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Wirtschaft: Nach dem Schock

Eine Kündigung ist für viele Arbeitnehmer eine schlimme Sache. Aber man kann damit fertig werden.

Mit den Gerüchten ging es los. Eineinhalb Jahre später hatte Matthias Riedinger seine Kündigung auf dem Tisch. Es war eine quälend lange Zeit, mit immer neuen Botschaften durch das Unternehmen, bis schließlich klar war: Die Firma macht dicht. Auf einer Mitarbeiterversammlung erhielt Riedinger die Nachricht. „Da war es mit der Hoffnung vorbei“, sagt er. Zwar herrschte endlich Klarheit, doch einige hundert Mitarbeiter warteten jetzt auf ihre Kündigung.

Für den Potsdamer Matthias Riedinger kam sie vor einem halben Jahr. Bis zum Jahreswechsel arbeitete er noch als Leiter im Testmanagement. Mit seinen 55 Jahren sei ihm bei der Kündigung sehr mulmig gewesen. „In meinem Bekanntenkreis gibt es einige Leute, die nach einer Kündigung nichts mehr gefunden haben“, sagt er. Riedinger hatte Glück: Er wechselte nahtlos in ein neues Angestelltenverhältnis. Zudem arbeitet er jetzt nebenberuflich als Coach für Lebenskrisen in Potsdam und Berlin. Eigentlich war dieses Standbein als Notnagel gedacht – durch die erfolgreiche Arbeitssuche muss er damit nun doch keine Existenz bestreiten. „Es geht mir darum, zu helfen“, sagt er.

Eine Kündigung bedeutet fast immer einen Schock für den Arbeitnehmer. Zwar war Matthias Riedinger schon lange auf das Szenario vorbereitet. Dennoch „guckt man erst einmal in ein schwarzes Loch“, sagt er. Erst sei er in einer Schockstarre gewesen, dann kam Angst, dann Wut. Experten raten dazu, eine Kündigung als Chance zu begreifen. Das ist für manche kaum vorstellbar, wenn sie sich mit Existenzängsten herumschlagen und nicht selten aus Sorge sogar krank werden. Erhält man eine Kündigung, geht es meist nur Schritt für Schritt in die Richtung, Frieden mit der Situation zu schließen.

Matthias Riedinger war als leitende Kraft bis zum Schluss an der Abwicklung der Firma beteiligt. „Ich musste den eigenen Abbau mit organisieren“, sagt er. Das hat es nicht leichter gemacht. Geholfen hat dagegen, dass er nicht alleine war mit seinen Sorgen. Schließlich war sein gesamtes Arbeitsumfeld betroffen, er konnte sich austauschen.

Sabine Siegl, Wirtschaftspsychologin und Präsidentin des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen, sagt: „Wichtig ist, in so einer Schocksituation nicht alleine zu sein.“ Nicht immer ist der Lebenspartner der beste Gesprächspartner, denn er kann unter Umständen selbst von existenziellen Sorgen übermannt werden. „Es kann ein guter Freund sein, den das nicht direkt betrifft“, sagt Siegl.

Es lohnt sich zu klären, ob die Kündigung rechtlich einwandfrei ist. Auf keinen Fall sollte man sofort etwas unterschreiben. Zur Beratung eignet sich ein Anwalt oder gegebenenfalls die Gewerkschaft. Es ist leichter, mit der Kündigung abzuschließen, wenn man sicher ist, dass der Arbeitgeber nicht unrechtmäßig verfährt. Durch Formfehler im Kündigungsschreiben gewinnen Arbeitnehmer zudem oft wertvolle Zeit. In den drei Wochen nach Eingang des Kündigungsschreibens haben sie die Möglichkeit, eine Kündigungsschutzklage einzureichen. Sonst ist die Kündigung rechtsgültig. Auch beim Arbeitsamt sollte man sich möglichst schnell melden. „Dann bekomme ich schneller Angebote und verpasse auch keine Fristen“, sagt Marion Zehe, Fachanwältin für Arbeitsrecht in Berlin. Sie weist außerdem darauf hin, dass in Arbeitsverträgen oft Ausschlussfristen stehen - wenn die abgelaufen sind, verfallen Ansprüche des Arbeitnehmers. „Ansprüche, die ich noch habe, sollte ich schriftlich und konkret formulieren. Zum Beispiel: Mir steht noch das Weihnachtsgeld in der und der Höhe zu“, sagt Zehe. Zwar höre man oft den gut gemeinten Rat, man solle sich zurückhalten, wenn man noch ein gutes Zeugnis wolle. Doch Zehe sagt: „Man sollte keine Angst vor einem schlechten Zeugnis haben, das klage ich notfalls ein.“

Wirtschaftspsychologin Siegl rät dazu, sich innerhalb der ersten Woche Gedanken über die Zukunft zu machen. Viele quälen sich in dieser Zeit mit der Schuldfrage. Doch man ist einen Arbeitsvertrag eingegangen und eine Seite kann einen solchen Vertrag immer beenden. „Man sollte sich auf andere Fragen konzentrieren“, sagt Siegl. Zum Beispiel: Was kann ich in Zukunft anders machen und wie zufrieden war ich überhaupt an meinem alten Arbeitsplatz?

Um neue Impulse zu bekommen, sprach Matthias Riedinger viel mit Freunden über seine Situation. „Das ist gut, um auf neue Ideen zu kommen“, sagt er. Es war wichtig für ihn, mehrere Handlungsoptionen zu haben. Er bewarb sich auf offene Stellen, außerdem bestärkten ihn seine Freunde in der Idee, als Coach zu arbeiten. Auch wenn das Coaching heute keine Existenzgrundlage für ihn ist, bedeutet es trotzdem ein Stück Selbstverwirklichung für Riedinger.

Doch nicht jeder neigt zu einer solchen Handlungsbereitschaft. Sabine Siegl sagt: „Ein Schock und eine Zurückweisung setzen nicht sofort positive Energie frei. Es gibt Menschen, die brauchen eine gewisse Verarbeitungszeit.“ Bei manchen löst eine Kündigung Schlaflosigkeit aus oder andere Beschwerden wie Appetitlosigkeit bis hin zum Kreislaufzusammenbruch. „Sie können so geschockt sein, dass sie nicht mehr in die Arbeit gehen können“, sagt Siegl. Dann ist es Zeit, sich psychologischen Beistand zu holen.

Siegl findet es den fairsten Weg, den Arbeitnehmer für die Dauer der Kündigungsfrist freizustellen. Das ist oft bei Führungskräften der Fall oder bei Mitarbeitern in der Kundenberatung – schließlich leidet die Motivation erheblich durch die Kündigung. Zumindest aber muss der Arbeitgeber den gekündigten Mitarbeiter für Bewerbungsgespräche freistellen. Wer der Arbeit jedoch ohne Bewilligung fernbleibt oder sie anders vernachlässigt, riskiert eine fristlose Kündigung.

Von der letzten großen Aussprache mit dem Chef rät Sabine Siegl ab. „Klärende Gespräche sollten vorher gelaufen sein. Wenn die Kündigung kommt, ist das zu spät“, sagt sie. Dem Chef nochmal die Meinung zu geigen, führe nicht zur großen Erleichterung. Vielmehr riskiert man damit, dass die Situation noch weiter eskaliert.

Die Kündigung hat im Leben von Matthias Riedinger vieles verändert. Dass er dankbar dafür sei, kann er momentan noch nicht sagen. Um alle Auswirkungen abzusehen, ist nicht genug Zeit vergangen. Doch eines hat er sich von Anfang an gedacht: „Das Leben hat noch etwas anderes für mich parat.“

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