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Nachruf: Reinhard Mohn: Dem Menschen dienen

Reinhard Mohn machte Bertelsmann zu einem Weltkonzern. Jetzt ist der Firmenpatriarch im Alter von 88 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Reinhard Mohn ist tot. Der Patriarch der Bertelsmann AG starb am Sonnabend im Alter von 88 Jahren. Er war im Frühjahr in seinem Feriendomizil in Alcudia auf Mallorca gestürzt und hatte sich von dem Unfall nicht wieder richtig erholt. Die Welt verliert einen Unternehmer, der innerhalb von drei Jahrzehnten aus einem mittelständischen Verlag einen weltumspannenden Medienkonzern geformt hat. Und sie verliert einen Visionär, der mit der Bertelsmann-Stiftung eine Denkfabrik geschaffen hat, die seit 30 Jahren den Auftrag hat, Politik zu beraten und Zukunft zu gestalten. Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) sagte zum Tod von Reinhard Mohn, dieser habe „seinen legendären unternehmerischen Erfolg als Medienunternehmer immer mit einem vorbildlichen gesellschaftlichen,kulturellen und sozialen Engagement verbunden.“

Vor 70 Jahren schrieb Reinhard Mohn in seinem Abituraufsatz: „Ich möchte eine Chance haben im Leben.“ Diese Chance hat er wahrlich bekommen. Und er hat sie genutzt. Dabei sah es zunächst gar nicht danach aus. Der junge Reinhard war nicht eben der Favorit seines Vaters Heinrich. Mohn war das fünfte Kind in einem streng protestantischen Elternhaus. Er habe sich „nicht immer zugehörig“ gefühlt, schrieb Mohn in seinem letzten Buch „Von der Welt lernen“. Wenn er etwas nicht verstehen konnte, „rebellierte ich innerlich und verweigerte mich mitunter.“ Das Verhältnis zum Vater war gespannt, prägenden Einfluss hatte seine Mutter Agnes.

Der Krieg war schuld, dass Mohn – zunächst widerstrebend – an die Spitze des Unternehmens trat. Der älteste Bruder Hans Heinrich war schon 1939 gefallen, als Reinhard aus der Kriegsgefangenschaft in Amerika heimkehrte, lag das Unternehmen in Schutt und Asche. Mohn musste einspringen, weil sein Vater als förderndes Mitglied der SS vorbelastet war und eine Lizenz des auch im Dritten Reich gut verdienenden Unternehmens gefährdet war. „Diese Situation bedeutet für mich eine schwere Bürde, aber auch eine ungeheure Chance“.

Die Erfolgsgeschichte kam drei Jahre später richtig in Fahrt. Mohn gründete den Bertelsmann-Lesering. Innerhalb nur eines Jahres gewann er 100.000 Mitglieder, bis 1960 stieg die Zahl auf 2,6 Millionen Leser. Wenig später stieg er auch ins Musikgeschäft ein. Als Mohn das Unternehmen 1971 in eine Aktiengesellschaft umwandelt, ist Bertelsmann ein weltweiter Konzern.

Reinhard Mohn hat sich selbst nie ausschließlich als Unternehmer verstanden. Bereits 1972 beteiligte Mohn die Mitarbeiter am Unternehmensgewinn, was ihm den Beinamen „Roter Mohn“ eintrug. Dabei darf doch als sicher gelten, dass Mohn politisch linken Ideen gegenüber weitgehend immun war. Vielmehr war der Schritt schlicht Ausdruck Mohns innerster Überzeugung, dass eine partnerschaftliche Führung der richtige Weg sei, ein Unternehmen zu lenken. „Im Mittelpunkt all unserer betrieblichen Überlegungen steht der Mensch“, stellte Mohn in seinem letzten Buch noch einmal klar. „Dem Menschen zu dienen, ist die erste Aufgabe unseres Unternehmens.“

Das gilt auch für die Bertelsmann-Stiftung, die Mohn 1977 gründete. Sein Aktienpaket übertrug er damals der Stiftung. „Geld ist für mich ein Werkzeug, mehr nicht“, sagte er seinerzeit lapidar. „Mein Weg zu helfen ist es, Lösungen für Probleme zu entwickeln. Das halte ich für wichtiger als Geld zu stiften.“

Grundsätzlich hielt Mohn alle Probleme dieser Welt für lösbar. Dies belegt selbst der bizarr anmutende Versuch, in der Stiftung Kriterien zur Partnerwahl entwickeln zu lassen. Auch diese private Frage müsse sich doch optimieren lassen, erklärte Mohn damals.

