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Der Deutsche Aktienindex (Dax) hat in der ersten Handelswoche mehr als acht Prozent verloren.

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Update

Nach Kursrutsch in China: Kommt jetzt der nächste Crash?

In China stabilisieren sich die Aktienkurse leicht, doch die Nervosität an den Börsen bleibt groß. Gibt es für Anleger wieder Anlass zur Hoffnung –  oder drohen noch heftigere Einbrüche?

JA, UNS STEHT EIN NEUER CRASH BEVOR

Für einen Crash spricht: In 120 Jahren haben die US-Börsen kein Jahr so schwach begonnen wie 2015. Auch der Deutsche Aktienindex (Dax) hat in der ersten Handelswoche mehr als acht Prozent verloren – eine Folge der massiven Kurseinbrüche in China. Am Dienstagmorgen hatten die Sorgen die Märkte in Asien weiter fest im Griff. Zwar erholten sich die Kurse in China leicht, nach einer anfänglichen Stabilisierung verbuchten die meisten Handelsplätze aber erneut Verluste. Am höchsten fiel das Minus in Tokio aus, wo die Börse nach einem Feiertag fast drei Prozent nachgab. Der Nikkei-Index fiel um 2,7 Prozent auf 17 218 Punkte und damit auf den niedrigsten Stand seit fast einem Jahr.

Der Dax legte zum Handelsauftakt wieder zu. Doch die Angst der Anleger vor einem Totalausfall des wichtigsten Wachstumsmotors der Weltwirtschaft ist groß: Stimmt die alte Börsenregel, wonach die Kursentwicklung im Januar den Trend des gesamten Jahres vorgibt, dann sieht es düster aus für 2016. Börsianer verweisen auf die „Fünf-Tage-Regel“. Danach geben die ersten fünf Handelstage die Richtung der Börse für das Jahr vor. Im Dax traf das der Statistik zufolge bislang für 75 Prozent aller Jahre zu.

Hinzu kommt: Die Sorgen sind fundamental berechtigt. Die Zeiten zweistelliger Wachstumsraten in China sind vorbei – die Regierung selbst geht nur noch von einem Zuwachs um 6,8 Prozent aus. Viele Experten halten aber selbst die reduzierten Voraussagen der Regierung für viel zu optimistisch, zumal unklar ist, wie aussagekräftig die amtliche Statistik in Peking überhaupt ist. Die Konsequenz: Alle westlichen Unternehmen, die stark in China engagiert sind, müssen sich auf härtere Zeiten einstellen. Das gilt vor allem für die exportorientierte deutsche Wirtschaft. Beispiel Autoindustrie: Der VW-Konzern ist in China Marktführer und verkauft weltweit jedes dritte Auto in der Volksrepublik. 2015 war der Absatz schon rückläufig, 2016 könnte es weiter bergab gehen.

Glaubte man lange, die kommunistische Regierung in Peking habe den Kapitalismus chinesischer Prägung regulatorisch im Griff, wachsen inzwischen die Zweifel. So wurde der Mechanismus zur automatischen Unterbrechung des Aktienhandels an besonders volatilen (schwankungsintensiven) Tagen wieder abgeschafft. Er hatte Schwankungen beschleunigt, statt sie zu beruhigen. Auch die Währungspolitik wirkt chaotisch. Nach acht Abwertungen hat die Zentralbank den zweiten Handelstag in Folge die Landeswährung Yuan aufgewertet. Damit laufe sie Gefahr, den Referenzkurs wieder zu einem politischem Instrument zu machen, warnte am Montag Commerzbank-Analyst Hao Zhou. Im vergangenen Sommer hatte die Zentralbank im Rahmen ihrer Bemühungen zur Liberalisierung des Börsenhandels mitgeteilt, der Referenzkurs werde sich künftig an der Kursentwicklung des Yuan orientieren.

Es wird ein unruhiges Börsenjahr

Sicher ist, dass die Kursschwankungen 2016 hoch bleiben – mit der Gefahr eines echten Crashs. Neben China irritiert die Anleger der Preisverfall des Öls, das sich auch am Dienstag dramatisch verbilligte - Nordseeöl der Sorte Brent kostete mit 30,43 Dollar 3,6 Prozent weniger als am Vortag und war damit so günstig wie seit April 2004 nicht mehr. Seit Jahresbeginn ist der Preis nunmehr um fast 20 Prozent gefallen. Auch andere Rohstoffe verlieren an Wert, hinzu kommen die Konflikte zwischen Saudi-Arabien und Iran, die Terrorgefahr und die wachsende Zinsdifferenz zwischen den USA und der Euro-Zone. Mit der ersten Leitzinserhöhung in den USA nach neun Jahren hatte die US-Notenbank Fed im Dezember ein Signal gesetzt, dass sie zu einer Normalisierung, also zu höheren Zinsen, zurückkehren will. Höhere Zinsen schwächen aber das Wachstum. Steigen die Zinsen zu schnell und zu stark, kann dies die Konjunktur abwürgen, weil es für die Unternehmen teurer wird, Kredite für Investitionen aufzunehmen. Fed-Chefin Janet Yellen hat angekündigt, 2016 seien vier weitere Leitzinserhöhungen möglich.

