zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Nach dem Terror: Interview: "Das Vertrauen in die Finanzpolitik geht verloren"

Rolf Peffekoven (63) ist Professor für Finanzwissenschaft an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzminsterium. Das Gremium berät Hans Eichel in grundlegenden Fragen.

Rolf Peffekoven (63) ist Professor für Finanzwissenschaft an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzminsterium. Das Gremium berät Hans Eichel in grundlegenden Fragen. Von 1991 bis 2001 war er Mitglied im Wirtschafts-Sachverständigenrat ("Fünf Weise"). Peffekoven tritt seit langem dafür ein, dass das komplizierte deutsche Steuersystem vereinfacht und reformiert wird.

Herr Peffekoven, werden wir durch die Krise nach den Terroranschlägen in den USA eine Rezession bekommen?

Zum Thema Online Spezial: Terror gegen Amerika Umfrage: Haben Sie Angst vor den Folgen des Attentats? Fotos: Die Ereignisse seit dem 11. September in Bildern Fahndung: Der Stand der Ermittlungen Osama bin Laden: Amerikas Staatsfeind Nummer 1 gilt als der Hauptverdächtige Chronologie: Die Anschlagserie gegen die USA Die Gefahr sehe ich nicht. Allerdings waren wir bereits vor den Anschlägen in einer konjunkturell schwierigen Phase. Bisher haben die meisten Fachleute erwartet, dass es in Amerika Ende dieses Jahres wieder aufwärts gehen werde und bald danach auch bei uns. Eine Erholung wird es jetzt frühestens Mitte kommenden Jahres geben - soweit sich das überhaupt vorhersagen lässt. Verlässlich kennen wir bisher nur die materiellen Schäden und den Verlust an Humankapital. Zusammen schätzt man den Schaden auf 40 Milliarden US-Dollar - das sind nur 0,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der USA. Eine leistungsfähige und flexible Volkswirtschaft wie die amerikanische ist in der Lage, solche Schäden zu verkraften.

Die US-Verbraucher, die mit ihrem Konsum zwei Drittel des Wachstums tragen, halten sich aber schon spürbar mit Einkäufen zurück. Die Börsen stürzen ab, und es ist unklar, wie der Ölpreis im Falle eines Militärschlags der USA reagieren wird.

Natürlich sind Szenarien für eine Rezession denkbar. Ich halte sie aber für wenig wahrscheinlich. Als Faustregel gilt ja: Wenn die Wirtschaftsleistung in Amerika um ein Prozent zurückgeht, muss Europa mit einem Minus von 0,2 bis 0,3 Prozent rechnen. Also müsste das US-Bruttoinlandsprodukt schon um zwei bis drei Prozent einbrechen, damit es in Deutschland weiter bergab geht - so schlimm wird es nicht kommen. Die Ölförderländer des Opec-Kartells haben ja in Aussicht gestellt, den Preis für ein Barrel Rohöl unter 28 Dollar zu halten - damit kann die Wirtschaft leben.

Bislang haben Unruhen im Nahen Osten meistens für teureres Öl gesorgt.

Eine Militäraktion ist sehr wahrscheinlich. Es macht für den Ölpreis aber einen Unterschied, ob die USA in Afghanistan oder im Irak intervenieren. Sollte ein Opec-Land in den Konflikt hineingezogen werden, kann der Preis schnell auf weit über 28 Dollar steigen.

Vergangene Woche haben die Notenbanken in den Vereinigten Staaten und in Europa abgestimmt die Leitzinsen deutlich gesenkt. Kann das die Konjunktur stabilisieren?

Nein, es dauert schlicht zu lange, bis die Zinssenkungen an den Märkten ankommen - nach aller Erfahrung neun bis zwölf Monate. Das waren psychologoische Schritte, welche die Liquidität sichern und die Börsen sowie die Devisenmärkte beruhigen sollten.

Müssen die Notenbanken noch einmal mit Zinssenkungen eingreifen, um die Konjunktur zu stabilisieren?

Auf weitere Zinssenkungen der Fed wird die US-Wirtschaft nicht mehr reagieren. In Europa könnte die Europäische Zentralbank Probleme mit der Inflation bekommen. Steuererhöhungen oder hohe Lohnabschlüsse könnten die momentan rückläufige Geldentwertung schnell wieder ansteigen lassen. Weitere Zinssenkungen würden dann die Inflation noch mehr anheizen.

Sie sind mit Vorhersagen über die weitere Wirtschaftsentwicklung eher zurückhaltend. Einige Ihrer Kollegen dagegen reden laut über eine bevorstehende Rezession.

Prognosen sind Voraussagen unter bestimmten Annahmen. Jeder Kollege mag annehmen, was er will, und seine Schlüsse daraus ziehen. Im Grunde kann aber niemand mit Bestimmheit sagen, wie es weitergehen wird, weil eben die militärischen Konsequenzen ungewiss sind. Ich kann nur zur Vorsicht mahnen - bei den jüngsten Korrekturen der Wachstumsaussichten haben sich ja einige Institute einen regelrechten Wettbewerb nach unten geliefert. Das hat das Vertrauen in die Zunft der Ökonomen nicht eben befördert.

Nach dem Golfkrieg 1990/91 stürzte die Weltwirtschaft in eine Rezession. Warum sollte es nun anders sein?

