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Die Berliner Wall AG stellt ihre Schautafeln auch in der Türkei auf - zum Beispiel in der Provinzhauptstadt Konya.

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Nach der Türkei-Wahl: Investoren zweifeln an Erdogan

Mit dem Vater des türkischen Wirtschaftswunders werden inzwischen eher Risiken verbunden / Hohe Inflation, niedriges Wachstum.

Die Anleger an der Istanbuler Börse wussten anfangs nicht so recht, was sie von der Wahl Recep Tayyip Erdogans zum neuen Staatspräsidenten halten sollten. Nachdem sie am Montagmorgen zunächst mit Kauforders die Aktiennotierungen und den Kurs der türkischen Lira steigen ließen, setzte schnell Skepsis ein – der Leitindex gab bis zu 1,3 Prozent nach. Auf die Stimmung drückte eine Warnung der Ratingagentur Fitch, die politischen Risiken könnten zu einer Herabstufung der Kreditwürdigkeit führen.

Erdogan, Vater des türkischen Wirtschaftswunders des vergangenen Jahrzehnts, löst bei den Investoren keine Begeisterung mehr aus. Der 60-Jährige war seit 2003 Ministerpräsident, nun wechselt er ins Präsidentenamt. Während die Mehrheit der Wähler an Erdogan glaubt, wachsen unter Investoren die Zweifel. „Das Land muss Vertrauen zurückgewinnen“, sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier dem „Handelsblatt“. Das marode Verkehrsnetz, eine ausufernde Bürokratie, der Mangel an Fachkräften und die innenpolitischen Spannungen hätten die Wachstumsaussichten zuletzt deutlich belastet. Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, meint, die Kapitalmärkte hätten durchaus Zweifel an der Verlässlichkeit der Investitionsbedingungen.

Das hohe Wirtschaftswachstum lockte Unternehmen in dieTürkei

Unter Erdogan hatte die Türkei einen beispiellosen Aufschwung erlebt, das Wachstum erreichte in seiner Amtszeit im Durchschnitt rund fünf Prozent. Der Boom lockte zahlreiche Unternehmen aus dem Ausland, vor allem aus Deutschland: Mitte der 1990er-Jahre gab es noch rund 500 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung in der Türkei, heute sind es annähernd 6000. Laut DIHK haben sie insgesamt rund neun Milliarden Euro investiert.

Die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen reichen zurück bis in die Ära des Osmanischen Reichs: 1856 baute Siemens das erste Telegrafenamt in Istanbul. Der Münchener Technologiekonzern zählt bis heute zu den großen Investoren im Land, neben dem Energieversorger Eon, den Chemieriesen BASF und Bayer oder Bosch und MAN.

Nach den Konzernen kamen die Mittelständler

Nach den großen Konzernen zog es in den vergangenen Jahren auch immer mehr mittelständische deutsche Unternehmen in die Türkei. Die deutschen Einzelhändler haben ebenfalls längst den Markt mit seiner jungen, konsumfreudigen Bevölkerung entdeckt: Tchibo, Saturn, Media Markt, Bauhaus, Deichmann, Real und Rossmann – deutsche Ketten sind in allen türkischen Einkaufszentren vertreten.

Woran die türkische Wirtschaft jetzt krankt

Die Berliner Wall AG stellt ihre Schautafeln auch in der Türkei auf - zum Beispiel in der Provinzhauptstadt Konya.
Die Berliner Wall AG stellt ihre Schautafeln auch in der Türkei auf - zum Beispiel in der Provinzhauptstadt Konya.

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Inzwischen kühlt sich die Konjunktur aber deutlich ab. Die Ratingagentur Fitch erwartet für dieses Jahr nur noch eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um 2,5 Prozent – zu wenig für ein Schwellenland wie die Türkei. Die Strukturschwächen der Wirtschaft werden sichtbar: Den meisten Unternehmen fehlt es an Innovationskraft, die Fertigungstiefe ist gering. Das Land muss immer noch zu viele Halbfabrikate importieren. Die Folge: ein chronisches Leistungsbilanzdefizit und eine Inflationsrate, die im Juli mit 9,3 Prozent weit über den Zielvorgaben der Notenbank lag.

Vor diesem Hintergrund richtet sich das Interesse jetzt auf die Frage, wer nach Erdogans Wechsel ins Präsidentenamt die Wirtschafts- und Finanzpolitik bestimmen wird. Der bisher für Wirtschaftsfragen zuständige Vizepremier Ali Babacan wird der neuen Regierung wahrscheinlich nicht angehören. Auch die Zukunft von Finanzminister Mehmet Simsek ist ungewiss. Beide Männer genießen in Wirtschaftskreisen hohes Ansehen und gelten als Garanten der Vernunft. DIHK-Experte Treier fordert die Regierung auf, mit wirtschaftsliberalen Reformen und einer Öffnung der Märkte und der Gesellschaft das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen. Die Fitch-Analysten fürchten überdies, dass Erdogan als Präsident seinen Druck auf die Zentralbank erhöhen könnte, die Zinsen zu senken. Das würde die ohnehin dürftige Glaubwürdigkeit der Währungshüter untergraben und die Lira schwächen.

Manche Unternehmen halten an ihrem Engagement fest

Die deutschen Unternehmen selbst halten sich mit Bewertungen zurück. Man wolle sich nicht zu politischen Themen äußern, hieß es etwa beim Hamburger Essigkonzern Kühne, der auch vor Ort produziert. Das Familienunternehmen werde „unverändert an seinem wirtschaftlichen Engagement festhalten“. HB

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