Hinzu kommt: Die Krise der Schwellenländer, vor allem in China, könnte sich verschärfen, weil deren Unternehmen vor allem in Dollar verschuldet sind. Steigt im Zuge höherer Zinsen in den USA der Dollarkurs, bekommen die Unternehmen in den Schwellenländern Probleme, ihre Dollarschulden zu bedienen. Zudem dürften internationale Investoren den US-Währungsraum nun wieder interessanter finden – und Kapital aus den Schwellenländern abziehen.

NEIN, EIN KURSRUTSCH DROHT UNS NICHT

Der Dax hat am Montag robust auf den neuen Absturz der chinesischen Börsen reagiert. Obwohl die Kurse in Schanghai um mehr als fünf Prozent abrutschten – schon in der vergangenen Woche waren es rund zehn Prozent gewesen –, notierte der Dax am Nachmittag ein Prozent höher. Ist das ein Zeichen dafür, dass die Anleger die Börsenbeben nicht mehr so wichtig nehmen?

Viele Profis am Aktienmarkt mahnen zur Besonnenheit. „Das aktuelle Geschehen in der chinesischen Wirtschaft ist nicht dramatisch“, sagt etwa Matthew Sutherland, Kapitalmarktstratege der Fondsgesellschaft Fidelity. In der aktuellen Situation sollten Anleger und Kommentatoren einen Fehler vermeiden: „Annehmen, dass die starken Schwankungen am chinesischen Aktienmarkt von einer neu erkannten Schwäche der chinesischen Wirtschaft getrieben ist“, sagte Sutherland. Der Experte weist darauf hin, dass die Börse in China ein „innerchinesischer Markt“ sei, der von Privatanlegern genutzt werde. Dort habe sich im ersten Halbjahr eine Blase gebildet – in der Erwartung, dass internationale Anleger in Peking, Schanghai oder Shenzen Aktien kaufen würden. Nun sei ein Teil der Luft aus der Blase entwichen – mehr nicht. Von einer Ansteckungsgefahr für andere Börsenplätze gehen derzeit nur wenige Börsianer aus. Im Schnitt erwarten die Experten für dieses Jahr knapp 11 800 Punkte für den Dax – und damit ein Plus von fast zehn Prozent.

Die Optimisten haben gute Gründe: Ein Ende der Billiggeld-Flut insbesondere der Europäischen Zentralbank (EZB) ist nicht in Sicht. Und das wiederum begünstigt Aktien. Zudem nimmt die Wirtschaft in der Euro-Zone Fahrt auf – so ist die Arbeitslosenquote im November auf den niedrigsten Stand seit mehr als vier Jahren gefallen.

An Aktien kommen Anleger nicht vorbei

Was auch für die Aktie spricht: Deutsche Unternehmen – auch viele Mittelständler – stehen überwiegend gut da. Für das vergangene Jahr zahlen die 30 im Dax gelisteten Konzerne eine Rekorddividende von insgesamt etwa 31 Milliarden Euro. Das China-Geschäft ist für die deutsche Wirtschaft zwar wichtig, aber bedeutsamer sind die Europäische Union und die USA und mittlerweile auch der Binnenmarkt. Angesichts niedriger Zinsen und gestiegener Reallöhne ist die Kauflust der Deutschen nach wie vor groß. Und wer Geld anlegt, kommt angesichts weiter extrem niedriger Zinsen kaum an Aktien oder Aktienfonds vorbei.

„Unter Bewertungsaspekten ist ein Investment in Aktien im Vergleich zu den mangelnden Anlagealternativen in Deutschland und Europa attraktiv“, sagt Sven Krause, Leiter des Fondsmanagements bei der Landesbank Berlin Investment. Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) zwischen 12,1 (Dax) und 12,9 (Euro- Stoxx50) signalisierten eine attraktive Bewertung: Es finde daher „eher eine Korrekturbewegung als der Beginn eines ausgeprägten Abwärtsmarktes“ statt. Auch der China-Index CSI300 sei mit einem KGV von gut zwölf „nicht teuer“.

Rückhalt finden die Optimisten bei der EZB und ihrem Präsidenten Mario Draghi, der deutlich gemacht hat, dass er bis auf absehbare Zeit an der extrem lockeren Geldpolitik festhalten wird und an eine Leitzinserhöhung in der Euro-Zone nicht zu denken ist. Wirtschaftlich steht die Euro-Zone stabil da. Ehemalige Krisenländer wie Spanien und Irland wachsen.

Das sind gute Aussichten für Aktien. Nur eine Anlageklasse könnte die Entwicklung an den Börsen noch übertreffen: „Der Höhenflug am deutschen Immobilienmarkt dürfte sich fortsetzen“, glaubt Ulrike Kastens, Volkswirtin beim Bankhaus Sal. Oppenheim. Die Aussicht auf eine lange Phase niedriger Zinsen werde die Hauskäufe weiter fördern.

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