Ein Vergleich mit dem Irak-Krieg ist schwierig, weil derzeit weder Art noch Ausmaß des Konfliktes unklar sind. Deutschland hat damals die Kosten des Krieges mitgetragen, das waren 18 bis 20 Milliarden Mark. Eine solche Belastung könnte jetzt wieder auf unsere Volkswirtschaft zukommen.

Wo soll der Finanzminister denn das Geld dafür hernehmen?

Falsch ist es auf jeden Fall, sofort die Steuern zu erhöhen, wie es die Bundesregierung beim drei Milliarden Mark teuren Anti-Terror-Paket plant. Umschichtungen im Haushalt wären besser gewesen - bei einem Gesamt-Etat von 485 Milliarden Mark handelt es sich immerhin um nur 0,6 Prozent, die zusätzlich finanziert werden müssen. Die privaten Haushalte, Rentner zum Beispiel, mussten zuletzt deutlich mehr als ein Prozent mehr für gestiegene Steuern und Abgaben aufbringen - denen scheint der Staat mehr zumuten zu wollen als sich selbst.

Hans Eichel hat aber schon Probleme, für die gewöhnlichen Etatposten Geld aufzutreiben.

Es ist in einem Wahljahr natürlich politisch schwierig zu sparen. Zumal in der Tat der Haushalt 2002 Löcher aufweist - das Wachstum wird nicht bei 2,75 Prozent, sondern deutlich darunter liegen, die Arbeitslosigkeit steigt auf bis zu 3,8 Millionen - das kostet zusammen schon sechs Milliarden Mark. Zudem sind drei Milliarden Mark für bereits beschlossene Maßnahmen noch nicht finanziert. Wegen all dieser Lücken hätte die Koalition nach den Anschlägen die gesamte Etatplanung für 2002 noch einmal überdenken müssen. Sie könnte zum Beispiel die Subventionen kürzen - es fließen ja jährlich rund 100 Milliarden Mark an angeblich bedürftige Unternehmen. Auch beim Transfersystem gibt es Spielraum. Ich selbst bekomme vom Staat jeden Monat 13 Mark Prämie für einen Bausparvertrag. Dieses Geld brauche ich aber nicht, ich würde den Sparvertrag auch ohne staatlichen Zuschuss bedienen.

Würgen die drei Milliarden an zusätzlicher Steuerbelastung die deutschen Konjunktur ab, wie Wirtschaftsverbände meinen?

Nein, der Bund gibt nun drei Milliarden Mark mehr aus, dafür müssen die Verbraucher auf ebendiese Summe verzichten. Viel schlimmer ist, dass das Vertrauen in die Finanzpolitik verloren geht.

Müssen sich die Gewerkschaften wegen der Terror-Krise mit Lohnforderungen noch stärker als in den vegrgangenen Jahren zurückhalten?

Ja, die Tarifpartner müssen sich bei den Lohnabschlüssen unbedingt weiterhin an der gesamtwirtschaftlichen Produktivität orientieren. Wir haben ja nicht nur die aktuellen Probleme. Es gibt immer noch 3,8 Millionen Arbeitslose hier zu Lande - der Lohnanstieg müsste also weit unter der Summe von Produktivitätswachstum und Inflationsrate liegen, um mehr Stellen zu schaffen.

Die Gewerkschaften halten dagegen, die Lohnzurückhaltung der vergangenen Jahre habe bislang keinen einzigen neuen Job geschaffen.

Das Argument zieht nicht. Denn niemand weiß, wieviel Arbeitsplätze verloren gegangen wären, wenn die Lohnsteigerungen der letzten beiden Jahre nicht moderat gewesen wären.

Die USA wollen die von der Krise besonders getroffenen Branchen unterstützen, auch die EU denkt darüber nach.

Ich halter davon wenig. Die Attentate sind nicht für alle Probleme verantwortlich - vieles lag auch schon vorher im Argen: Der Staatshaushalt war unterfinanziert, Airlines arbeiteten unrentabel. Jetzt auch Fluggesellschaften zu subventionieren, die seit Jahren am Rande des Konkurses arbeiten, ist nicht zu vertreten. Außerdem ist es in einer Marktwirtschaft nicht zu verantworten, dass jedes Unternehmen Staatsgelder bekommt, das in Schwierigkeiten gerät.

Vermutlich werden nach den Anschlägen nun die Sicherheitsbestimmungen auf der ganzen Welt verschärft. Wird das den Welthandel beeinträchtigen?

Die Gefahr besteht weniger - schärfere Überprüfungen treffen vor allem den Personen-, weniger den Güterverkehr. Die Luftfahrt-Branche wird aber noch lange unter den Folgen der Anschläge zu leiden haben, ebenso der Tourismus und die Versicherungswirtschaft. Auf der anderen Seite gibt es Krisengewinner: Anbieter von Sicherheitsleistungen, Rüstungsfirmen, in den USA auch die Bauwirtschaft. Wir stehen also vor einem enormen Strukturwandel.

Kritiker der Globalisierung halten das weltweite Wohlstandsgefälle für eine Ursache des Terrors. Muss der Westen jetzt über seine Art des Kapitalismus nachdenken?

Ja, Extremismus hat immer mehrere Ursachen. Einige davon sind die Folgen des globalisierten Wirtschaftens, zu geringer Entwicklungshilfe, zu niedriger Sozialstandards oder mangelnder Ausbildung und Fehlinvestitionen in armen Ländern. Über diese Themen muss man reden, um dem Terrorismus beizukommen. Militär-Interventionen allein ändern nicht viel an den Ursachen.

Herr Peffekoven[werden wir durch die Krise nach d]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false