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Kampf um die Zukunft: Doch die Demonstrationen für eine staatlich finanzierte Auffanggesellschaft blieben ohne Erfolg.

© dapd

Nach Insolvenz: Schlecker-Frauen auf Jobsuche

Viele Schlecker-Frauen haben nach der Pleite ihres Arbeitgebers bis heute keinen neuen Arbeitsplatz. Nur ein Viertel hatte bisher Erfolg.

Am Montag wollte Annika Müller anfangen, richtig zu arbeiten – bei einem Berliner Zeitungsladen. Die Probearbeit war gut gelaufen, der Job als Verkäuferin schien sicher. „Die Bezirksleiterin und die Filialleiterin waren zufrieden“, sagt Müller, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Doch dann kam überraschend die Absage für die 56-Jährige, mittlerweile ist es die fünfzigste. „Ich fühle mich verarscht“, sagt Müller. Seit sie im Juni ihren Job in einer Marzahner Schlecker-Filiale durch die endgültige Pleite der Drogeriemarktkette verlor, bemüht sie sich verzweifelt um einen neuen Job, schreibt Bewerbungen, geht zu Vorstellungsgesprächen, arbeitet zur Probe. Doch die ehemaligen Schlecker-Konkurrenten dm und Rossmann, bei denen bereits etliche entlassene Kolleginnen unterkamen, lehnten die 56-Jährige ab, genauso wie Lidl und Netto, und auch bei Bäckern hatte Müller keinen Erfolg.

662 Mitarbeiter meldeten sich in Berlin nach der Schlecker-Pleite arbeitslos, bisher hat gut ein Viertel davon einen neuen Job gefunden. Sie kamen in Drogerien, im Lebensmittelhandel, in Bekleidungs- oder Möbelgeschäften unter, manche kehrten in die Branche zurück, in der sie ihre Ausbildung gemacht hatten. Ein knappes Drittel steckt noch in so genannten Maßnahmen, 25 Prozent suchen wie Annika Müller eine neue Arbeitsstelle, andere haben aufgegeben. Damit liegt die Erfolgsquote in der Hauptstadt im bundesweiten Schnitt, wo ebenfalls bisher nur ein Viertel der rund 23 000 arbeitslosen ehemaligen Beschäftigten erfolgreich vermittelt werden konnten. Auf dem Land, in den vielen kleinen Ortschaften, ist die Lage besonders schwierig, so auch in Brandenburg, wo nach der Insolvenz mehr als 1250 Mitarbeiter arbeitslos wurden.

Zunächst hatte Annika Müller, die schon 1992 bei Schlecker anfing, sich Hoffnungen gemacht, schnell etwas Neues zu finden. In ihrer dm-Filiale um die Ecke kannte sie die Kolleginnen, und auch die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit stimmten optimistisch: 1300 offene Stellen gibt es demnach im Handel in der Hauptstadt. Aber nicht für Annika Müller. „Ich wollte am liebsten im Handel bleiben, aber mittlerweile würde ich auch etwas anderes machen“, sagt sie verzweifelt. Jeden Tag, so erzählt die Berlinerin, sitzt sie zu Hause vor dem Rechner und sucht nach offenen Stellen. Auf ihren Sachbearbeiter beim Jobcenter verlässt sie sich längst nicht mehr. Sie bewirbt sich auch um Jobs, die weniger abwerfen als ihr derzeitiges Arbeitslosengeld. Sogar die Zeiten sind Müller egal. „Ich kann rund um die Uhr arbeiten“, beteuert sie unter Tränen. Warum sie keinen Erfolg hat, ist für die gelernte Wirschaftskauffrau klar: „Ich bin zu alt, für Menschen wie mich ist auf dem Arbeitsmarkt kein Platz mehr.“ Eine ehemalige Kollegin aus der Filiale in Marzahn bekam einen Job bei Rossmann – sie ist Mitte 30.

Ein Fünftel der arbeitslosen Schlecker-Mitarbeiter ist älter als 50 Jahre

Ein Fünftel der arbeitslosen Schlecker-Mitarbeiter in Berlin ist älter als 50 Jahre, bundesweit sind es deutlich mehr. Bei der Sozialauswahl werden sie häufig bevorzugt, weil sie es schwerer haben, einen neuen Job zu finden. Auch Müller, die außerdem einen pflegebedürftigen Mann hat, wurde erst in der zweiten Entlassungswelle arbeitslos. Nach Meinung der Bundesagentur spielt das Alter gerade im Handel aber keine große Rolle. „Die Unternehmen signalisieren uns, dass sie die hohe Erfahrung der Schlecker-Mitarbeiter, die meist jahrelang bei dem Unternehmen beschäftigt waren, zu schätzen wissen“, sagte der Sprecher der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg, Olaf Möller.

Viele der Mitarbeiter der einst größten Drogeriekette Deutschlands arbeiteten tatsächlich lange bei der Firma – obwohl das Unternehmen einen schlechten Ruf hatte. Immer wieder war Anton Schlecker, der den Betrieb starrsinnig führte und Beratung von außen strikt ablehnte, in die Schlagzeilen geraten, wegen sittenwidriger Löhne oder geheimer Überwachung seiner Mitarbeiter. Später lenkte er ein, einigte sich mit den Gewerkschaften auf tarifliche Löhne und feste Verträge. Der Starrsinn aber blieb, und das macht auch Müller rückblickend wütend. Immer wieder hätten die Betriebsräte in Berlin angesprochen, dass die Läden moderner werden müssten. „Wenn die mal auf uns Verkäuferinnen gehört hätten, wäre das alles nicht so gelaufen“, sagt sie. Als Anton Schleckers Kinder schließlich 2010 den Modernisierungsprozess des Unternehmens anpackten, war es schon zu spät.

Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz, der allein aus der Zeit vor der Pleite Forderungen in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro begleichen muss, beantragte kürzlich Masseunzulänglichkeit. Die Forderungen der Bundesagentur für Arbeit an die Insolvenzmasse könnten wegen der geringen Vermittlungsquoten voraussichtlich einen dreistelligen Millionenbetrag erreichen, erklärte er. Bis die ehemaligen Schlecker-Beschäftigten einen neuen Job haben, zahlt die Behörde 60 Prozent des vorherigen Lohns, und dieses Geld muss Geiwitz zurückzahlen.

Noch prüft der Insolvenzverwalter, ob die Übertragung von Vermögen Anton Schleckers an seine Kinder unzulässig war und womöglich zurück in die Insolvenzmasse fließen könnte, auch die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt. Die Gläubiger dürfen sich dennoch wenig Hoffnungen machen, ihr Geld wiederzusehen. Der Kreditversicherer Euler Hermes, dem Schlecker 300 Millionen Euro schuldete, erklärte kürzlich in der „Lebensmittelzeitung“, dass er mit einem Verlust von 30 Millionen Euro rechne. Die Mitarbeiter aber, die noch auf ihre Abfindungen warten, dürften wohl leer ausgehen. Damit seien die Schlecker-Frauen „doppelte Verlierer“, kritisiert Stefanie Nutzenberger, Bundesvorstandsmitglied für den Handel bei Verdi.

Annika Müller bekommt noch bis nächstes Jahr November Arbeitslosengeld. „Aber“, sagt sie, „so lange halte ich diese Ungewissheit sowieso nicht aus.“

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