Möglicherweise hätte Mohn an dieser Stelle auch eigene Erfahrungen einbringen können. Der Bertelsmann-Chef war zweimal verheiratet. Mit seiner ersten Frau Magdalene hat er drei gemeinsame Kinder: Johannes, Susanne und Christiane. Doch schon in den 70er Jahren lernt er bei einer Betriebsfeier im Bertelsmann-Buchclub in Rheda-Wiedenbrück die 17-jährige Telefonistin Elizabeth Beckmann kennen. Bei der „Reise nach Jerusalem“ kommen die beiden sich näher. Aus der Affäre erwächst eine feste Beziehung. Reinhard und Elizabeth „Liz“ haben drei gemeinsame Kinder: Brigitte, die schon jetzt nach ihrer Mutter die mächtigste Frau im Konzern ist, Christoph, der mit Lycos Europe gescheitert ist, und der jüngste Sohn Andreas. 1977 lässt sich Reinhard von Magdalene Mohn scheiden, 1981 schließlich heiratet er Liz.

Letztere ist längst zum Dreh- und Angelpunkt des Medienkonzerns geworden. Seit 2003 ist sie Sprecherin der Familie. Liz Mohn ist Geschäftsführerin der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft, die alle Stimmrechte der Aktiengesellschaft auf sich vereint, und zudem stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann-Stiftung. Auf wichtige Personalentscheidungen hat sie bestimmenden Einfluss. Vor zwei Jahren hat sie Hartmut Ostrowski als Vorstandsvorsitzenden des Konzerns installiert. Sie stützt Finanzvorstand Thomas Rabe. Und Kommunikationschef Thorsten Strauß bekam seinen Job erst, nachdem Liz Mohn genickt hatte.

Manchen Außenstehenden hat die Machtfülle gewundert, mit der Mohn seine Frau ausgestattet hat. Noch 2001 hatte er erklärt: „Ich bin und war schon immer überzeugt, dass die Zeit, als die Familie noch Kontinuität gewährleisten konnte, vorbei ist. Das Prinzip des über Generationen stabilen Familienunternehmens ist gescheitert. So viele gute Leute gibt es in keiner Familie.“

Dann aber kam das Zerwürfnis mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Thomas Middelhoff. Und damit die Erkenntnis: „Es ist gefährlich, Manager zu haben, welche insgeheim ihre persönlichen Ziele im Unternehmen als vorrangig betrachten.“ Viel hatte sich in der Zwischenzeit getan.

1984 stieg Bertelsmann ins Privatfernsehen ein und hält heute rund 90 Prozent an der RTL-Gruppe. Der Konzern stieg mit AOL Europe ins Online-Geschäft ein und formte rund um Random House den größten Buchverlag der englischsprachigen Welt. 2006 kaufte Bertelsmann den 25-prozentigen Anteil der Groupe Bruxelles Lambert (GBL) zurück und verhinderte den Börsengang. Diesen Notausstieg soll Reinhard Mohn von seinem Vorstandsvorsitzenden Gunter Thielen verlangt haben.

Auch wenn Reinhard Mohn in den vergangenen Monaten kaum noch in der Öffentlichkeit gesehen wurde, er sogar seine tägliche Mittagspause in der Bertelsmann-Kantine aufgegeben hatte, so blieb sein Einfluss doch ungeschmälert. Ziemlich sicher sind sich die Insider zum Beispiel, dass nicht nur der amerikanische, der chinesische und die osteuropäischen Buchclubs, sondern auch die deutschen Clubs längst verkauft wären, hätte nicht Mohn sein Veto eingelegt. Auch den Kauf des Brockhaus wertet mancher als Genugtuung für Reinhard Mohn, dem die Brockhaus-Eigner vor Jahrzehnten angeblich ein Kooperationsangebot ausgeschlagen hatten.

Es gilt als ausgemachte Sache, dass Reinhard Mohn auch bei der Nachfolge seinen Willen bekommt. Einst sei Brigitte das „größte Sorgenkind“ gewesen, schreibt Mohn in seinem letzten Buch. Inzwischen sei das anders: „Brigitte teilt in ihrer zielgerichteten und verantwortungsvollen Art meine Auffassung, dass jedermann mit seiner Arbeit auch einen Beitrag für die Gemeinschaft zu erbringen hat.“ Mit anderen Worten: Die sechste Bertelsmann-Generation ist auf dem Weg.

Stefan Brams, Stefan Schelp

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