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Proteste: Befürworter des katalanischen Unabhängigkeitsreferendums demonstrieren in Barcelona gegen den Polizeieinsatz während des Unabhängigkeitsreferendums.

© Matthias Oesterle/ZUMA Wire/dpa

Nach dem Referendum: Was wird aus den Deutschen in Katalonien?

Katalonien zieht viele deutsche Unternehmen und Touristen an. Was passiert, wenn sich die Region wirklich abspaltet?

Was für ein Schock: Kürzlich standen mehrere Beamte der Guardia Civil vor der Tür der T-Systems-Niederlassung in Barcelona. Die spanischen Polizisten durchsuchten die Räume der Telekom-Tochter, beschlagnahmten vier Computer, präsentierten der Spanien-Chefin eine Vorladung zum Verhör – und nahmen sie fest. Der Verdacht: T-Systems habe das illegale Referendum zur Abspaltung Kataloniens von Spanien technisch unterstützt. „Das war aber nicht so“, sagt ein Sprecher. „Wir sind nur Dienstleister der katalanischen Regionalregierung.“ T-Systems ist an drei Standorten mit 1800 Mitarbeitern in Katalonien tätig. Der Vorfall zeige, sagt der Sprecher, wie aufgeheizt die Lage in der Region sei – und wie empfindlich die Turbulenzen auch deutsche Unternehmen treffen könnten. „Dabei gehen wir gar nicht parteiisch vor.“

Nach der Abspaltung wäre Katalonien nicht mehr in der EU

Mit Sorge blicken viele Firmen aus Deutschland auf die Situation in Katalonien. Alle hoffen, dass die Regionalregierung nach dem Referendum vom vergangenen Sonntag einen moderaten Kurs einschlägt. Doch danach sieht es nicht aus. Möglicherweise schon am Dienstag könnte Barcelona die Abspaltung von Spanien erklären – und wäre dann nach Brüsseler Lesart nicht mehr EU-Mitglied. Für deutsche Unternehmen wäre dies ein Schlag, denn Katalonien ist die wirtschaftlich wichtigste Region in Spanien. Nach einer Abspaltung verlöre die Region den Zugang zum europäischen Binnenmarkt, der viele Vorteile für Unternehmen hat, etwa Zollfreiheit und Freizügigkeit innerhalb der EU. Den Firmen drohen zusätzliche bürokratische Hürden und Kosten.

Viele Dax-Konzerne sind in Katalonien

Knapp 1000 deutsche Unternehmen haben laut Regionalregierung eine Niederlassung in der nordspanischen Region – darunter Dax-Konzerne wie Allianz, Bayer, BASF, Siemens oder Volkswagen mit seiner Tochter Seat. Insgesamt gibt es nach Angaben des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) etwa 1600 deutsche Unternehmen in ganz Spanien. Nach außen gelassen, geben einige Unternehmen hinter vorgehaltener Hand zu, dass „die Emotionen bei den Mitarbeitern vor Ort hochkochen“. Deeskalation sei aber das Gebot der Stunde – und größte Wachsamkeit. „Man tut gut daran, sich derzeit nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen“, heißt es bei einem deutschen Konzern.

VW-Mitarbeiter waren beim Generalstreik dabei

„Spanien ist für uns unter den Top 10 Auslandsgesellschaften und daher natürlich relevant“, sagt Steffen Greubel, Geschäftsbereichsleiter für Würth Spanien. Der Großhändler für Befestigungs- und Montagetechnik hat wie viele internationaler Konzerne den Hauptsitz seiner spanischen Dependance in der Nähe von Barcelona. 2000 Würth-Verkäufer sind auf der gesamten iberischen Halbinsel tätig. „Bisher sind wir nur marginal von den Vorgängen betroffen“, sagt Greubel. Aber auch Würth beklagt, dass Kunden schlechter zugänglich und von Streiks betroffen seien. Eine Produktion unterhält Würth nicht in Spanien. Bei anderen, etwa bei der VW-Tochter Seat, nahmen einige Beschäftigte am Generalstreik Anfang der Woche teil. In einer Produktionslinie musste Seat die Arbeit für einige Stunden wegen fehlenden Nachschubs unterbrechen. Größere Zwischenfälle blieben bislang aus.

