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Deutliche Worte. Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger kritisierte am Dienstag bei der Bilanzvorlage das bisherige Management scharf.

© AFP

Nach Milliardenverlust: Thyssen-Krupp muss neu anfangen

Fünf Milliarden Euro Verlust und Korruptionsfälle fordern den Chef des Industriekonzerns Thyssen-Krupp. Heinrich Hiesinger kündigt eine andere Führungskultur an. "Null Toleranz" soll dabei eine große Rolle spielen.

Es sind wenige Worte von Heinrich Hiesinger, die früher das Ruhrgebiet zum Beben gebracht hätten. „Wir wollen einen Weg finden, um Steel Europe erfolgreich weiterzuführen“, sagte der Vorstandsvorsitzende von Thyssen-Krupp am Dienstag bei der Bilanzvorlage. Das europäische Stahlgeschäft mit seiner Hütte in Duisburg steht damit zur Disposition. Auch wenn Hiesinger sagt, dass noch keine Entscheidung gefallen sei. Die Überprüfung kann auch zu einem Teilverkauf oder zum kompletten Rückzug führen – früher ein undenkbares Szenario für die Mitarbeiter. Doch die Betriebsräte und Gewerkschaftler halten sich zurück, nicht ein Hauch von Kritik ist zu spüren.

Diese Ruhe zeigt: Hiesinger hat freie Bahn bei der Neuausrichtung des Traditionskonzerns. Die ist auch nötig. Nach dem Verlust von fünf Milliarden Euro im vergangenen Geschäftsjahr hat sich die Eigenkapitalquote halbiert. Weitere Fehler kann sich der Konzern nicht erlauben. „Mit Brasilien haben wir unser gesamtes Pulver verschossen“, fasst eine Führungskraft die Lage zusammen.

Hiesinger hat zunächst die Verlustbringer zum Verkauf gestellt. Die Edelstahltochter Inoxum geht an den Wettbewerber Outokumpu, für die Stahlwerke in Brasilien und den USA will der frühere Siemens-Vorstand in den kommenden Monaten neue Eigentümer präsentieren.

Thyssen-Krupp verringert damit seine Abhängigkeit vom zyklischen Stahlgeschäft. Lediglich 30 Prozent der Erlöse würden künftig mit dem Werkstoff erzielt, sagte der Vorstandschef. Die Richtung stimmt, wie das abgelaufene Jahr zeigt. Im Technologiegeschäft, das die Bereiche Anlagenbau, Aufzüge, U-Boote umfasst, verdiente der Konzern 1,7 Milliarden Euro. Der Verlust im Stahlgeschäft zehrt dieses gute Ergebnis aber auf.

Nach den Umbauten geht Hiesinger nun das Thema Firmenkultur an. Er sieht hier enormen Nachholbedarf. „Thyssen-Krupp hat eigentlich keine Kultur“, sagte er jüngst im engen Kreis. Beleg dafür sind die vielen Compliance-Fälle, die in den vergangenen Monaten ans Tageslicht kamen. Thyssen-Krupp war an Kartellen beteiligt, und die Staatsanwaltschaft prüft, ob der Konzern das Geschäft in Asien und Osteuropa mit Schmiergeldern angeschoben hat. „Null Toleranz“ will Hiesinger hier bei der Aufklärung zulassen. Rund 50 Mitarbeiter mussten inzwischen bereits gehen.

Der Konzernchef belässt es nicht bei Veränderungen im Mittelbau, er kehrt die Treppe auch von oben. In einer Hauruck- Aktion warf er in Kooperation mit Aufsichtsratschef Gerhard Cromme die langjährigen Vorstände Edwin Eichler, Jürgen Claassen und Olaf Berlien raus. „Damit haben wir ein klares Zeichen für einen Neuanfang gesetzt“, sagte Hiesinger, der erst seit Anfang 2011 an der Vorstandsspitze steht. „Ich werde hier nichts beschönigen, denn es ist offensichtlich, dass in der Vergangenheit sehr viel schiefgelaufen ist.“

Der Traditionskonzern steckt in der größten Krise seit der Fusion von Thyssen und Krupp 1999. Für das abgelaufene Geschäftsjahr 2011/12 (per Ende September) gab Hiesinger einen Verlust von fünf Milliarden Euro bekannt – der mit Abstand höchste Fehlbetrag in der Firmengeschichte. Spekulationen, Thyssen-Krupp wolle im Konzern rund 3000 Jobs streichen, befeuerte er nicht. Es gebe solche Zahlen nicht. Den Vorstand will er aber verkleinern.

An der Börse kamen Hiesingers Worte gut an: Die zuletzt arg gebeutelte Aktie führte mit einem Plus von zeitweise fast vier Prozent die Gewinnerliste im Dax an. Mit „Fantasie auf bessere Zeiten“ begründete ein Händler die Entwicklung. Eine Dividende sollen die Aktionäre für 2011/12 allerdings nicht erhalten. Damit gehen sie erstmals leer aus. Zusagen fürs neue Jahr machte Hiesinger nicht.

Manchen gingen die Konsequenzen aus der Misere nicht weit genug. „Bislang ist der Neuanfang offenbar auf den Vorstand beschränkt. Dabei braucht das Unternehmen einen tief greifenden Kulturwandel. Ohne eine offene Diskussion auch über die Rolle von Aufsichtsratschef Gerhard Cromme wird das nicht funktionieren“, erklärte Thomas Hechtfischer, Geschäftsführer der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Auch große Investoren verlieren das Vertrauen. „Bei Thyssen-Krupp wurden über Jahre strategische Fehler gemacht, das rächt sich jetzt“, sagte Henning Gebhardt, Leiter Aktienfondsmanagement Europa bei der Deutsche-Bank- Tochter DWS. Für den Vorstandschef steht Cromme trotz der Investorenschelte nicht infrage. Auch daran wird deutlich – der starke Mann bei Thyssen-Krupp heißt Heinrich Hiesinger. HB/rtr

Martin Murphy

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