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Von John Cryan gibt es nur wenige Pressefotos. Dieses stammt von Februar 2009.

© REUTERS

Nachfolger von Anshu Jain: Neuer Deutsche-Bank-Chef John Cryan ist seltsam scheu

Der Co-Chef der Deutschen Bank, John Cryan, zeigt sich nur selten öffentlich. Sein Kollege Jürgen Fitschen ist präsent, sagt aber nicht viel.

Die Finanzgemeinde in Frankfurt schaut gespannt auf den kommenden Donnerstag – und dürfte enttäuscht werden. John Cryan, der seit Anfang Juli amtierende Co-Chef der Deutschen Bank, will sich wieder nicht in Mainhattan zeigen. Angesetzt ist nur eine Telefonkonferenz und das erst am späten Nachmittag, wobei der Brite mit Finanzvorstand Marcus Schenck in London sitzen wird. Zu sehen sind beide nicht. Immerhin dürfen Analysten und Journalisten per Videoschaltung zuschauen, wenn die beiden Manager die neue Strategie des Hauses vorstellen. Es werden die ersten aktuellen Bilder sein, die vom neuen mächtigen Mann der Deutschen Bank zu sehen sein werde.

Cryan ist in Frankfurt immer noch weitgehend unbekannt

Nach vier Monaten im Amt, dem Rausschmiss von mehreren Vorständen, nach Umbaumaßnahmen, die es in dieser Form bei der Deutschen Bank nie zuvor gegeben hat, ist der 54-Jährige in Frankfurt immer noch weitgehend unbekannt. Immerhin wurde Cryan schon gesichtet, im Frankfurter Westend, wo er das Appartement seines geschassten Vorgängers Anshu Jain in einer vornehmen Villa – auf dem Klingelschild steht „J. C.“ – bewohnt. Wenn er denn in Frankfurt ist. Selbst am vergangenen Sonntag bei der wichtigen außerordentlichen Aufsichtsratssitzung war er dem Vernehmen nach nur per Videobildschirm zugeschaltet.

Bei Telefonkonferenzen hört man Cryans Stimme

Kommunikationsexperten in Frankfurt wundern sich über die Scheu von Cryan. Für ein so wichtiges Unternehmen sei es bemerkenswert, dass der neue Mann an der Spitze so lange im Hintergrund und für die Öffentlichkeit unsichtbar bleibe. Bislang gibt es drei Briefe von Cryan an die Mitarbeiter, die die Bank auf ihre Homepage gestellt hat, ein paar Zitate in Mitteilungen und Ende Juli Cryans Ausführungen in der Telefonkonferenz zum zweiten Quartal. Da war immerhin mal seine Stimme zu hören. Ob er tatsächlich Deutsch spricht, wie es bei der Bank heißt, blieb unklar. Der Engländer sprach Englisch. Zur Erinnerung: Als Jain und der amtierende Co-Chef Jürgen Fitschen noch das Sagen hatten, zeigten sie sich nicht nur Journalisten, es gab für jeden sichtbar Videomitteilungen auf der Homepage, wenn die Bank Zahlen vorlegte. Auch auf Deutsch.

Die Bank hat nicht einmal ein aktuelles Foto des Briten

Heute hat die Bank nicht einmal aktuelle Fotos des Briten parat. Wann man Cryan denn mal persönlich zu Gesicht bekomme, sich einen Eindruck vom ihm verschaffen könne? „Ich hoffe bald“, sagt ein Sprecher der Bank. Möglicherweise dauert es bis zum 28. Januar nächsten Jahres. Dann lädt die Bank zu ihrer Jahrespressekonferenz. Fitschen, Cryans Kollege an der Spitze der Bank, ist dagegen nach wie vor recht präsent, auch wenn er faktisch nichts mehr zu sagen hat. Wenn Cryan und Finanzchef Schenck am Donnerstag ihre Strategie und den Rekordverlust von 6,2 Milliarden Euro für das dritte Quartal erläutern, wird Fitschen fehlen. Er muss sich mittlerweile unschöne Kommentare gefallen lassen. Von Außenstehenden wird er mitunter als „Grüß-Gott-Onkel“ bezeichnet – was Fitschen, einem angesehenen, bodenständigen Banker und bis Frühjahr 2016 noch Präsident des Bundesverbandes Deutscher Banken, nicht gerecht wird. Es sei doch normal, dass er nicht mehr in strategische Fragen eingebunden sei, heißt es in der Bank. Schließlich sei er nur noch bis Mai nächsten Jahres im Amt – dann soll Cryan endgültig alleiniger Chef werden. Es gehe um die Strategie der Deutschen Bank bis 2020. Dies galt komischerweise nicht, als Fitschen im April zusammen mit Jain just jene Strategie für die nächsten fünf Jahre vorstellte, an der Cryan angeblich in Grundzügen festhalten will.

Zu tun hat Fitschen immer noch genug

Zu tun habe Fitschen noch genug, versichert ein Sprecher: Kundenbesuche, Vorträge, Konferenzen und Kongresse, wie etwa Anfang September bei der Bankentagung in Frankfurt oder Ende November bei der Euro Finance Week und beim Europäischen Bankenkongress ebenfalls in Frankfurt. Auch bei solchen Veranstaltungen zeigte sich Cryan nicht. Zur Bank sagt Fitschen bei seinen Auftritten wenig, äußert sich eher zu generellen Themen wie Regulierung und Finanzmärkte. Und dann muss Fitschen jeden Dienstag vor dem Münchner Landgericht erscheinen, zusammen mit seinen Vorgängern Rolf E. Breuer und Josef Ackermann beim Verfahren wegen angeblicher Falschaussagen im Prozess wegen der Pleite des Medienunternehmers Leo Kirch. Das dauert länger als von der Bank erhofft: Bis Ende des Jahres ist das Verfahren nicht abgeschlossen, mittlerweile hat das Gericht Termine im nächsten Jahr angesetzt.

Der Wirtschaftswissenschaftler kam 1987 zur Deutschen Bank

Warum sich der mittlerweile 67-jährige Sohn eines Landwirts aus Norddeutschland nach seiner faktischen Degradierung im Sommer nicht längst verabschiedet hat, fragen sich viele Beobachter. Dazu hat Fitschen wohl viel zu lange für die Deutsche Bank gearbeitet. 1987 kam der gelernte Kaufmann und studierte Wirtschaftswissenschaftler zur Bank, er war in Asien tätig, dann in Deutschland für das Firmenkundengeschäft verantwortlich, bevor er 2009 in den Vorstand rückte und 2012 zusammen mit Jain als Nachfolger von Josef Ackermann zum Co-Vorstandschef ernannt wurde. Fitschen war lange erfolgreich tätig, als Co-Chef aber ohne Fortune, auch wenn ihm niemand – im Gegensatz zu Jain – die Verantwortung für Skandale und Milliardenstrafen anlastet. Fitschen ist nicht nur bodenständig und hegt keine Allüren. Er gilt auch als äußerst pflichtbewusst. Deshalb wohl bleibt er trotz der wenig schmeichelhaften Kommentare bis zum Ende der Hauptversammlung am 19. Mai in Frankfurt.

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