Keine nennenswerte Zwischenfälle in der Produktion

„Wir verfolgen die Situation sehr genau“, sagt eine Sprecherin des Bosch-Konzerns, der mit 800 Mitarbeitern an vier Standorten in Katalonien vertreten ist, darunter sind zwei Werke für Fahrzeugkomponenten. Gerade für die Autoindustrie ist die Region ein wichtiger Zulieferer-, Produktions- und Absatzmarkt. Es sei zu früh, um Mutmaßungen über die Zukunft des Standortes anzustellen, heißt es bei Bosch. Störungen in der Produktion gebe es noch nicht. „Die Sicherheit unserer Mitarbeiter ist wichtig“, sagt die Sprecherin. Auch der Klinik-Zulieferer B. Braun Melsungen, mit 2400 Mitarbeitern in Spanien und in der katalanischen Provinz aktiv – unter anderem mit einem Dialysezentrum in Martorell –, weiß von „keinen wesentlichen Beeinträchtigungen in der Belieferung unserer Kunden“. Nennenswerte Zwischenfälle in der Produktion habe es noch nicht gegeben.

Banken sollen Katalonien verlassen

Große Unruhe herrscht derweil in der Finanzbranche. Die fünftgrößte spanische Bank Sabadell zieht Konsequenzen aus der Katalonien-Krise und verlagert ihren juristischen Sitz in die spanische Hafenstadt Alicante an der Costa Blanca. Die spanische Zentralregierung will nach Informationen von Insidern sogar ein Dekret auf den Weg bringen, das Unternehmen einen Abzug aus Katalonien erleichtern soll. Ein Erlass, der der Caixabank nützen würde, die ohne Aktionärsversammlung ihren kolportierten Abzug aus Katalonien realisieren könnte. Die Börse in Madrid rutschte in dieser Woche kräftig ab – Anleger fürchten um das wirtschaftliche Kraftzentrum Katalonien.

Was wird aus den Touristen?

Dass die Region den Rest Spaniens wirtschaftlich aussticht, liegt nicht zuletzt am Tourismus. Die Region lockt mit Stränden und mit Barcelona, einer der Top-Locations für Städtereisende. Doch Generalstreiks haben die An- und Abreise erschwert, Demonstrationen den Urlaub getrübt. Glaubt man den großen Reiseveranstaltern, nehmen die Deutschen das aber gelassen hin. „Uns haben lediglich vereinzelt Gäste kontaktiert“, sagt eine Sprecherin von Europas größtem Reiseveranstalter Tui. Auch bei FTI herrscht nach eigenen Angaben Ruhe in den Service-Centern. „Die Anzahl der Anrufe von verunsicherten Kunden sowie Anfragen zur Stornierung und Umbuchung sind sehr gering“, berichtet eine Sprecherin. Bei Thomas Cook seien bislang gar keine Anfragen zur Lage in Katalonien eingegangen, heißt es auf Anfrage.

Keine kostenlosen Stornierungen möglich

Aufregung würde den Reisenden allerdings auch nicht viel nutzen. Denn kostenlos stornieren kann man nur, wenn das Auswärtige Amt entsprechende Reisewarnungen herausgibt. Was das Ministerium aber nicht tut. In den aktuellen Reisehinweisen weist das Auswärtige Amt lediglich darauf hin, dass die Lage in Katalonien „weiter angespannt“ ist und es jederzeit zu Demonstrationen kommen könne. „Reisenden wird empfohlen, die lokalen Medien zu verfolgen, größere Menschenansammlungen zu meiden und den Anweisungen von Sicherheitskräften unbedingt Folge zu leisten“, heißt es weiter. Spanischkenntnisse, lehrt dieses Beispiel, sind bei einem Katalonien-Urlaub in diesen Tagen eindeutig von Vorteil.

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