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Wirtschaft: Nach einer Schrecksekunde zur Tagesordnung zurückgekehrt

FRANKFURT .Nach der ICE-Katastrophe von Eschede ist die Masse der Bahnkunden schnell zur Tagesordnung und zu ihren Reisegewohnheiten zurückgekehrt.

FRANKFURT .Nach der ICE-Katastrophe von Eschede ist die Masse der Bahnkunden schnell zur Tagesordnung und zu ihren Reisegewohnheiten zurückgekehrt.Mit sichtlicher Erleichterung präsentierte Bahn-Chef Johannes Ludewig bei seiner Halbjahresbilanz in Frankfurt (Main) am Donnerstag diese auf den Juli-Verkehrszahlen beruhende Erkenntnis.Unmittelbar nach dem hundert Todesopfer fordernden Unfall Anfang Juni hatte die Bahn ihre ICE1-Flotte zur Sicherheitsüberprüfung völlig aus dem Verkehr ziehen müssen und dies mit erheblichen Umsatzeinbrüchen bezahlt.Doch schon im Juli knüpfte sie an den vorher einsetzenden, durch das Unglück gestoppten Aufwärtstrend in der Nachfrage wieder an.Und das, obwohl der ICE-Verkehr durch den andauernden Austausch der Radsätze eingeschränkt war und bis in den Spätherbst noch bleibt.

Trotz des gewaltigen öffentlichen Schocks von Eschede profitiert die Bahn dabei auch von einem menschlichen Verhaltensmuster, das nach jedem Flugzeugabsturz zu beobachten ist: Nach einer Schrecksekunde nur steigen die Menschen wieder in den Flieger - und eben auch in den ICE.Sie können es relativ unbesorgt tun, denn Bahnfahren ist - wie Fliegen - nach wie vor eine der sichersten Arten, sich fortzubewegen.Auch wenn es beruhigend sein muß für die DB, daß sie ihre Kunden nicht verloren hat, können die jetzt vorgelegten Zahlen nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu bekommen, zur Zeit kaum erreicht wird.Wenn Ludewig die Situation mit "Aufholjagd" beschreibt, spricht das eine deutliche Sprache .

Nur 25 Millionen der rund 80 Millionen Bundesbürger sind bislang Bahnkunden.Wie das schlummernde Potential für die Schiene wecken? Hier ein Sonderangebot, dort eine Preisdifferenzierung, seit Jahren anhaltende Diskussionen um ein nachfrage- und kapazitätsorientiertes neues Preissystem, das Abschied von der Formel Kilometerpreis mal Entfernung nimmt.Hinzu gesellen sich vorsichtige Versuche, Marktpotentiale zu gewinnen.In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise konnten im Sommer die Regionalzüge auf fünf schwach ausgelasteten Strecken zum Nulltarif genutzt werden.Die erreichte Verdoppelung des Passagieraufkommens auf der Basis des vorherigen äußerst niedrigen Niveaus erscheint dabei nicht unbedingt als Erfolg.Dabei wird deutlich: Trotz der gemeinhin schnell geäußerten Behauptung, Bahnfahren sei teuer, ist der Preis nicht immer das entscheidende Argument.Das Problem der Bahn ist, daß sie ihren Kunden nicht von Haus zu Haus, sondern im Prinzip nur von Bahnhof zu Bahnhof transportieren kann.Durchgehende Mobilitätsketten aufzubauen, mit Hilfe moderner Informationstechnologie und abgestimmten Servicekonzepten wie Taxitransfer und Reisebuchung über Call Center - das schwebt Ludewig vor.

Der erste Ansatz dazu heißt nun "Bahnplus".Nutznießer sind zunächst ausschließlich Inhaber der BahnCard First auf der vielbefahrenen Strecke Frankfurt-Stuttgart-München.Doch ob dies die geeignete Zielgruppe ist, erscheint fraglich: Es handelt sich um Vielreisende, die nicht unbedingt mehr von den Vorteilen des Bahnfahrens überzeugt werden müssen.

Der Güterverkehr, lange Zeit das Sorgenkind Nummer eins, profitiert derzeit von der Konjunkturbelebung.Eine reine Freude ist er gleichwohl nicht: Die Verkehrsleistungen steigen stärker als die Umsätze.Denn im Güterverkehr ist im harten europäischen Wettbewerb, der weitgehend auf der Straße ausgetragen wird, nur wenig Geld zu verdienen.Gegen die allgegenwärtige Dominanz des Lkw wird die Bahn ohnehin machtlos bleiben - sie kann sich nur solche Segmente herauspicken, in denen sie ihre Qualitäten besser einbringen kann.Ludewig setzt dazu konsequent auf die europäische Karte.Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Schiene auf den grenzüberschreitenden Langstrecken häufig schon ganz gut im Geschäft ist.Seine Vision wird zumindest als Firmenname schon nächstes Jahr Realität: Dann wird der bisherige Geschäftsbereich DB Cargo, der mit der zum Jahresbeginn 1999 als zweiter Bahnreformstufe vorgesehenen Verselbständigung der operativen DB-Geschäftsbereiche zur AG wird, zur Rail-Cargo Europe umfirmieren.Anlaß ist die vollständige Fusion der Güterverkehrsaktivitäten der DB mit denen der niederländischen Eisenbahnen.Der Firmenname ist Programm: Vor dem Hintergrund weiterer schon begonnener internationaler Cargo-Kooperationen ist das künftige Schienen-Güterverkehrsunternehmen kein "closed shop", wie Ludewig immer wieder betont.Ganz unmißverständlich macht er auch klar, daß die Bahnen nach jahrzehntelanger nationalstaatlicher Eigenbrödelei unter hohem Zeitdruck stehen.Spätestens in drei Jahren sollte die Bahnlandschaft die europäische Realität mit einer entsprechenden Internationalisierung des Geschäfts eingeholt haben - sonst geht es weiter abwärts.

EBERHARD KRUMMHEUER (MAIN, HB)

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