorragend für Spekulationen in einer Wahlnacht. Auch der Euro brach ein. Die Börsianer flüchteten in sichere Häfen, in den US-Dollar, in den Schweizer Franken und den japanischen Yen. Auch die afrikanischen Währungen, der südafrikanische Rand, der kenianische Schilling und der nigerianische Naira brachen ein. Der Rand sackte zunächst um acht Prozent ab, fing sich dann aber bei 3,6 Prozent. Der Kurs des Pfund Sterling lag mit 1,3232 Dollar so niedrig wie zuletzt im September 1985. Der Euro fiel um bis zu 4,1 Prozent auf ein Dreieinhalb-Monats-Tief von 1,0914 Dollar.

Durch den Kursverfall des Pfund ist Großbritannien nach Angaben der Denkfabrik London Economics nicht mehr die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. „Das Pfund ist so stark gefallen, dass uns Frankreich überholt hat“, zitiert Reuters das Institut. Für den internationalen Vergleich wird das Bruttoinlandsprodukt in der Regel in Dollar gewichtet, gegen den das Pfund nach dem Brexit-Votum so stark abgewertet hat.

Es war wahrhaftig ein schwarzer Freitag an den Börsen: Mit Panikverkäufen haben Anleger weltweit reagiert. Aus Angst vor einer Wirtschaftskrise auf der Insel und einer Abkühlung der weltweiten Konjunktur rauschten die europäischen Aktienindizes teilweise mehr als zehn Prozent in die Tiefe.

Anleger trauten ihren Augen nicht

So auch beim Dax, dem deutschen Leitindex. Anleger trauten ihren Augen nicht, als sie um neun Uhr auf die Bildschirme schauten. Zehn Prozent rasselte der Dax zu Beginn nach unten.

Unter Profis verbreitete sich depressive Stimmung. „Die Entscheidung für einen Ausstieg aus der EU stürzt Europa in eine existenzielle Krise“, sagte Nick Parsons, Ko-Chefstratege der National Australia Bank gegenüber Reuters. Matt Sherwood, Chef-Anlagestratege des Fondsmanagers Perpetual, warnte: „Großbritannien wird in die Rezession rutschen und Europa wird folgen.“

Der Londoner Aktienindex FTSE 100 verlor knapp neun Prozent. Der Freitag ist für alle europäischen Aktienmärkte laut Reuters der größte Kursrutsch an einem Tag seit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008. Später grenzten sie ihre Verluste etwas ein und notierten zwischen 4,8 und 9,1 Prozent im Minus. Die afrikanischen Börsen und Bond-Märkte brachen ebenfalls ein, schreibt die südafrikanische Zeitung „Mail & Guardian“.

Die Börsen in Mailand und Madrid steuerten mit einem Minus von jeweils rund zehn Prozent auf die größten Tagesverluste ihrer Geschichte zu. Investoren befürchteten in beiden Staaten ein weiteres Erstarken EU-kritischer Parteien und zogen ihr Geld ab. Am Sonntag wird in Spanien ein neues Parlament gewählt. Im Oktober stimmen die Italiener über eine Verfassungsreform ab.

Verkauft wurden vor allem Finanzwerte, die überdurchschnittlich auf die Nachrichten reagieren. Britische Geldhäuser wie Royal Bank of Scotland (RBS) oder Lloyds verloren jeweils etwa 20 Prozent. Deutsche Bank und Commerzbank büßten etwa zwölf Prozent ein. An Rohstoffmärkten gerieten die Kurse ins Wanken. Der Preis für die richtungsweisende Öl-Sorte Brent aus der Nordsee fiel um 4,6 Prozent auf 48,57 Dollar je Barrel (159 Liter). Das wichtige Industriemetall Kupfer kostete mit 4686,50 Dollar je Tonne zwei Prozent weniger als am Donnerstag.

Notenbanken wollen die Märkte beruhigen

Nach Schätzung von DZ-Bank-Analysten Christian Kahler haben sich durch den aktuellen Crash weltweit fünf Billionen Dollar an Börsenkapitalisierung in Luft aufgelöst. Das entspricht in etwa dem Doppelten der jährlichen Wirtschaftsleistung Großbritanniens.

Gefragt waren dagegen bei Investoren vermeintlich sichere Anlagen wie Gold, Staatsanleihen oder der Schweizer Franken. Das Edelmetall verbuchte den größten Kurssprung seit 2008. Der Gold-Preis stieg um bis zu 8,2 Prozent auf ein Zwei-Jahres-Hoch von 1358,20 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm). Dies hievte die Aktien des Minenbetreibers Randgold auf ein Rekordhoch von 8350 Pence.

Begehrt war auch die Schweizer Währung. Der Kurs des Euro fiel um 2,8 Prozent auf ein Elf-Monats-Tief von 1,0612 Franken. Im Verlauf des Vormittags grenzte der Euro seine Verluste aber ein und stieg auf 1,0838 Franken, nachdem die Schweizerische Notenbank SNB am Devisenmarkt intervenierte.

Der Run auf Staatsanleihen drückte die Rendite der richtungsweisenden zehnjährigen Bundesanleihe auf ein Rekordtief von minus 0,17 Prozent. Ihre britischen Pendants rentierten mit 1,018 Prozent ebenfalls so niedrig wie nie zuvor. Hier spekulierten Anleger auf eine Zinssenkung der Bank von England (BoE) und sicherten sich mit den Käufen die aktuellen, höheren Zinsen. / ]

Nach dem Brexit-Votum wollen sich führende Notenbanken gegen Turbulenzen an den Finanzmärkten stemmen. Der britische Notenbankchef Mark Carney stellte 250 Milliarden Pfund zur Stützung der Märkte in Aussicht. Die Europäische Zentralbank (EZB) und die japanische Notenbank betonten ihre Handlungsbereitschaft. Die Schweizerische Nationalbank schritt unterdessen gleich zur Tat und griff am Devisenmarkt ein.

Neben den Schwankungen beim Euro dürfte die EZB auch beobachten, dass die Renditen auf Staatspapiere südeuropäischer Länder nach dem Brexit in die Höhe geschnellt sind. Einige Experten hatten vor dem Brexit-Votum sogar spekuliert, die EZB könnte im Extremfall ihr sogenanntes OMT-Programm zum Einsatz bringen, also gezielt Staatsanleihen von Krisenländern aufkaufen. Erst am Dienstag hatte das Bundesverfassungsgericht dies unter bestimmten Bedingungen gebilligt. Es wäre das erste Mal, dass das 2012 eingeführte Instrument tatsächlich zum Einsatz käme. (mit rtr/AFP)

Eine ausführliche Darstellung, wie sich Aktienanleger durch das alte Prinzip des Rebalancing vor den extremen Ausschlägen der Börse schützen können, lesen Sie hier.

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